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Riesige Maschinen haben die Lausitz seit Jahrzehnten auf der Suche nach Braunkohle durchwühlt.
© dpa

Neue Energiestrategie für Brandenburg: Gerber schränkt für die Braunkohle den Klimaschutz ein

Brandenburgs Wirtschaftsminister Albrecht Gerber lässt die Energiestrategie des Landes überarbeiten und schleift bisherige Ziele. Der Ärger ist groß - bei den Grünen, aber auch in der rot-roten Koalition.

Potsdam - Es war eine Volte mit Ansage. Beim Branchentag des Windenergieverbandes vor wenigen Tagen in Potsdam forderte Brandenburgs Wirtschaftsminister Albrecht Gerber (SPD) mehr Ehrlichkeit in der Energiepolitik und nannte den Abschied von der klimaschädlichen Braunkohle kurz nach dem Atomausstieg utopisch. „Wir dürfen das Schiff nicht versenken, bevor wir das sichere Ufer erreicht haben“, lautete Gerbers Diagnose zum Stand der Energiewende.

In der Praxis bedeutet dies in Brandenburg aber den Abschied von den einstigen Zielen im Klimaschutz. Gerber lässt derzeit die alte „Energiestrategie 2030“ für Brandenburg überarbeiten. Verzögert worden ist das durch den Verkauf der Lausitzer Tagebaue und Kraftwerke vom schwedischen Staatskonzern Vattenfall an den tschechischen Energieriesen EPH im vergangenen Jahr. Nun firmiert alles unter dem Namen Lausitz Energie Bergbau AG (Leag). Und die Leag hat im Frühjahr ihr neues Revierkonzept vorgelegt. Damit ist der wirtschaftliche Abschied von der Kohle absehbar. Doch bis es soweit ist, soll in der Lausitz weiter kräftig Braunkohlestrom produziert werden. Und genau darauf richtet Gerber nun Brandenburgs Klimaschutzziele aus – dem Vernehmen nach mit Rückendeckung von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD).

Geschehen ist seit der Jahrtausendwende kaum etwas

Bislang sah die Energiestrategie des Landes vor, den Ausstoß an Kohlendioxid bis 2030 im Vergleich zum Referenzjahr 1990 um 72 Prozent auf 25 Millionen Tonnen zu senken. Geschehen ist seit der Jahrtausendwende kaum etwas, Brandenburgs jährlicher CO2-Ausstoß mit rund 60 Millionen Tonnen nahezu gleichbleibend hoch. In dem Entwurf für die neue Energiestrategie ist nur noch ein Minus von 55 bis 62 Prozent auf dann rund 41 Millionen Tonen CO2 pro Jahr vorgesehen.

Die Rahmenbedingungen sind klar: Einen Neubau des Kraftwerks Jänschwalde mit CO2-Speichertechnik wird es – wie in der alten Energiestrategie vorgesehen – nicht geben. Auch wenn es paradox erscheint, selbst die Tagebaupläne hat die Leag eingestampft. Das Unternehmen geht davon aus, dass mit dem Tagebau Jänschwalde im Jahr 2023 Schluss ist. Den einst geplanten Tagebau Jänschwalde- Nord wird es nicht geben. Ob die Grube Welzow-Süd II südwestlich von Cottbus kommt, entscheidet sich erst 2020. Das alte Kraftwerk Jänschwalde aber, das zu den dreckigsten Europas zählt, soll bis 2033 in Betrieb bleiben.

Zwar führt Gerber für die Umkehr auch Industrie und Verkehr an, die stärker gewachsen seien als erwartet. Und er verweist darauf, dass Brandenburg mit den neuen Vorgaben auf einer Linie mit den Klimaschutzzielen der Bundesregierung bis 2030 liege, wonach die CO2-Emissionen um mindestens 55 Prozent reduziert werden soll. Doch ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass Gerber nicht einmal diese Ziele einhalten wird. Das geht aus einer Studie hervor, die das Institut Prognos für das Wirtschaftsministerium erstellt und mit Stand 30. Juni vorgelegt hat.

Selbst in der rot-roten Koalition brodelt es

Demnach würde Brandenburg sich zwar am alten Energiekonzept der Bundesregierung von 2010 orientieren, nicht aber den 2016 beschlossenen Klimaschutzplan 2050 einhalten. Demzufolge soll allein der Stromsektor bis 2030 rund 180 Millionen Tonnen CO2 weniger ausstoßen. Noch viel weiter sind Gerbers Pläne laut Studie davon entfernt, die Ziele des Pariser Klimavertrages einzuhalten. Stattdessen folgt Gerber einem von Prognos entwickeltem Basisszenario. Das orientiert sich laut den Gutachtern am „Status quo“ der Leag, berücksichtigt lediglich die aktuelle Gesetzeslage und verfehlt die deutschen Klimaziele.

Prognos hat zwei weitere, weitaus ambitioniertere Szenarien durchgerechnet, orientiert an den Klimazielen der Bundes, in einer zweiten Stufe am Pariser Klimaabkommen und der Vorgabe, die Erderwärmung um zwei Grad zu begrenzen. Dafür müssten die Kraftwerke – neben Jänschwalde auch Spremberg und das sächsische Boxberg – bis 2030, spätestens aber bis 2040 abgeschaltet werden. Mit Gerbers Basisszenario aber könnte die Braunkohleverstromung „über 2040 hinaus erhalten bleiben“, heißt es in dem Gutachten. Der Preis: Nicht der Klimaschutz, auch die Vorgaben für das Energiesparen und den Ausbau der Erneuerbaren würden abgespeckt.

Für die Potsdamer Bundestagsabgeordnete Annalena Baerbock (Grüne) ist Gerbers Schwenk ein fatales Signal. „Brandenburg hätte die Chance gehabt, mit der neuen Energiestrategie den Strukturwandel in der Lausitz zu gestalten. Jetzt einfach die Hände in den Schoß zu legen und abzuwarten, ist die schlechteste Option für alle.“ Selbst in der rot-roten Koalition brodelt es. Der parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion im Landtag, Thomas Domres, bezeichnete Gerbers Vorstoß schlicht als „Überlegungen eines SPD-Ressorts“, die längst nicht verbindlich seien. „Ob es die gemeinsame Sichtweise in der Koalition und in der Regierung sein wird, ist offen“, sagte Domres. Er verwies auf den rot-roten Koalitionsvertrag: Demnach „soll der Ausstoß von Kohlendioxid bis 2030 gegenüber dem Referenzjahr 1990 um 72 Prozent gesenkt werden“. 

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