Nach Razzia und Festnahme von NPD-Politiker in Nauen: Braunes Terror-Netzwerk in Brandenburg?
Experten und Sicherheitsbehörden hatten davor gewarnt: Dass nach dem NSU neue Neonazi-Terrorzellen entstehen könnten. Nach der Razzia bei Rechtsextremisten und der Festnahme eines Nauener NPD-Politikers prüfen die Behörden nun genau das.
Nauen - Nach der Razzia in Nauen und der Festnahme des örtlichen NPD-Politikers Maik Schneider gehen die Sicherheitsbehörden einem ernsten Verdacht nach. Geprüft wird nach PNN-Recherchen mit Blick auf den Brandanschlag auf eine als Asyl-Notunterkunft geplante Sporthalle im August 2015, mehrere Attacken auf Parteibüros und Politiker der Linkspartei, ob sich die Rechtsextremisten in Nauen zu einer terroristischen Vereinigung zusammengeschlossen haben.
Nach der entsprechenden Gesetzeslage zur "Bildung einer terroristischen Vereinigung" werden „Rädelsführer oder Hintermänner“ einer solchen Organisation mit mindestens drei Jahren Haft bestraft, Maximum sind 15 Jahre. Experten und Sicherheitsbehörden hatten nach Bekanntwerden der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) im Jahr 2011 wiederholt vor dem Entstehen neuer Neonazi-Terrorzellen auch in Brandenburg gewarnt, weil es innerhalb der rechtsextremistischen Szene zahlreiche „tickende Zeitbomben“ gebe.
NPD-Verbot spielte keine Rolle - aber Angst vor Anschlägen
Dass der Tag der Razzien mit dem Beginn des NPD-Verbotsverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zusammenfiel, sei Zufall, hieß es aus Sicherheitskreisen. Nachdem es zuletzt zahlreiche rechtsextremistische Anschläge in der 17000-Einwohner-Stadt Nauen gegeben hatte, befürchteten die Ermittler weitere Attacken und schlugen deshalb am Dienstag zu.
Die Ermittler prüfen derzeit, ob es Verbindungen zu anderen rechtsextremistischen Straftaten in der Stadt gibt - und davon gehen die Sicheheitsbehörden aus, es gab schon im Vorfeld Razzien, allerdings ohne Erfolg. Im August 2015 war eine Sporthalle, die als Asyl-Notunterkunft vorgesehen war, durch einen Brandanschlag komplett zerstört worden. Erst Mitte Februar wurde ein Brandanschlag auf das Auto eines Politiker-Paars der havelländischen Linken verübt, immer wieder wurde deren Parteibüro in Nauen attackiert. Bei dem Auto eines Jugendvereins, der sich für Flüchtlinge engagiert, hatten Rechtsextremisten im April 2015 die Reifen zerstochen und hinterließen einen Drohbrief.
Aufruf zum Bau von Rohrbomben gegen Flüchtlinge
Zuletzt riefen Neonazis Mitte Februar in Nauen auf Handzetteln offen zum Einsatz von Sprengsätzen gegen Flüchtlinge auf. In dem zweiseitigen Pamphlet forderten sie zum "absoluten Widerstand" gegen die "Invasion der Ausländer" und eine angeblich von den Eliten gewollte Besetzung Deutschlands "durch sogenannte Flüchtlinge" auf - samt Tipps zum Bau von Molotow-Cocktails und Rohrbomben sowie einer Anleitung, um Plastiksprengstoff herzustellen. Der Staatsschutz ermittelt in diesem Fall wegen des Verdachts auf Volksverhetzung, Verstoßes gegen das Waffengesetz und der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten.
Kurz darauf gingen bei der Polizei Hinweise ein, dass eine Traglufthalle, in der Asylbewerber in direkter Nachbarschaft zur niedergebrannten Sporthalle unterkommen sollen, Ziel eines Anschlags werden könnte. Daraufhin erklärte die Polizei, dass sie diese Hinweise als "sehr ernst" einstufe und "nach einer Gefährdungsbeurteilung ihre Schutzmaßnahmen entsprechend angepasst“ habe, etwa durch "spezielle Kontrollmaßnahmen" über "die normale Streifentätigkeit hinaus".
Ein als Kleinkrimineller registrierter Neonazi ist auf der Flucht
Bei den Razzien am Dienstag in mehreren Städten wurden am Dienstag zwei Haftbefehle vollstreckt. Insgesamt drei Personen – der Nauener Stadtverordnete und Kreistagsabgeordnete Maik Schneider (29) von der NPD, der 28-jährige Dennis W. und die 22-jährige Frauke K. – sind dringend tatverdächtig, im Mai 2015 das Auto eines Polen aus fremdenfeindlichen Motiven angezündet zu haben. Das Auto war zu diesem Zeitpunkt vor einem Wohnhaus in Nauen abgestellt. „Die Spurensicherung ergab, dass der Brand mit Brandbeschleuniger verursacht worden war“, sagte ein Polizeisprecher.
