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„Über 20 Eigentümlichkeiten“: Hat die Justiz Brandenburg-V-Mann "Piatto" gedeckt und eine Strafverfolgung verhindert?
© R. Hirschberger/dpa

NSU in Brandenburg: Fall „Piatto“ wird zum Justizskandal

Der Skandal um den Brandenburger V-Mann „Piatto“ zieht immer weitere Kreise und erfasst nun sogar die Justiz: Offenbar war der kriminelle Neonazi mit dem Decknamen schon 1992 V-Mann. Die Justiz schütze ihn vor der Strafverfolgung.

Potsdam - Der Skandal um den Brandenburger V-Mann „Piatto“ weitet sich aus. Über die Landesgrenzen hinaus, und zu einem Justizskandal im Land: Ehe der militante, kriminelle Neonazi Carsten Szczepanski ab 1994 – trotz versuchten Mordes an einem Nigerianer – unter dem Decknamen „Piatto“ für den brandenburgischen Verfassungsschutz gut bezahlt spitzeln durfte, war er womöglich schon zwei Jahre lang V-Mann für das Bundesamt für Verfassungsschutz oder einen anderen Dienst. Diesen Verdacht hat am Donnerstag der Berliner Anwalt Christoph Kliesing im NSU-Ausschuss des Landtages geäußert und plausibel begründet. Er verwies unter Verweis auf Akten auf insgesamt „über 20 Eigentümlichkeiten“ beim Umgang von Sicherheitsbehörden und Justiz mit Szczepanski vor 1994, der Anwerbung als Brandenburger V-Mann.

Kliesing war Nebenkläger von Opfern rechtsextremer Gewalt. Er gilt bundesweit als einer der besten Kenner des Falls „Piatto“. Bekannt wurde bereits, dass „Piatto“ dem Landes-Verfassungsschutz 1998 einen konkreten Hinweis auf den Chemnitz-Aufenthalt des untergetauchten späteren NSU-Mordtrios lieferte, der vom Landes-Geheimdienst aber nur rudimentär und kaum verwertbar an Behörden anderer Länder weitergegeben wurde.

V-Mann „Piatto“: Warum verliefen alle Gerichtsverfahren gegen ihn im Sande oder wurden eingestellt?

Schon 1991/1992 war gegen Szypanski, der eine deutsche Klu-Klux-Clan-Gruppe aufbaute, im Visier der Behörden. Er galt als gefährlich, sodass sogar die Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe gegen ihn wegen Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelte. Am 22. Februar 1992 gab es eine Durchsuchung bei Szypanski. Und auf die, der Anfang der Merkwürdigkeiten, hatte laut Kliesing – nachweisbar in der dem NSU-Untersuchungsausschuss nicht vorliegenden Handakte des Generalbundesanwaltes – vorher der Brandenburger Verfassungsschutz gedrungen. Schriftlich und direkt. Der damalige Chef Wolfgang Pfaff war sogar extra nach Karlsruhe gereist. Und auch das Bundesamt für Verfassungschutz und das Bundeskriminalamt hätten in Tagen davor auffällig oft beim zuständigen Bundesanwalt angerufen, so Kliesing. „Doch über den Tag nach der Festnahme, den 23. Februar, findet sich merkwürdigerweise nichts in den Akten.“ Dabei sei der eigentlich der Wichtigste, weil da die Entscheidung über Freilassung oder Haftbefehl getroffen werden müsste. Am 24. Februar 1992 war Szczepanski aus der U-Haft entlassen worden, nachdem er plötzlich umfassend aussagte. Kliesing vermutet, dass Szczepanski vorher angeworben wurde. Denn danach sei alles anders gewesen. Ab 24. Februar „verlaufen alle Verfahren gegen ihn im Sande oder werden eingestellt.“

So hatte die Generalbundesanwaltschaft im September 1992 andere Straftaten Szczepanskis wie Sprengstoffbesitz zur Verfolgung an die Brandenburger Justiz zurückgegeben, als das Terrorismusverfahren eingestellt wurde. Immerhin waren bei der Durchsuchung Sprengstoff und justiziable Neonazi-Schriften gefunden worden. Alles war ermittelt. Doch als sich Karlsruhe zwei Jahre später nach dem Stand erkundigte, lagen die Akten „unbearbeitet“ bei der Staatsanwaltschaft Potsdam. „Das ist strafrechtlich eine Strafvereitelung. Für mich ist das mehr als kriminell“, sagt Kliesing. Bald darauf wurde das Verfahren in aller Stille eingestellt. Oder die braunen Hetzschriften, für die immer Szczepanski von der Polizei als Täter ermittelt wurde. Und jedes Mal seien die Verfahren an die Staatsanwaltschaft Potsdam gegangen, blieben liegen und seien „nach sieben Monaten von der Staatsanwältin eingestellt“ worden – wegen Ablauf der Verjährung. Wegen eines abgefackelten Asylbewerberheims in Dolgenbrodt wurde trotz Hinweisen gar nicht erst ermittelt.

Hat sich Szczepanski dem Verfassungsschutz in Brandenburg als V-Mann angeboten - oder wurde er von einem anderen Dienst „entsorgt“?

Und schon im Mai 1992 – keine drei Monate nach Freilassung – hatte Szczepanski mit einer Meute junger Neonazis in Wendisch-Rietz einen Nigerianer fast zu Tode geprügelt. Auch da sei zuerst gar nicht gegen Szczepanski ermittelt worden, und dann zunächst nur wegen Körperverletzung, sagte Kliesing, der das Opfer vertrat. Erst als eine andere Staatsanwältin den Fall übernahm, wurde er als ein Haupttäter angeklagt, 1995 wegen versuchten Mordes zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. In der U-Haft im Sommer 1994, so die bisherige offizielle Version, soll er sich dem Brandenburger Verfassungsschutz als V-Mann angeboten haben. „Eine Legende“, glaubt Kliesing. „Ich denke, er ist von einem anderen Dienst entsorgt worden.“ Und zwar so, dass er nicht zur „tickenden Zeitbombe“ wurde und mit dem Sälär das Verfassungsschutzes ein Einkommen hatte.

Spekulationen um eine frühere V-Mann-Tätigkeit von Szczepanski gab es schon früher. Der NSU-Untersuchungsausschusses hatte per Beweisbeschluss Auskunft vom Bundesamt für Verfassungsschutz verlangt, ob Szczepanski jemals V-Mann der Behörde war. Das Bundesamt lehnt eine Aussage darüber ab.

Und dann gibt es da noch ein Schreiben des damaligen Verfassungsschutzchefs Pfaff an die Frankfurter Staatsanwaltschaft im Jahr 1995, wo er während des Dolgenbrodt-Prozess darauf drang, den wegen versuchten Mordes in Wendisch-Rietz einsitzenden Szczepanski rauszuhalten – unter Verweis auf dessen Kontakte zu „Verfassungsschutzbehörden“. Im Plural. (mit axf)

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