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Deborah Feldmann.
© Mathias Bothor/Secession Verlag/dpa

Deborah Feldman liest in Potsdam: „Für Träume braucht man Worte“

Deborah Feldman ist vor ihrer ultra-orthodoxen Gemeinde in den USA geflohen. Gelandet ist sie in Berlin. Am Donnerstag liest sie in Potsdam. Zuvor sprach PNN-Autorin Ariane Lemme mit ihr über Berlin, über deutschen und amerikanischen Antisemitismus, übers Schreiben und warum die Leser ihr Buch lieber auf Deutsch lesen sollten.

Frau Feldman, Sie lesen derzeit aus Ihrem Buch „Unorthodox“, am Donnerstag auch in Potsdam. Schafft das drüber Reden Distanz zu dem, was Sie erlebt haben?

Ich denke nicht, dass das drüber Reden so sehr geholfen hat. Schreiben hat natürlich etwas geändert. Mit jedem Wort bekommt man noch mehr Abstand. Die geschriebenen Worte sind wie Ziegel, die eine Brücke bauen zwischen der Vergangenheit und der Zukunft. Reden ist immer eher wie ein Luftballon: Man sagt was, aber das wird dann sofort interpretiert oder verändert. Reden ist mir nie so kräftig vorgekommen wie das Schreiben.

In dem Roman erzählen Sie, wie Sie sich von der streng religiösen Gemeinde, in der Sie aufgewachsen sind, emanzipiert haben, am Ende zusammen mit Ihrem Sohn geflohen sind. Wie schwer ist es, über so Persönliches zu schreiben?

Ich will keinen Abstand haben zwischen mir und meinen Lesern. Ich will mit ihnen auf Augenhöhe sein. Ich bin nicht Schriftstellerin geworden, um mich erhoben, wie jemand Besseres zu fühlen. Ich war immer von Geschichten sehr bewegt und Geschichten werden nicht von oben übergeben. Ich lerne lieber von anderen so viel wie sie von mir lernen können. Aber dadurch ist es natürlich schwerer, meine Privatsphäre zu schützen.

Vor allem nachdem „Unorthodox“ nicht nur in den USA ein Bestseller war, sondern seit seinem Erscheinen auf Deutsch in diesem Frühjahr auch hier.

Ja. Ich habe übrigens meinem Verleger Christian Ruzicska bei der Übersetzung geholfen. Er spricht natürlich sehr gut Englisch – aber es gibt ja im Buch viele jiddische Ausdrücke und Sätze. Und darüber haben wir oft diskutiert. Das war übrigens auch noch mal eine Arbeit, die mir eine andere Perspektive auf meine Geschichte verschafft hat. Die neue Übersetzung ist wie eine neue Version. Weil in jeder Sprache neue, emotionale Codes und Möglichkeiten eingebettet sind. Plötzlich kann man ganz andere Sachen spüren und ausdrücken.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Oh, ja! Ich habe das Buch ja nicht in meiner Muttersprache Jiddisch, sondern in Englisch geschrieben. Im Original habe ich also an einer Stelle geschrieben: I would like to have my cake and eat it, too. Auf Jiddisch hätte ich gesagt: auf zwei Chasenas tanzen. Im Deutschen sagt man: auf zwei Hochzeiten tanzen. So steht es jetzt im deutschen Buch und ist somit viel näher am Jiddischen und damit auch an meinen wahren Lebenserfahrungen. Deshalb sage ich auch meinen Lesern, dass sie das Buch, wenn möglich, lieber auf Deutsch lesen sollen. Weil es, finde ich, in gewisser Hinsicht viel authentischer ist.

Weil Sie in Ihrer Kindheit ausschließlich Jiddisch sprechen durften, Englisch ist in der Satmar-Gemeinde in Williamsburg, New York, in der Sie aufwuchsen, verpönt, es wird nicht gesprochen. Wie haben Sie es eigentlich geschafft, sich selbst als Kind Englisch beizubringen?

