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Der interministerielle Koordinierungsstab Coronavirus in seinen ersten Tagen Mitte März. Inzwischen wird bei den Gesprächen streng auf Einhaltung des Sicherheitsabstands zwischen den Teilnehmern geachtet.
© Jens Kalaene/dpa

Interview | Brandenburgs Corona Krisenstab-Leiter: „Dabei geht es auch manchmal rau zu“

Seine Arbeit beginnt bereits in den frühen Morgenstunden: Der Leiter des Corona-Krisenstabes Michael Ranft spricht über die Koordination mit Land, Bund und Kommunen.

Potsdam - Herr Ranft, Sie leiten den interministeriellen Koordinierungsstab des Landes in der Coronakrise. Wie sieht Ihr Tagesablauf aus? Eine Telefonkonferenz nach der anderen?
 

Diese weltweite Pandemie können wir nur gemeinsam bewältigen. Deshalb sind direkte Abstimmungen des Stabes mit allen handelnden Akteuren entscheidend. Schon in den frühen Morgenstunden finden wichtige Telefongespräche statt. Täglich um 8 Uhr ist die erste große Lagebesprechung im Koordinierungsstab, dort werden aktuelle Probleme benannt, Lösungsmöglichkeiten diskutiert und Aufgaben klar verteilt. Es folgen weitere Lagebesprechungen mittags und abends, dann werden die neuen Entwicklungen eingespeist und die Umsetzung von Maßnahmen auf ihren Erfolg hin kontrolliert. Von ganz besonderer Bedeutung sind die täglichen Rücksprachen mit Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher und Staatssekretärin Anna Heyer-Stuffer sowie Innenminister Michael Stübgen. Dazwischen finden sehr viele verschiedene Telefonkonferenzen auf den unterschiedlichsten Ebenen statt. Absolut unverzichtbar für unsere Arbeit ist die tägliche Telefonschalte um 13.15 Uhr mit allen Krisenstäben der Landkreise und kreisfreien Städte. Wir müssen frühzeitig erfahren, wo in Brandenburg, also in welchem Landkreis, in welcher Stadt, in welchem Ort, Notlagen drohen, um frühzeitig gegensteuern zu können.

Wie klappt die Abstimmung mit den Kommunen?

Ich muss sagen, diese Abstimmung funktioniert wirklich sehr gut. Die machen vor Ort einen unglaublich guten Job! Wir arbeiten pragmatisch, lösungsorientiert und respektvoll zusammen. Dabei geht es auch manchmal rau, aber herzlich zu. Aber das ist verständlich: Alle im Team arbeiten extrem engagiert und tragen eine große Verantwortung; zugleich haben sie Familie, Angehörige und Freunde, um die sie sich sorgen. Ich denke, das gehört zum Leben eines Krisenstabes einfach dazu. Parallel gibt es einen ununterbrochenen fachlichen Austausch per Telefon auf allen Ebenen. Alle Kabinettsmitglieder tauschen sich regelmäßig mit ihren Länder- und Bundeskollegen aus. Zum Beispiel telefonieren jeden Tag die Gesundheitsminister der Länder mit dem Bundesgesundheitsminister und die Staatskanzleien der Länder mit dem Bundeskanzleramt. Gleiches gilt für die Kollegen des Innenministeriums und ihren vielfältigen Abstimmungsrunden mit dem Bundesinnenministerium und den Innenressorts der Länder. Und die kommunalen Gesundheitsämter telefonieren regelmäßig mit den Landesgesundheitsbehörden.

Sind die kommunalen Gesundheitsämter personell überhaupt in der Lage, die Situation zu bewältigen?

Die kommunalen Gesundheitsämter und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leisten hervorragende Arbeit. Sie sind jetzt schon über einen Zeitraum von mehreren Wochen unglaublich stark gefordert und stoßen auch an die Grenzen des Machbaren. Deswegen waren wir auch sehr beunruhigt, als zum Beispiel ohne Vorankündigung weitere Flugzeuge mit Urlaubsrückkehrern aus eingestuften Risikogebieten in Deutschland landeten. Die Gesundheitsämter sind in Deutschland nicht in der Lage, bei jedem Flugzeug vor Ort im Einzelfall zu entscheiden, welcher Passagier nach Hause darf und wer sofort in Quarantäne muss, so wie es der Bund sich vorstellt. Hier erwarten wir bundesrechtliche Lösungen, die die Gesundheitsämter nicht weiter belasten.

