Braunkohle: Revierkonzept für die Lausitz: Leag sagt der Politik: It's the economy, stupid!
Der neue Eigentümer will in der Lausitz weniger Braunkohle fördern, kleinere Tagebaue öffnen. Was bedeutet das Vorgehen der Leag für die Region? Eine Analyse
Cottbus - Damit hatte niemand gerechnet. Als Helmar Rendez am Donnerstagabend um 19 Uhr in der Cottbuser Unternehmenszentral der Lausitz Energie (Leag) vor die Presse trat, sorgte er für eine knallharte Überraschung. „Wir sind uns bewusst, dass wir mit dem Lausitzer Revierkonzept eine weitreichende Entscheidung getroffen haben“, sagte der Leag-Vorstandschef. Denn dieses Konzept skizziert die Zukunft der Braunkohle in der Lausitz „in den kommenden 25 bis 30 Jahren“ – und damit den langsamen Ausstieg.
Dabei haben die Landesregierungen in Brandenburg und Sachsen alles versucht, für die Kohletagebaue und die Kraftwerke möglichst optimale Bedingungen zu schaffen. Einen schnellen Ausstieg aus der Kohle, von dem 8000 direkt Beschäftigte und Tausende weitere indirekt betroffen sind, wollen sie unbedingt vermeiden. Die Jobs, die Familien, die Schicksale der Arbeitnehmer in den Gruben und Kraftwerken stellten sie gegen die Klimaschutzpolitik. Als 2014 bekannt geworden war, dass der schwedische Staatskonzern Vattenfall seine Lausitzsparte verkaufen will, suchte die Landesregierung schnell den Kontakt zu den heutigen Inhabern, dem tschechischen Energiekonzern EPH und dem Investmentunternehmen PPF. Das Wirtschaftsministerium pochte in den Gesprächen sogar darauf, dass ein „neuer, wirtschaftlich starker Investor“ ein „langfristiges, strategisches Engagement“ in der Lausitz gewährleisten müsse. Zugleich wiesen die Ministerialen immer wieder auf die „politischen Vorleistungen“ hin.
Nachdem die Tschechen im Herbst 2016 in der Lausitz übernahmen, war über Monate unklar, was nun werden wird. Zumal die Eigner umstritten sind, die Unternehmenstruktur undurchsichtig mit Offshore-Gesellschaften in den Steuerparadiesen Nikosia auf Zypern und der britischen Kanalinsel Jersey. Ihr Ruf: Gewinne rigoros abszuchöpfen. Schon im Sommer 2016 sagte ein leitender Beamter im Brandenburger Wirtschaftsministerium vorausahnend über die Investoren: „Die rechnen spitz, das sind die Männer mit den Excel-Tabellen.“ Die Bilanzen sind auf Kante genäht, es wird hart kalkuliert, der Gewinn muss stimmen. In der Lausitz und im politischen Potsdam fragten sich viele: Wie ernst meinen es die Tschechen mit der Lausitz?
Sehr ernst – das machte Helmar Rendez klar. Aber anders als die Landesregierungen erwartet hatten. Es bleibt beim Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis 2020, ebenso beim Sponsoring in Kultur und Sport. Aber beim Kerngeschäft, der Braunkohle, hat die Leag aufgezeigt, was nicht geht. Und wovor sich die Landesregierungen lange gedrückt haben, auch dass hat nun die Leag übernommen, nämlich Klartext reden: Die Braunkohle rechnet sich unter den aktuellen Bedingungen langfristig nicht mehr. Die Leag spricht denn auch von einer „konsolidierten Revierplanung“.
Deshalb wird nun trotz weit gediehender Genehmigungsverfahren und Umsiedlungspläne nur ein kleiner Teil des Tagebaus Nochten II im Sächsischen aufgebaggert. Statt 1700 müssen nur 200 Menschen umgesiedelt werden. Dass der Tagebau Jänschwalde-Nord nicht kommt, war zuvor schon klar. Der bestehende Tagebau Jänschewalde läuft 2023 aus, das Kraftwerk soll bis 2033 abgeschaltet werden. Und über die Kohlegrube Welzow-Süd II soll 2020 entschieden werden, je nach der Großwetterlage – wie es weiter geht mit dem Atomausstieg, in der Klima- und Energiepolitik.
Die Leag habe „in besonderem Maß die bestehenden und abzusehenden regulatorischen Eingriffe der Europa- und Bundespolitik in die Energiewirtschaft und den Strommarkt berücksichtigen“ müssen, sagte Rendez. Die Bundespolitik wolle offenbar „Deutschlands Klimaziele im Wesentlichen auf dem Rücken der Braunkohle zu erreichen“. Dass die Lausitzer Kohlekraftwerke, teils die dreckigsten in Europa, mit ihrem hohen Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) wahre Klimakiller sind, erwähnte Rendez nicht.
Die Politik gibt sich entsprechend schmallippig, sie wurde kalt erwischt. Brandenburgs Wirtschaftsminister Albrecht Gerber (SPD) lobte, nun gebe es Planungssicherheit und Stabilität für die Region. Er appellierte an den Bund, für stabile Rahmenbedingungen zu sorgen und verlor in einer Erklärung viele Worte über die Bedeutung der Kohle für die sichere Stromversorgung und die Energiewende. Das Entscheidende aber erwähnte er nur in einem Satz: Der Bund müsse sich an der laufenden Strukturentwicklung in der Lausitz beteiligen.
Aber genau das hatte die Landesregierung über Jahre verpasst, den Strukturwandel für das absehbare Ende der Kohle aktiv zu gestalten. Erst in den vergangenen beiden Jahren versuchte sie, konkret Wirtschaftsstaatssekretär Hendrik Fischer, im Hintergrund in der Region umzusteuern und Überzeugungsarbeit zu leisten – während Gerber auf offener Bühne weiter der Kohle das Wort redete. Ende 2016 bemängelte das Bundeswirtschaftsministerium, die Region habe noch „kein systematisches Verfahren, um zu konkreten Projekten zu kommen“.
Und während die mächtige Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) am Donnerstag jubelte, die Beschäftigten könnten aufatmen, es werde keinen strukturpolitischen Blackout geben, scheinen die Beschäftigten schon weiter zu sein. Sie wurden am Freitag in Belegschaftsversammlungen informiert. „Die Stimmung war sehr ruhig“, sagte Rüdiger Siebers, der Gesamtbetriebsratsvorsitzende der Leag- Bergbausparte. Wohl habe manch einer mehr erhofft, aber es gebe jetzt bis zu 30 Jahre Planungssicherheit. Jedem sei klar, dass die Braunkohleförderung endlich sei. Jetzt müsse die Chance genutzt werden, neue Jobs zu schaffen – etwa mit Energiespeicherung oder Elektromobilität. Der Cottbusser Handwerkskammerpräsident Peter Dreißig sagte: „Wir alle müssen jetzt bei der Strukturentwicklung der Region Gas geben.“ Auch Leag-Chef Rendez deutete etwas an: Das Unternehmen wolle „neue Geschäftsfelder mit den Fokus auf den Energiebereich auf den Weg bringen“. Die Politik ist in Zugzwang. Und muss eingestehen: It’s the economy, stupid!
nbsp;Alexander Fröhlich
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