Prozess gegen Nauener Neonazis: Der Wille einer Gruppe
Ab Donnerstag müssen sich NPD-Mann Schneider und andere vor dem Landgericht Potsdam verantworten. Bei der Polizei herrscht Unmut, weil die Staatsanwaltschaft nur mit gebremster Härte vorgeht. Was der Neonazi-Zelle in Nauen vorgeworfen wird - und was nicht.
Nauen/Potsdam - Es war der schwerste rechtsextremistische Brandanschlag seit Jahren in Brandenburg, dabei wurde im August 2015 im havelländischen Nauen eine als Asylunterkunft vorgesehene Turnhalle komplett zerstört. Es entstand für die Steuerzahler ein Schaden von 3,5 Millionen Euro. Dafür müssen sich nun der NPD-Kommunalpolitiker Maik Schneider und vier weitere Neonazis aus dem Havelland vor Gericht verantworten. Ihnen wird ab Donnerstag vor dem Landgericht Potsdam der Prozess gemacht. Die Anklage lautet: Bildung einer kriminellen Vereinigung, Sachbeschädigung und schwere Brandstiftung. Kopf der braunen Truppe war Maik Schneider, er war auch führend in der Neonazi-Kameradschaft „Freie Kräfte Neuruppin/Osthavelland“. Als Ermittler die Gruppe mit einer Razzia Anfang März ausgehoben haben, sprach Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) von einer „rechten Stadtguerilla“. Die Ermittler stuften die Truppe um Schneider als Neonazi-Terrorzelle ein. Dennoch ist anders als bei der früheren Neonazi-Gruppe „Freikorps Havelland“, die vor mehr als zehn Jahren mit einer Welle von Anschlägen auf Imbisse von Migranten die Region „ausländerfrei“ machen wollte, diesmal kein Verfahren wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung eingeleitet worden. Dabei, so sagen es Ermittler, wäre es auch in diesem Fall angebracht gewesen. Auch als Zeichen.
Staatsanwaltschaft Potsdam: Ziel war es, ausländerfeindliche Straftaten zu begehen
Nun wird den Neonazis vorgeworfen, Anfang 2015 eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben. Einziges Ziel der braunen Bande war es aus Sicht der Staatsanwaltschaft Potsdam, „Straftaten mit ausländerfeindlichem Hintergrund zu begehen“. Dabei war der Brandanschlag auf die Turnhalle im August 2015 nur der Höhepunkt einer ganzen Reihe von Attacken, die nur zum Teil zur Anklage gebracht werden. Mit Schneider sitzen zwei weitere Mitglieder der Gruppe, Dennis W. und Christopher L., in Untersuchungshaft.
Die Serie von Straftaten begann am 12. Februar 2015. Die Stadtverordneten hatten damals die Einwohner ins evangelische Gemeindezentrum geladen. Es ging um den Verkauf einer Immobilie an den Landkreis, damit der dort eine Asylunterkunft einrichten kann. Tage zuvor waren in Nauen massiv Plakate gegen das Heim angebracht worden. Bei der Sitzung selbst gab es Äußerungen wie diese: „Die kriegen Begrüßungsgeld und fahren alle Mercedes.“ Draußen hatte Schneider eine Meute aus Neonazis, aber auch Nauener Bürgern gesammelt und angestachelt, die lautstark gegen die komplette Fensterfront des Gemeindesaals trommelte. Die Verantwortlichen der Stadt lösten die Versammlung aus Sorge vor einer Eskalation auf, die wenigen Polizeibeamten mussten Verstärkung aus Potsdam anfordern. Schneider soll laut Staatsanwaltschaft ausländerfeindliche Parolen gerufen und damit die Versammlung gestört haben. Dirk Wilking, Leiter des Brandenburgischen Instituts für Gemeinwesenberatung, bei dem die Mobilen Beratungsteams gegen rechts angesiedelt sind, sprach von eine neuen Qualität, weil Neonazis versuchten, notfalls mit Gewalt demokratische Entscheidungsgremien zu beeinflussen.
Als weitere Tat führt die Anklage einen Fall vom 17. Mai 2015 auf. Es war der Brandanschlag auf den Pkw eines Polen in Nauen. Bei den Ermittlungen der Polizei war damals von drei maskierten Tätern die Rede. Nun ist Dennis W. angeklagt, wobei er nach Ansicht der Staatsanwaltschaft den Plan von Maik Schneider umgesetzt haben soll. Dennis W. soll mit einer Axt eine Scheibe des Wagens eingeschlagen und einen Brandsatz hineingeworfen haben. Das Auto brannte aus.
Wieder Dennis W. soll am 1. Juni an einem Lidl-Discounter eine Zylinderbombe gezündet haben – „gemäß dem Willen der Gruppe“, wie die Staatsanwaltschaft vermerkt. Durch die Explosion stürzte das Vordach des Gebäudes ein, der Sachschaden: 9000 Euro.
Anschläge auf das Nauener Linke-Büro
Bei einem weiteren Anklagepunkt geht es um mehrere Anschläge mit Farbbeuteln auf das Nauener Büro der Linkspartei. Ende Mai oder Anfang Juni 2015 soll Maik Schneider den Mitangeklagten Christopher L. damit beauftragt haben, das Parteibüro zu bewerfen. Umgesetzt haben den Auftrag Christopher L. und Frank E. Der Sachschaden an dem Linke-Büro: 6000 Euro.