Bei den insgesamt sechs Durchsuchungen am Dienstagmorgen in Nauen, Potsdam und Schönwalde-Glien konnten die Ermittler Maik Schneider und die 22-jährige K. festnehmen. Nach Dennis W., der der Polizei als Kleinkrimineller und mit Drogendelikten bekannt ist, wird gefahndet. Er wurde weder in seiner Wohnung noch an seiner Arbeitsstelle angetroffen. Die Ermittler stellten umfangreiche Beweismittel – Laptops, Handys, Datenträger, Videokameras und schriftliche Unterlagen – sicher. Diese müssten nun ausgewertet werden, hieß es. Weiterhin stellten die Fahnder mehrere Tonträger mit rechtsextremistischer Musik, geringe Mengen Drogen sowie mehrere Tausend Euro Bargeld sicher.
Die beiden Verhafteten, Schneider und K., wurden noch am Dienstag einem Haftrichter vorgeführt. Schneider sitzt nun in Untersuchungshaft. Die 22-jährige Frauke K. wurde wieder auf freien Fuß und ihr Haftbefehl außer Vollzug gesetzt.
Maik Schneider - eine Schlüsselfigur der Neonazi-Szene
Schneider gilt im Havelland als Schlüsselfigur der rechtsextremistischen Szene. Für die NPD sitzt er in der Nauener Stadtverordnetenversammlung und im Kreistag, außerdem gilt er als einer der Köpfe der Neonazi-Gruppe „Freie Kräfte Neuruppin/Osthavelland“. Daneben wird er von der NPD als „Ansprechpartner für Potsdam“ geführt. In der Vergangenheit meldete Schneider zahlreiche Anti-Asyl-Demos in Brandenburg an, auch bei mindestens zwei der rechten Pogida-Demonstrationen in Potsdam war er.
Schneider war auch an den ausländerfeindlichen Tumulten bei einer Sitzung der Nauener Stadtverordneten im Februar 2015 beteiligt. Bei dieser sollte über den Bau eines Flüchtlingsheims in der Stadt abgestimmt werden. Neonazis schlugen von außen gegen die riesige Fensterfront, riefen lauthals „Ausländer raus“. Der Saal musste geräumt werden. Der Rädelsführer damals: Maik Schneider. Danach wurde gegen ihn ein Strafverfahren wegen Landfriedensbruchs eingeleitet. Die Tumulte waren eine Initialzündung für die Nauener Neonazis: Seitdem gab es in der Stadt zahlreiche Anti-Asyl-Proteste, einige von Schneider angemeldet. Die Märsche endeten, nachdem im August 2015 die Sporthalle brannte.
Seit 2007 als Neonazi aktiv
Brisant an dem Fall: Schneider, ausgebildeter Erzieher, hatte einem Bericht der Tageszeitung "Märkische Allgemeine" zufolge auch den fremdenfeindlichen „Abendspaziergang durch Jüterbog“ im November 2015 mit 150 bis 200 angemeldet. Nach dem Aufmarsch wurde der Flüchtlingstreff der evangelischen Kirche in Jüterbog durch eine Explosion zerstört.
Maik Schneider ist seit spätestens Anfang 2007 im Neonazi-Milieu bekannt, etwa durch die diversesten Aufmärschen in Brandenburg. In dieser Zeit war er auch in verschiedenen Organisationen aktiv: Nicht nur bei der NPD und den Freien Kräften, sondern auch im Umfeld des Kampfbundes Deutsche Sozialisten (KDS) und des mittlerweile verbotenen Vereins „Heimattreue Deutsche Jugend“ (HDJ). Bei einer NPD-Demonstration in Potsdam fiel Schneider 2012 auf: Er führte in der Nähe der Gegendemonstranten - außerhalb der NPD-Versammlung - ein Messer mit sich. Szenebeobachtern zufolge wurde gegen ihn deshalb eine Strafanzeige wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz gefertigt. Schneiders Ausrede: Er habe mit dem Messer lediglich seinen Kohlrabi schälen wollen.
Die Landespolitik sah sich durch Razzia und die Festnahmen in Nauen am Dienstag in ihrer Linie bestätigt. "Das ist ein harter Schlag für die Nazi-Szene im Havelland“, sagte die Linke-Landtagsabgeordnete Andrea Johlige der Deutschen Presse-Agentur in Potsdam. „Das zeigt, dass die monatelange Arbeit der Sicherheitsbehörden erste Früchte trägt.“ Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sagte: „Die Nauener Vorfälle bekräftigen, dass das Verbotsverfahren gegen die NPD berechtigt ist. Die Verhaftungen zeigen: die NPD ist direkt und indirekt für Gewalttaten verantwortlich.“
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