Serie zur Landtagswahl 2019: Fehlende Infrastruktur: Unzufriedenheit auf dem Land
Die Brandenburger Bevölkerungszahl stabilisiert sich entgegen früherer Prognosen. Doch wer auf dem Land lebt, dem fehlt es an Infrastruktur.
Potsdam - Es bleibt ein weites Feld, dieses Brandenburg. Der Alltag in den Dörfern, die die Mark prägen, hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten fundamental verändert. Noch in den 90er Jahren nach der Wiedervereinigung hatte es in fast jedem Ort ein Lebensmittelgeschäft, einen Bäcker und einen Fleischer gegeben. Und, natürlich, auch eine Kneipe. Inzwischen sind die Läden und Kneipen vor allem aus kleinen Dörfern meist verschwunden.
Es gibt Ideen, die Landregionen zu stabilisieren
Es ist Verdienst des Landesparlamentes in der jetzt endenden Legislaturperiode, die lange vernachlässigten Landregionen wieder in den Fokus gerückt zu haben: Eine Enquete-Kommission des Landtags aus elf Abgeordneten und sechs Experten hat nach mehrjähriger Arbeit im Mai 2019 ihren Abschlussbericht zur „Zur Zukunft der ländlichen Räume“ vorgelegt. Auf 267 Seiten finden sich darin viele Empfehlungen, wie die Landregionen stabilisiert werden könnten.
Im Kern ist ein Paradigmenwechsel vollzogen worden. Den beschrieb Jens Graf, Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes von Brandenburg so: „Die Rückzugspolitik ist beendet.“ Gemeint sind die früheren Jahrzehnte von Schließungen, Rotstift und Behördenfusionen.
Pessimistische Prognosen in den Vorjahren
Das war vorher der Kurs, der insbesondere die Amtszeit des damaligen SPD-Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (2002 bis 2013) geprägt hatte. Grundlage waren pessimistische Prognosen zu den Landesfinanzen und zu weiter stark sinkenden Bevölkerungszahlen, vor allem in den Regionen fernab von Berlin: Prompt wurde ein Abbau bei Polizei und Landespersonal eingeleitet, kaum noch in Landesstraßen investiert. Finanziert wurden nur noch Schulbusse auf dem Lande. Der letzte Ausläufer dieser Philosophie war der Versuch einer Kreisgebietsreform, die Nachfolger Dietmar Woidke (SPD) startete, absagen musste, das aber auch konnte. Denn alle Prognosen hatten sich als falsch erwiesen. Der jährliche Landesetat hatte nicht von zehn auf acht Milliarden Euro bis 2019/2020 zusammengestrichen werden müssen, sondern wächst stetig auf jetzt 13 Milliarden Euro, ohne Kredite. Und die Einwohnerzahlen stabilisieren sich selbst in berlinfernen Regionen.
Das Ladensterben kann aufgehalten werden
Für diese hat die Enquete-Kommission sehr detaillierte Vorschläge gemacht. So sollte eine Landesförderung für Nahversorgungsangebote geprüft werden, nach dem Vorbild von Schleswig-Holstein, wo das Land neue „MarktTreffs“ mit Laden, Dienstleistungen und Begegnungsstätte unter einem Dach finanziell unterstützt. Die Botschaft: „Das Ladensterben in den Dörfern kann aufgehalten werden.“ Angemahnt wird Landesgeld für den öffentlichen Nahverkehr, etwa für Rufbussysteme. Es geht auch um Wertschöpfung, um neue Jobs, etwa im Ökolandbau oder in der Forstwirtschaft: Denn bisher sind in Brandenburg die Hürden in der Bauordnung hoch, wenn man Holzhäuser bauen will. „Diese Chance wird bereits durch andere Länder wie Baden-Württemberg, Berlin und europäische Staaten genutzt.“
Noch entscheidender, gerade für die Landregionen, ist aber ein zügiger Abbau der 23.000 Funklöcher und vieler weißer Flecken beim schnellen Internet. „Alle Brandenburgerinnen und Brandenburger haben Anspruch auf ein flächendeckendes Internetangebot in Gigabit-Geschwindigkeit, spätestens ab 2025.“
Das fordern die Parteien
Und die Parteien? In den Wahlprogrammen versprechen alle, mehr für den ländlichen Raum zu tun. SPD und Linke haben erste Schritte unternommen, nun erhalten kleinere Gemeinden mehr Geld, das Land finanziert auch Mobilfunkmasten. Die Grünen fordern, die von der damaligen Platzeck-Regierung abgeschafften „Grundzentren“ wieder einzuführen. Die CDU will eine „Förderung von Dorfläden und Dorfgaststätten als multifunktionale Dorfgemeinschaftszentren“ und ein „flexibles Rufbussystem“ einführen. Und sie möchte den Landesentwicklungsplan mit Berlin kündigen, damit Restriktionen wegfallen, in den Dörfern leichter gebaut werden kann. Die FDP fordert ein Sanierungsprogramm für die maroden Landesstraßen und will autonom fahrende Verkehrsmittel fördern. Und das Ziel der AfD: „Märkte und Hofläden im ländlichen Raum durch Bürokratieabbau im Genehmigungsverfahren fördern.“
Die Menschen sind resigniert
In der Bevölkerung herrschen nach wie vor Skepsis und Ungeduld. Bus- und Bahnverbindungen, Mobilfunk und Breitband gehören zu den drängendsten Problemen. Schon als die Land-Enquete 2017 in einer Umfrage erhob, womit die Leute in den nächsten zehn Jahren in ihrem Alltag rechnen, war das Stimmungsbild aufschlussreich: Die meisten glaubten, dass es bei Läden, Post, Sportangeboten und Rettungsdiensten bleibt, wie es ist. Eine Mehrheit rechnete bei Internet, Mobilfunk und Pflegeangeboten mit Verbesserungen, bei Nahverkehr, medizinischer Versorgung und sozialen Treffpunkten hingegen mit weiteren Verschlechterungen. Aber vielleicht schafft es ja Brandenburgs nächste Regierung, die Landbevölkerung positiv zu überraschen.