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Kurz vor der Wahl am 1. September versetzt Innenminister Karl-Heinz Schröter einen Kritiker der Kennzeichenspeicherung.
© Ralf Hirschberger/dpa

Umstrittene Kennzeichenspeicherung: Innenminister Schröter stellt Kritiker kalt

Beim Thema Kennzeichenspeicherung spielt Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) vor der Landtagswahl auf Zeit. Gleichzeitig wird der schärfste Kritiker dieser Polizeipraxis versetzt. Ein Zufall?

Potsdam - Bei der umstrittenen Kennzeichenspeicherung durch die Brandenburger Polizei versucht Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) offenbar das aus Sicht von Datenschützern äußerst heikle Thema zum Ende der Legislatur versanden zu lassen – und gleichzeitig klammheimlich Kritiker abzustrafen. 

Bei der letzten Sitzung des Innenausschusses vor der Sommerpause und der Landtagswahl am 1. September konnte Schröter (SPD) am Donnerstag keine Ergebnisse der mit Vertretern von Polizei und Ministerium besetzen Arbeitsgruppe vorlegen. 

Der Vermisstenfall Rebecca Reusch hatte Speicherung öffentlich gemacht

Diese war am 3. Mai eingesetzt worden, um die strittigen Fragen zu klären, die durch den Vermisstenfall Rebecca Reusch in Berlin publik geworden waren. Er hoffe, dass vor seinem Urlaub in zwei Wochen Ergebnisse vorlägen, so Schröter, es könne aber auch noch länger dauern, denn hier gehe Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Erst dann könne auch entschieden werden, ob es personelle Konsequenzen geben müsse.

Die gibt es allerdings bereits: Der bisherige Leiter der Polizeiabteilung im Ministerium, Herbert Trimbach, soll die Leitung der Abteilung 2 übernehmen, die sich um Wahlen kümmert. Das gab Schröter im Ausschuss nicht proaktiv, sondern auf Anfrage des CDU-Abgeordneten Björn Lakenmacher bekannt – und betonte ausdrücklich, dass die Personalie rein gar nichts mit dem Streit um die Kennzeichenspeicherung zu tun habe. Trimbach gilt aber als größter Kritiker der Speicherungspraxis und hat sich mit seiner Meinung gegen Polizeipräsident Hans-Jürgen Mörke gestellt.

Versetzung gegen den Willen

Die Versetzung geschieht jedenfalls offenbar gegen den Willen Trimbachs. Trimbach hat sich einen Anwalt genommen – und zwar ausgerechnet Rudolf Zeeb, der von 2009 bis 2014 Staatssekretär im Innenministerium und dann bis zu seiner Versetzung in den einstweiligen Ruhestand 2016 Chef der Staatskanzlei war. Schröter habe die Personalie im Ausschuss publik gemacht, ohne dass sein Mandat die Verfügung bereits erhalte habe, sagte Zeeb den PNN. Er werde Trimbach empfehlen, Rechtsmittel gegen die Versetzung einzulegen, sobald die Verfügung auf dem Tisch liege. 

Schröter begründete den Wechsel im Ausschuss damit, dass die Abteilung 2 nach dem Ruhestand der bisherigen Leiterin unbesetzt sei – was vor der Landtagswahl im September aber nicht gut sei, weil die Abteilung eben auch für den Bereich Wahlen zuständig sei. Die Versetzung gelte zunächst für fünf Monate. Die Polizeiabteilung soll Trimbachs Stellvertreter Klaus Küppers leiten.

Kennzeichenerfassung im Dauerbetrieb

Dass es divergierende Meinungen zur Kennzeichenspeicherung zwischen Ministeriumsabteilung und Polizeipräsidum gibt, war schon länger bekannt. Es sei aber normal, dass es bei einem rechtlich so komplexen Thema unterschiedliche Ansichten gebe, wiederholte Schröter im Ausschuss die Worte seines Sprechers vom Vortrag. Die Arbeitsgruppe müsse nun jeden Einzelfall, in dem die automatische Kennzeichenerfassung (Kesy) auf Grundlage der Strafprozessordnung auf Brandenburgs Autobahnen zum Einsatz kam, prüfen, so Schröter. Dabei gehe Gründlichkeit vor Schnelligkeit.

Im Vorjahr waren es 95 Fälle, bei denen auf Antrag der Staatsanwaltschaften und anschließenden Richterbeschluss Autokennzeichen von Kameras erfasst und gespeichert wurden. Das Problem aus Sicht von Datenschützern: Durch die Vielzahl der Fälle läuft die Kennzeichenerfassung quasi rund um die Uhr im Dauerbetrieb, wie Vize-Polizeipräsident Roger Höppner in der vorherigen Sitzung des Innenausschusses vor vier Wochen eingeräumt hatte. Die Grünen fürchten eine „Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür“. Clemens Arzt, Rechtswissenschaftler der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, äußerte ebenfalls frühzeitig Bedenken an der Rechtmäßigkeit der Brandenburger Praxis.

In anderen Bundesländern Ausmaß unbekannt

Auch Brandenburgs Datenschutzbeauftragte Dagmar Hartge hält das nun erst durch den Fall Rebecca zufällig bekannt gewordene Ausmaß der Datenerfassung für bedenklich. „Die Vielzahl von Fällen, in denen auf Grundlage der Strafprozessordnung die Kennzeichenerfassung eingesetzt wird, führt zwangsläufig zu dem Problem, dass zumindest im Vorjahr die Brandenburger Autobahnen komplett überwacht wurden“, sagte Hartge am Donnerstag den PNN. Diese Dauerüberwachung sei auch insofern „irritierend“, weil aus anderen Bundesländern so ein Ausmaß nicht bekannt sei. Sie hält eine Berichtspflicht des Ministeriums gegenüber den Abgeordneten auch für diese Fälle für notwendig. 

Bislang wird im Innenausschuss nur einmal im Jahr darüber Bericht erstattet, welche kurzfristigen Kennzeichenüberwachungen auf Grundlage des Polizeigesetzes durchgeführt wurden. Meist es geht es dabei um Vermisstenfälle mit Suizidgefahr. Die nun in Rede stehende Kesy-Nutzung betrifft hingegen Strafverfolgung bei schweren Straftaten. Darüber wurden die Abgeordneten bislang nicht informiert. 

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