Kritik an NSU-Untersuchungsausschuss Brandenburg: Beamtenwohlgefährdend
Das Brandenburger Aktionsbündnis gegen Rechtsextremismus zieht zur Halbzeit des NSU-Untersuchungsausschusses eine bittere Bilanz.
Potsdam - Das Brandenburger Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit hat am Donnerstag per Mitgliederbeschluss die Halbzeitbilanz des NSU-Untersuchungsausschusses und die wiederholte Blockadehaltung der Landesregierung von SPD und Linke scharf gerügt. Bislang könne keine Rede davon sein, „dass brandenburgische Behörden zu einer lückenlosen Aufklärung beitragen – im Gegenteil“, heißt es in dem Beschluss. Darin fordert das Bündnis, dass das Innenministerium von seinem bisherigen Kurs abrückt.
Die Geschäftsstellenleiterin des Aktionsbündnisses, Anna Spangenberg, sagte den PNN, der Untersuchungsausschuss, das schärfste Instrument des Parlaments, teils mit Gerichtsbefugnissen, lasse sich von den Behörden und den Ministerien für Inneres und Justiz vorführen. „Das Parlament hat den Ausschuss beschlossen, Aufklärung versprochen, verstärkt mit der Aussage, dass wir das den Angehörigen der NSU-Opfer schuldig sind. Und dann lässt sich der Ausschuss von den Behörden immer wieder in die Warteschleife setzen“, so Spangenberg.
Konkret monierte sie die Einstufung ganzer Aktenbände als geheim aufgrund einzelner Blätter sowie die Vernehmung zahlreicher Zeugen im Geheimschutzraum des Landtags unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Das sei auf Druck des Innenministeriums geschehen. „Das wird dann damit begründet, dass die Veröffentlichung dieser Informationen staatswohlgefährdend sei. Tatsächlich würde es wohl eher das Wohl einiger Beamter gefährden. Und die Ausschussmitglieder machen das mit“, kritisiert Spangenberg.
Am Auslöser für die Einsetzung des Ausschusses im Frühjahr 2016, nämlich dem wiederholten Blockadeverhalten Brandenburgs und seiner Beamten gegenüber dem NSU-Ausschuss des Bundestags und im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München, habe sich nichts geändert. Schon damals hatte das Aktionsbündnis eine komplett öffentliche Beweisaufnahme gefordert und gemahnt, die lückenlose Bereitstellung von Akten werde Gradmesser sein für den tatsächlichen Aufklärungswillen der Behörden.
Nun befindet Spangenberg: „Die Lieferung der Akten funktioniert noch immer nicht.“ Die Bündnisleiterin spielt damit auf die Auseinandersetzungen mit dem Innen- und dem Justizministerium um Akten an, womit der Ausschuss zu Beginn monatelang gelähmt war. Landesregierung und Behörden würden ihre frühere restriktive Haltung auch gegenüber dem Untersuchungsausschuss des eigenen Landtags beibehalten. „Ein selbstbewusstes Parlament würde sich das nicht bieten lassen“, sagte Spangenberg. „Brandenburg ist beim Kampf gegen Rechtsextremismus immer vorneweg. Im Ausschuss spiegelt sich das nicht wieder.“
Zunächst hatte sich der Ausschuss mit der Anschlagsserie der „Nationalen Bewegung“ zur Jahrtausendwende, unter anderem auf die Trauerhalle des jüdischen Friedhofs in Potsdam, befasst. Dabei sind zahlreiche Ungereimtheiten zu Tage getreten: Die besondere Nähe von Beamten zu Neonazis, eine durchgestochene Razzia, ein nie aufgeklärter Geheimnisverrat und der nachsichtige Umgang mit bekannten, bundesweit vernetzten Neonazis. In der verbleibenden Zeit bis zum Sommer 2019 soll der Ausschuss sich mit den Unterstützern des NSU-Terrortrios in Brandenburg, der Rolle der Behörden und dem V-Mann Carsten Szczepanski, Deckname „Piatto“, auseinandersetzen. Viel Zeit bleibt also nicht. Deshalb soll es ab 2018 immer zwei Sitzungen pro Monat geben, um das Pensum überhaupt zu schaffen. Der Ausschussvorsitzende Holger Rupprecht hatte daran bereits deutliche Zweifel angemeldet.
Wenn ein Ausschuss transparent und arbeitsfähig sein wolle, dann wären öffentliche Sitzungen und zitierfähige Protokolle auch aus nichtöffentlichen Vernehmungen der Normalfall, so Spangenberg. Als Beispiel führte sie den Thüringer Ausschuss an, wo selbst brisante Zeugen öffentlich aussagen müssen, wenn auch geschützt und unkenntlich.
Zwar hätten die Ausschüsse in Bund und Ländern jeweils erklärt, sich vernetzen und voneinander lernen zu wollen. „Doch in Brandenburg findet das nicht statt – oder es interessiert einfach nicht“, beklagte Spangenberg. Offenbar pflege der Brandenburger Untersuchungsausschuss ein anders Selbstverständnis als aufklärendes Gremium.
Spangenberg machte auch den Ausschussvorsitzenden Rupprecht persönlich für die Lage verantwortlich. „Es gibt genügend Beispiele dafür, wie Ausschussvorsitzende sich sehr deutlich und öffentlich zu Wort melden und die Verzögerungspraxis von Behörden und die Geheimeinstufung von Akten anprangern. Das ist in Brandenburg nicht der Fall“, sagte sie. Dabei gehe es um die Rolle als aufklärender Ausschuss, wie viel Druck er auf die Behörden mache, die dann liefern müssen. Im Bund und in anderen Bundesländern seien dabei alle Fraktionen im Ring gewesen, nicht so in Brandenburg. Der hiesige Ausschuss lasse sich stattdessen von der Behördenbank – wo Vertreter von Innenministerium, Verfassungsschutz und Polizei sitzen – Fragen und Themen bei der Zeugenvernehmung abnicken. Von jenen Behörden, deren Agieren der Ausschuss untersuchen wolle. Besonders belastend sei, dass der Ausschuss seit seiner Einsetzung im Frühjahr 2016 keine einzige Erkenntnis für den NSU-Prozess in München liefern konnte.
Wie groß die Unterschiede sein können, zeigt auch die Entwicklung in Thüringen. Dort sagte Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) am Mittwoch, eine Mitverantwortung seines Landes für die NSU-Terrorserie sei unstrittig. Und die rot-rot-grüne Landesregierung beschloss, dass ein Entschädigungsfonds in Höhe von eineinhalb Millionen Euro für die Opfer der rechtsextremistischen Terrorzelle geschaffen wird. Weil der NSU aus Thüringen zu seiner Mordserie aufgebrochen sei und der Thüringer Verfassungsschutz seinen Anteil daran hatte, dass das Neonazi-Trio so lange unbehelligt blieb.
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