Ich hatte als Kind schon eine ganz wilde Vorstellungskraft, darum geht es ja auch viel im Buch. Für die Vorstellung aber braucht man Worte – und auf Jiddisch gibt es leider – zumindest in dem Dialekt, den meine Gemeinschaft spricht – nur einen sehr beschränkten Wortschatz. Ich habe also nach Worten gesucht, um meine Träume und Phantasien zu beschreiben und ich habe nach Englisch gegriffen, weil es die nächste Sprache war, die außerhalb meiner Gemeinschaft existierte. Es ist aber auch einfach so, dass ich Worte sehr liebe. Deshalb habe ich auch, seit ich vor anderthalb Jahren nach Berlin gezogen bin, relativ schnell Deutsch gelernt.

Nicht wegen Ähnlichkeiten zum Jiddischen?

Auf mein Jiddisch musste ich eher ein wenig verzichten, um Deutsch zu lernen. Das sitzt nämlich am selben Ort im Gehirn. Deutsch habe ich vor allem schnell gelernt, weil ich immer neue Worte suche, in immer neuen Sprachen. Weil: je größer der Wortschatz, desto größer das Spektrum an Empfindungen. Es wäre ideal für mich als Schriftstellerin, wenn ich alle Sprachen sprechen würde. Dann hätte ich Zugang zu allen Formen von Empfindungen.

Das Sprachen-Lernen war nur der erste Schritt für Sie, die Gemeinde zu verlassen. Was war – nachdem Sie erst mal weg waren – das Schwerste für Sie?

Das ist schwer zu sagen. Es ist natürlich hart, dass man verfolgt wird, nicht in Ruhe gelassen wird. Es ist schwer, dass man erst

mal keine Identität hat, nicht weiß, wer man ist. Und natürlich ist es auch ein Kulturschock: Man kommt aus dieser sehr altmodischen, sehr auf die Vergangenheit fokussierten Welt – und landet in dieser sehr konsumorientierten, sehr kapitalistischen Welt. Da gibt es keine Brücken, die man bauen kann, weil die Werte so weit auseinanderliegen.

Obwohl Sie an einer Stelle im Buch – als Sie verheiratet und mit schönen Dingen überhäuft werden – selbst beschreiben, wie schnell man sich von Konsum einlullen lassen kann.

Ich habe das schnell bemerkt, aber es trotzdem erst mal auf mich wirken lassen, ja. Ich habe die Sachen angefasst und gewusst, was sie damit bezwecken wollen – mich besänftigen – und fand es trotzdem gut. Am Ende des Buches gibt es ja auch die Szene, in der ich mir eine schicke Sonnenbrille kaufe. Da verfalle ich noch mal kurz diesem American Dream: Wenn ich mir all’ das kaufen kann, wird alles gut. Was natürlich kompletter Quatsch ist. Das übrigens mag ich auch an Berlin – es gibt viele antikapitalistische Orte – obwohl sich das in den vergangenen Jahren auch stark geändert hat: etwa die ganze Öko-Nazi-Bewegung. Die wollen etwas anders machen, geben aber trotzdem viel Geld aus. Ich kann nie ganz glauben, dass die Leute nicht merken, wie sie manipuliert werden.

Nachdem Sie die Satmar-Gemeinde verlassen hatten, mussten Sie auch erst mal finanziell sehr kämpfen.

Ja, ich war sehr arm und hatte kein soziales Netz – das ist in den Staaten ohnehin schlimm für alleinerziehende Mütter, und noch mal schlimmer, wenn man Anwälte bezahlen muss.

Dabei ging es um das Sorgerecht für Ihren Sohn?

Ja, häufig ist es so, dass Kinder entführt werden, wenn jemand versucht, diese Gemeinschaft zu verlassen. Und die Gerichtsprozesse werden oft so sehr in die Länge gezogen, dass die Richter irgendwann sagen: Jetzt lebt das Kind schon so lange dort, es ist besser, es bleibt auch dort. Ich kannte eigentlich nur Fälle wie meinen, in denen die Frauen das Kind verloren haben. Mir hat geholfen, dass ich schon meinen Blog hatte und eine Art öffentliche Person war. Aber es hat auch geholfen, nach Berlin zu ziehen.

