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Reichskanzler Adolf Hitler und der ehemalige Kronprinz Wilhelm von Preußen während der Feier vor der Garnisonkirche am „Tag von Potsdam“.
© Bundesarchiv

Hohenzollern-Streit: Die Totengräber der Republik

Hat Kronprinz Wilhelm dem NS-Regime „erheblich Vorschub geleistet“? Dazu gibt es mittlerweile vier Historikergutachten. Notizen zu einer Kontroverse, die über ihren ursprünglichen Anlass längst hinausgewachsen ist.

Berlin/Potsdam - Wer hätte gedacht, dass sich die Öffentlichkeit noch einmal mit der Aristokratie aus deutscher Vergangenheit ernsthaft beschäftigen würde – mit dem, was der Adel politisch tat und trieb, jenseits von prächtigen Hochzeiten und wohlinszenierten Begräbnissen?

Nein, es war nicht der unlängst begangene 100. Jahrestag der deutschen Revolution vom 9. November 1918, der zu vertiefter Beschäftigung mit den deutschen Fürsten im Allgemeinen und den Hohenzollern im Besonderen anregte. Die zerstoben 1918 wie welke Blätter im Novemberwind, mehr nicht. Es ist ein gegenwärtiger Rechtsstreit, der lange Zeit eher schwelte, bevor er im vergangenen Jahr so recht aufloderte. Es geht um den Anspruch der Familie der Hohenzollern – ein „Haus“ gibt es rechtlich nicht mehr – auf Herausgabe von Tausenden von Kunstwerken, auf Immobilien, im Besonderen um ein Wohnrecht im Potsdamer Schloss Cecilienhof.

Inzwischen gibt es vier Gutachten von Historikern

Der juristische Vorgang ist hinlänglich dargestellt worden, besonders ausführlich in dieser Zeitung durch Thorsten Metzner am 13. Juli 2019. Konnte man damals noch den Beteuerungen der Beteiligten Glauben schenken, man sei „auf gutem Wege“, äußerte sich unlängst selbst Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU), in deren Zuständigkeit die Verhandlungen fallen, enttäuscht. Die Positionen lägen „immer noch sehr weit auseinander“, bekannte sie. „Deshalb schwinden die Hoffnungen, dass man überhaupt noch zu einer fairen und von allen getragenen Einigung kommen kann.“

Unterdessen sind von ausgewiesenen Historikern nicht weniger als vier Gutachten erstellt worden, die die durch das Ausgleichsgesetz aufgeworfene Frage nach dem „erheblichen Vorschub“, den die Hohenzollern oder einzelne Familienmitglieder dem NS-Regime geleistet haben sollen, beantworten sollen. Dann nämlich ist der im Gesetz verankerte Anspruch auf Entschädigung für enteigneten Grundbesitz sowie Herausgabe von beweglichen Gütern verwirkt. Wohlgemerkt geht es ohnehin nur um denjenigen Besitz, der den Hohenzollern 1926 bei der vertraglichen Einigung mit dem Land Preußen als Privat-(Familien-)Besitz zugesprochen worden war. Der aber wurde nach 1945 auf Anordnung der Sowjetischen Militäradministration enteignet. Dass Grundbesitz beim jetzigen Streit von jeglicher Restitution ausgenommen ist, ergibt sich aus dem deutsch-deutschen Einigungsvertrag, in dem die Enteignungen aus der Zeit zwischen 1945 und 1949 als endgültig festgeschrieben wurden.

Wilhelm empfahl, Hitler zu wählen

Ausgerechnet Fernsehkomiker Jan Böhmermann war es vorbehalten, die warum auch immer unter Verschluss gehaltenen Gutachten ins Netz zu stellen und so zu veröffentlichen. Mit diesen vier Gutachten hat der Rechtsstreit eine ganz neue Qualität erhalten – eine, die ihn aus der Sphäre der Rechtsfindung heraushebt, ja sogar seine Fortführung im Grunde unmöglich macht. Denn historische Erkenntnis steht nicht zur Disposition von Gerichten. Auch deswegen setzt das Grundgesetz in Artikel 5, Absatz 3 die Freiheit von Wissenschaft und Forschung absolut: Sie sind als solche nicht justiziabel. Mit den Gutachten aber, die die streitigen Parteien angefordert haben, rückt historische Erkenntnis selbst vor die Schranken des Gerichts.

Zunächst geht es um die Handlungen des Kronprinzen Wilhelm in der Zeit unmittelbar vor und nach Hitlers Machtantritt. Hat Wilhelm, ältester Sohn des abgedankten Kaisers, dem nationalsozialistischen System „erheblichen Vorschub geleistet“, wie es im Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz von 1994 heißt? Bekannt war, dass Wilhelm bei der Reichspräsidentenwahl von 1932 eine Wahlempfehlung zugunsten von Hitler ausgesprochen hat. Ihr war kein Erfolg beschieden. Hindenburg wurde dank der Unterstützung der Parteien der „Weimarer Koalition“ wiedergewählt – und ernannte am 30. Januar 1933 Hitler zum Reichskanzler.