Staatssekretär Michael Ranft, Ministerium für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg (MSGIV).
Staatssekretär Michael Ranft, Ministerium für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg (MSGIV).
© MSGIV / Hendrik Rauch

Wie hilfreich sind kommunale Alleingänge wie der des Landkreises Ostprignitz-Ruppin, der die Einreisebestimmungen entgegen der Landeslinie nur für sein Gebiet verschärft hat?

Wir spüren, dass sich viele Menschen Sorgen machen und Angst haben, sich mit dem Coronavirus anzustecken. Umso wichtiger ist es, dass Kreise, kreisfreie Städte und das Land gemeinsam und abgestimmt vorgehen. Wir müssen der Sach- und Rechtslage entsprechend klug entscheiden und auch in schwierigen Zeiten Ruhe bewahren. Es sind vor allem die Brandenburgerinnen und Brandenburger, die von der gemeinsamen Gesundheitsregion Berlin-Brandenburg profitieren. Wir können uns in dieser Situation glücklich schätzen, dass wir in unserer Mitte die Charité haben. Jede Kreis- oder Landesgrenze, die irgendwie geschlossen wird, kann ein Nachteil für Brandenburg sein. Das erleben wir auch bei der deutsch-polnischen Grenze und der Problematik der Berufspendler und dem Warenverkehr.

Welche Probleme aus den Kommunen werden am häufigsten an Sie herangetragen?

Die Beschaffung von persönlicher Schutzausrüstung wie Masken, Kittel und Handschuhe ist derzeit vor Ort das größte Problem. Und eben auch die Situation mit den polnischen Berufspendlern, die hier bei uns in Brandenburg in den Krankenhäusern, Arztpraxen, Pflegeheimen und Logistikunternehmen arbeiten. Wenn da mit einem Schlag 30 bis 60 Prozent der Beschäftigten nicht mehr zur Arbeit kommen kann, ist das eine schwierige Situation. Es ist klar, dass wir es uns in dieser ernsten Lage überhaupt nicht erlauben dürfen, dass ein Krankenhaus oder ein Pflegeheim wegen personeller oder finanzieller Schwierigkeiten vom Versorgungsnetz geht. Und natürliech stimmen wir uns zu Fragen der Eindämmungsverordnung und weiteren Maßnahmen mit den Landkreisen und kreisfreien Städten ab. Da gibt es viele Fragen, auf die wir dann schnell und kollegial, insbesondere mit den kommunalen Gesundheitsdezernentinnen und –dezernenten, auf dem kurzen Dienstweg eine Antwort finden.

Kümmert sich der Stab auch um die Beschaffung dringend benötigten Materials für die Krankenhäuser?

Ja. Das ist eine Hauptaufgabe des Koordinierungsstabs. Wir unterstützen insbesondere die Krankenhäuser wie auch alle anderen relevanten Einrichtungen zum Wohle ihrer Beschäftigten aktiv bei der Beschaffung von persönlicher Schutzausrüstung und Beatmungsgeräten. Der Weltmarkt spielt hier derzeit einfach verrückt. Wir bekommen viele Angebote, aber der Großteil davon ist qualitativ nicht geeignet oder schlicht unseriös. Und ohne Vorkasse geht im Moment sowieso nichts mehr. Diese aktuelle Situation des Mangels in den Einrichtungen bedrückt uns sehr.

Wie erleben Sie die Absprachen mit den anderen Bundesländern und dem Bund? Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher hatte ja vor einem Wettbewerb der Länder um die Verschärfung der Maßnahmen immer wieder gewarnt.

Ein Überbietungswettbewerb der schärfsten Maßnahmen ist überhaupt nicht hilfreich. Jetzt stimmen sich Bund und Länder immer besser ab. Wir müssen natürlich aber auch sehen, dass Bundesländer wie Bayern, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg mit sehr hohen Corona-Zahlen besonders unter Druck stehen. Aber in der Not müssen wir alle zusammenhalten. Das gilt natürlich auch bei der Frage, wann wir die Maßnahmen wieder lockern können. Auch hier müssen wir zwingend gemeinsam vorgehen und gesundheitliche Überlegungen mit wirtschaftspolitischen Erwägungen sorgfältig aufeinander abstimmen.

Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Bündnis90/Die Grünen).
Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Bündnis90/Die Grünen).
© Paul Zinken/dpa

Der Krisenstab, der räumlich im Innenministerium angesiedelt ist, kümmerte sich bisher um Lagen wie Hochwasser oder Waldbrände. Wie schwer war die Umstellung auf eine ganz andere Art der Bedrohung?

Zunächst bin ich dem Innenministerium außerordentlich dankbar, dass wir das Krisenzentrum als „Gäste“ nutzen können. Grundlage hierfür ist eine Kooperationsvereinbarung zwischen den Häusern aus dem Jahre 2009. Die Kolleginnen und Kollegen vom Innenministerium aus dem Bereich Brand- und Katastrophenschutz und von der Polizei sind langjährig erfahren im Umgang mit Krisensituationen. Das habe ich von Anfang an gespürt. Sehr professionell, routiniert und ruhig gehen diese Leute mit Gefahrenlagen um. Doch die Gefahr, die von dem Coronavirus ausgeht, ist unsichtbar. Sie unterscheidet sich insofern von einem Waldbrand oder einem Hochwasser. Das sind Probleme, die lokal begrenzt und greifbar sind. Infektionskrankheiten kann man nicht mit Löschflugzeugen bekämpfen. Und da kommen unsere Fachkollegen aus dem Gesundheitsbereich ins Spiel, die sich mit Virenbekämpfung, Infektionsschutz, Krankenhäusern und Pflege auskennen. Und noch etwas unterscheidet diese Pandemie von anderen Krisensituationen: Aufgrund der strikten Unterbrechung von Infektionsketten kommt das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in Brandenburg und der Bundesrepublik, ja weltweit, mehr oder minder zum Erliegen. Hierdurch ergeben sich außerordentlich komplexe Folgewirkungen, die wir zu berücksichtigen haben. Deshalb gibt es auch regelmäßige Abstimmungsrunden in der Staatskanzlei mit allen Ressorts unter Leitung meines Kollegen Benjamin Grimm.

Im Koordinierungsstab arbeiten Mitarbeiter aus dem Bereich Inneres und Gesundheit zusammen. Zwei Welten in normalen Zeiten. Wie klappt es, das Zusammenzubringen?

In den ersten Tagen haben die Kollegen aus dem Innenressort vielleicht öfter über die etwas „unkoordinierten“ Gesundheitsleute den Kopf geschüttelt. Wir sind ja eher die diskussionsfreudigen Typen. Und so mussten wir uns anfangs schon an die klaren Strukturen und strikten Abläufe einer obersten Polizeibehörde gewöhnen. Aber jetzt, nach über zwei Wochen intensiver Zusammenarbeit, ist das ein eingespieltes Team, in dem sich jede und jeder mit ihren und seinen fachlichen und persönlichen Stärken voll und ganz einbringt. Ich glaube, dass dies eine besondere Qualität unseres Stabes ist und bin auf dieses Team wahnsinnig stolz. Dies spiegelt sich auch darin wider, dass mich mein Kollege, Innenstaatssekretär Uwe Schüler, bei Bedarf vertritt und hervorragend unterstützt.

Wie viele Menschen arbeiten vor Ort im Koordinierungsstab und wie schützen sie sich vor einer Infektion mit dem Coronavirus?

Das ist ein wichtiges Thema, mit dem wir uns regelmäßig beschäftigen. Bei Hochwasser ist es egal, wenn bis zu 40 Leute „Schulter an Schulter“ stundenlang im Krisenraum zusammensitzen, in Corona-Zeiten aber nicht. Als Leiter habe ich eine besondere Fürsorgepflicht für die Beschäftigten. Keiner soll unnötigen Risiken ausgesetzt sein. So versuchen wir, den Teilnehmerkreis bei den großen Lagebesprechungen so klein wie möglich zu halten, danach teilen wir uns in viele Einzelbüros auf. Bei Gesprächen achten wir strikt auf den Mindestabstand, und wir waschen und desinfizieren uns alle sehr oft die Hände. Alle sind angehalten, in der Freizeit auf soziale Kontakte komplett zu verzichten, mit Ausnahme der innerhalb eines Haushalts lebenden Familie. Aber am Ende bleibt natürlich auch ein Rest-Berufsrisiko. Das ist aber bei medizinischem Personal, Kassiererinnen, Handwerkern, Polizisten und in vielen anderen Berufen nicht anders. Wir alle müssen bei unserer Arbeit auf uns selbst und aufeinander achtgeben.

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