Warum eigentlich gerade Berlin?

Berlin ist ein besonderer Ort in der westlichen Welt, es gehört nicht wirklich zu einem Land. Es ist heute die künstlerische Hauptstadt Europas, das, was Paris in den 1920er-Jahren war. Hier fühlen sich alle sehr frei, es ist nicht von Traditionen beschränkt. Hoffentlich bleibt es so.

Viele fürchten, dass es sich ändert.

Ich bin eher optimistisch. Ich verstehe, dass viele Angst haben, dass sich etwas am Status Quo verändert. Ich habe eine ganz andere Perspektive: Ich weiß, man muss sich an Veränderungen anpassen und einfach daran arbeiten, dass sie funktionieren. Es funktioniert nie, starr bei etwas zu verharren.

Sie wollen hier bleiben?

Ja, obwohl ich gerade sehr hart kämpfen muss, um die deutsche Staatsangehörigkeit zu bekommen. Seit anderthalb Jahren bemühe ich mich darum – am Anfang war das schon sehr schmerzhaft und auch traumatisierend, es hat mich auch gelehrt, wie schwierig es in Wahrheit für Juden ist, nach Deutschland zurückzukommen. Auf dem Papier sieht alles erst mal super aus – bis man merkt, dass kaum jemand weiß, wie die Regularien genau sind und dass es keinen Willkommensteppich gibt. Das ist schade. Ich glaube, es gibt viele, die zurückkommen wollen – und ich glaube, Deutschland braucht das auch.

Wäre es in den USA nicht leichter? Weniger Antisemitismus etwa?

Außerhalb von New York existiert einfach eine andere Art – ein amerikanischer, eher ignoranter – Antisemitismus. Der ist überall. Mir ist es lieber, an einem Ort zu leben, an dem es einen offenen Dialog darüber gibt. In New York etwa habe ich Occupy Wallstreet sehr unterstützt – bis ich eines Tages Leute etwas von „Monkey Jews“ schreien hörte, die angeblich alles kontrollierten. Da wurde mir klar: Das war immer da, und ich kann auch von dieser Bewegung kein Teil werden. So wie jede Bewegung mich immer irgendwie ausgeschlossen hat. Die Idee von Juden ist überall, dass sie die Welt kontrollieren.

Auch in Berlin.

Auch hier fühlt die jüdische Gemeinschaft extremen Druck von allen Seiten: von der Regierung, die will, dass alles gut läuft, von Muslimen, die ihren Antisemitismus mitbringen und von deutschen Linken. Deshalb sitzen alle innerlich auf gepackten Koffern. Das ist furchtbar: Dass viele nicht verstehen, wie sie dazu beitragen, diesen Druck zu kreieren.

Das Gespräch führte Ariane Lemme

Deborah Feldman liest am heutigen Donnerstag um 20 Uhr in der Buchhandlung Victoriagarten, Geschwister-SchollStraße 10, aus „Unorthodox“

Zur Person: Deborah Feldman, 1986 in New York geboren, wuchs in der chassidischen Satmar-Gemeinde in Williamsburg, New York, auf. Ihre Muttersprache ist Jiddisch. Sie studierte am Sarah Lawrence College Literatur. Ihre autobiographische Erzählung „Unorthodox“ erschien 2012 zuerst bei Simon & Schuster und landete auf Anhieb auf der Bestseller-Liste der New York Times – mit einer Millionenauflage.

2014 veröffentlichte sie ihr zweites Buch, „Exodus“ bei Pinguin. „Unorthodox“ erschien in diesem Frühjahr im Berliner Secession-Verlag auch auf Deutsch. Heute lebt die Autorin als Schriftstellerin mit ihrem Sohn in Berlin.

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