"Tag von Potsdam" als Werbeveranstaltung

Noch einmal spielte der Kronprinz eine öffentliche Rolle: beim „Tag von Potsdam“ am 21. März 1933, mit dem die Eröffnung des am 5. März – schon nicht mehr gänzlich frei – gewählten Reichstags gefeiert wurde. Die Potsdamer Feierlichkeiten waren bewusst mit schwarz-weiß-roten, den alten kaiserlichen Fahnen ausgeschmückt worden, nicht mit Hakenkreuzfahnen. Hitler erschien schwarzgewandet wie ein Staatsmann. „Für die raffiniert organisierte Werbeveranstaltung im konservativen Lager“ – schrieb der Historiker Stephan Malinowski, bester Kenner der Adelsgeschichte im „Dritten Reich“, schon vor Jahren –, „deren symbolisches Zentrum ein leer stehender, für den kommenden Kaiser freigehaltener Stuhl in der Garnisonkirche bildete, stellte das Haus Hohenzollern einen Kronprinzen in der Uniform der Totenkopf-Husaren, Prinz August Wilhelm als SA-Brigadeführer und die Prinzen Oskar und Eitel Friedrich in Stahlhelm-Grau zur Verfügung.“

Tatsächlich spielten weder der im Volksmund „Auwi“ genannte Prinz August Wilhelm noch sein Bruder Wilhelm innerhalb der Nazi-Partei eine Rolle. Malinowski, mittlerweile in Edinburgh lehrend, hat diese Sicht in seinem bereits 2014 vorgelegten, 107 Seiten starken Gutachten nochmals unterfüttert.

Ein Gutachten unternimmt eine Ehrenrettung Wilhelms

Christopher Clark, in Cambridge lehrender Preußen-Historiker, benötigt nur 19 Seiten, um in seinem Gutachten zum Schluss zu kommen, Wilhelm habe dem NS-Regime „keinen erheblichen Vorschub geleistet“: „Seine Handlungen waren nicht dazu geeignet, die Bedingungen für die Errichtung, die Entwicklung oder die Ausbreitung des nationalsozialistischen Systems zu verbessern.“ Doch Clark stellt dem Prinzen keinen moralischen Persilschein aus: Dass Wilhelm Hitler keinen erheblichen Vorschub geleistet habe, „war nicht Folge einer grundsätzlichen Opposition gegen das Regime oder auch nur einer ,inneren Distanz‘ gegenüber den Zielen des Regimes .“

Nun aber hat der vierte Gutachter, der Stuttgarter Historiker Wolfram Pyta, Autor einer monumentalen Hindenburg-Biografie, eine regelrechte Ehrenrettung Wilhelms unternommen. Ihn hält er in seinem 154-Seiten-Opus für einen aktiven Betreiber der „Querfront“-Bemühungen des späten Jahres 1932. Gemeint ist damit der Versuch des undurchsichtigen letzten Reichskanzlers der Weimarer Republik, Kurt von Schleicher, eine „Front“ von den Gewerkschaften bis hin zu „linken“ Teilen der NSDAP um Gregor Strasser zu bilden, um den an die Macht drängenden Hitler zu verhindern. Das ging sehr schnell schief; Hitler hatte von den Plänen erfahren und setzte sich in der Partei durch, Strasser trat am 8. Dezember von allen Parteiämtern zurück (und wurde, wie von Schleicher, im Zuge des sogenannten „Röhm-Putsches“ im Juni 1934 von der SS ermordet). Gleichwohl behauptet Pyta nun, „in der politisch bewegten Endphase der Weimarer Republik“ habe „Kronprinz Wilhelm einen überaus aktiven Part bei der Verhinderung einer Kanzlerschaft Hitlers gespielt“. Den obskuren Kronzeugen, den Pyta für geheime Absprachen des Prinzen mit Schleicher aufruft, hat die Historikerzunft bislang nicht gekannt.

Wilhelm war begeistert von Mussolinis Faschismus

Zur Darstellung der Endphase der Weimarer Republik in allen Gutachten hat der Freiburger Historiker und ausgewiesene NS-Forscher, Ulrich Herbert, angemerkt, es verstärke sich „das Bild einer traditionellen Rechten, die die Demokratie abschaffen, aber sich nicht von den Nationalsozialisten ausbooten lassen wollte und alle Varianten einer antirepublikanischen Rechtsregierung mit und ohne Nazis durchspielte“. Wilhelm sei „seit langer Zeit auf die Zerstörung der Republik ausgerichtet gewesen“. Die Gutachter Malinowski sowie Peter Brandt – beide von der Brandenburger Landesregierung beauftragt – haben denn auch etliche Belege zusammengetragen, die Wilhelms Begeisterung für Mussolini und den italienischen Faschismus bereits in den zwanziger Jahren belegen.

Was also bleibt als Erkenntnisgewinn? Dass die Hohenzollern alles andere als Freunde der Republik waren, wusste man seit jeher. Dass sie eine Rolle beim Machtübergang auf Hitler gespielt hätten, wird man, wie radikal sich die Prinzen auch immer gebärdet haben, weiterhin nicht annehmen wollen.

„So viel gibt jedenfalls die Mikrogeschichte des Kronprinzen am Ende nicht her“, bilanziert der Freiburger Historiker Jörn Leonhard, Autor eines maßstabsetzenden Buches über die Versailler Friedensordnung, „als dass wir auf dieser Grundlage die Geschichte Weimars oder der Machteroberung durch die Nationalsozialisten neu schreiben müssten.“

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