Auf der Anklageliste der Staatsanwaltschaft steht zudem, wie Dennis W. am 9. Juni 2015 „in Wahrnehmung des Gruppenwillens“ das Türschloss und das Briefkastenschloss des Parteibüros mit Sekundenkleber unbrauchbar gemacht haben soll. Christopher L. soll daneben Ende Juli 2015 „in Entsprechung des Gruppenwillens“ auf der Baustelle für ein neues Übergangsheim für Flüchtlinge mit einem Brandsatz eine Dixie-Toilette in Brand gesetzt haben.
Schließlich kam es dann in der Nacht vom 24. zum 25. August in Nauen zum Fanal, das die Sicherheitsbehörden in Brandenburg aufschreckte. Schneider sowie Dennis W. und Christian B. sollen die neue Sporthalle des Nauener Oberstufenzentrums in Brand gesetzt haben. Dazu sollen sie Autoreifen angezündet haben, die Halle brannte komplett aus. Christian B., Christopher L. und Frank E. sollen bei der Tat Schmiere gestanden haben. Die Ermittler kamen der braunen Terrortruppe auf die Spur, weil die Neonazis über den Kurznachrichtendienst Whatsapp auf ihren Handys darüber kommunizierten. Deshalb ist auch Sebastian F. angeklagt, er soll als Mitglied einer Whatsapp-Gruppe eingebunden gewesen sein.
Die Angeklagten sollten beweissicher in U-Haft gebracht werden
Bemerkenswert ist auch, was den Neonazis in der Anklage nicht vorgeworfen wird. Es geht um Taten, die der rechten Zelle zwar von den Ermittlern zugerechnet werden. Die Staatsanwaltschaft wollte aber offenbar kein Risiko eingehen. Nach der Festnahme im Frühjahr 2016 ging es ihr darum, die Neonazis beweissicher hinter Gitter in Untersuchungshaft zu bringen, nicht alle Taten könnten dem Schneider-Trupp zweifelsfrei nachgewiesen werden. Bei den Staatsschützern der Polizei herrscht dagegen Unmut. Intern wird der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, zu zögerlich und scheu zu agieren. Für die Ermittlungen sei großer Aufwand betrieben worden, auch die nun nicht angeklagten Taten hätten der Truppe um Schneider klar zugeordnet werden können.
Zu den fraglichen Tagen zählt etwa ein Anschlag auf eine kirchliche Begegnungsstätte für Flüchtlinge im November 2015 in Jüterbog (Teltow-Fläming). Nach einer Anti-Asyl-Demo – angemeldet von NPD-Mann Schneider – kam es in der Kleinstadt zu einer Explosion in der kirchlichen Begegnungsstätte. Es entstand ein erheblicher Sachschaden. Pfarrer Bernhard Gutsche sagte schlicht: „Das war Terror.“ Von der Staatsanwaltschaft heißt es, die Ermittlungen dauern an, Zeugen und Beschuldigte würden noch vernommen.
Ebenfalls nicht angeklagt sind Gewalttaten auf politische Gegner, wie etwa der Brandanschlag auf das Auto eines Politiker-Paars der Linken im Februar 2016. Die Täter legten auf das hintere Rad des Wagens einen Brandsatz, das Feuer griff aber nicht auf das Fahrzeug über. In diesem Fall gibt es einen konkreten Beschuldigten, für den Staatsschutz ist der Fall klar. Doch die Staatsanwaltschaft sieht für eine Anklage keinen hinreichenden Tatverdacht. Das Verfahren wurde im Juni eingestellt.
"Tröglitz ist auch hier"
Im April 2015 wurden am Auto des Nauener Mikado-Vereins, der sich für Flüchtlinge engagiert, die Reifen zerstochen. Die Täter hinterließen einen Brief mit der Drohung „Liebe Asylanten-Freunde, Tröglitz ist auch hier. Bis bald!“. Wenige Tage zuvor brannte in Tröglitz (Sachsen-Anhalt) ein Asylheim.
Schließlich kam es am 20. Februar 2016 zu einem Vorfall, den die Sicherheitsbehörden überaus ernst nahmen – und der mit Blick auf den Terrorverdacht der Ermittler bedeutend ist: In den Briefkästen von Nauener Bürgern tauchten Zettel mit Anleitungen zum Bau von Rohrbomben, Molotow-Cocktails und Plastiksprengstoff auf. Die Urheber fordern in dem Pamphlet zum „absoluten Widerstand“ gegen die „Invasion der Ausländer“ auf. Aber auch diese Tat taucht in der Anklageschrift gegen Schneider und seine Gefolgschaft nicht auf. Auch hier gibt es konkrete Beschuldigte, der Tatverdacht ist für die Staatsanwaltschaft nicht hinreichend genug.
Für den Prozess sind bislang elf Verhandlungstage angesetzt. Die Polizei geht von einer abstrakten Gefahrenlage aus, das Gericht ordnete deshalb strenge Sicherheitsvorkehrungen an.
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