Brandenburg: „Tickende Zeitbomben“ bei Rechtsextremisten
Feindbild Polizist: Forscher und Innenministerium warnen vor wachsender rechter Gewalt
Potsdam - Vom Kameradschaftsmitglied zum Rechtsterroristen: Was mit den drei Mitgliedern des NSU-Trios vor sich ging, kann sich schnell wiederholen. Auch in Brandenburg. Zu diesem Befund kommt der Politikwissenschaftler Christoph Kopke vom Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien (MMZ). Am Dienstag stellte er gemeinsam mit Brandenburgs Innenminister Dietmar Woidke (SPD) in Potsdam die MMZ-Studie „Feindbild Polizei. Wie reden Rechtsextreme über die Polizei“ vor.
Es gebe innerhalb der rechtsextremistischen Szene zahlreiche „tickende Zeitbomben“, sagte Kopke. Auch das Entstehen neuer Terrorzellen sei deshalb nicht ausgeschlossen. Die Szene habe seit den 1990er-Jahren eine extreme Radikalisierung und Ideologisierung vollzogen. Kopkes Warnung vor neuen Terrorzellen hat nach dem Forschungsprojekt, bei dem 15 000 Texte von rechten Musiktiteln, Internetseiten, Propaganda von Kameradschaften und NPD ausgewertet wurden, einen Grund: Während die Polizei bislang vor allem von Linksextremisten etwa bei Demonstrationen angegriffen wurde, waren Rechteextremisten lange zurückhaltend, auch wegen ihres Hangs zum Obrigkeitsstaat. Das hat sich grundlegend geändert, was die Studie auch besonders Beamten für den internen Gebrauch vermitteln soll.
Denn inzwischen ist die Polizei für Neonazis ein Feindbild. Besonders Freie Kräfte, sogenannte Autonome Nationalisten oder Netzwerke wie die 2011 verbotene Gruppe „Widerstand Südbrandenburg“, und Rechtsrockbands gehen in ihrer Ablehnung von Polizei und Justiz am weitesten. Immer häufiger kommt es auch zu gewalttätigen Attacken, die Bereitschaft dazu sei enorm gewachsen, wie Kopke und auch die Polizei selbst beobachten. Im äußersten Fall könne dies zu tödlicher Gewalt führen. Wie bei Michèle Kiesewetter – die Polizistin wurde 2007 in Heilbronn von der Neonazi-Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) erschossen. Das könne jederzeit wieder geschehen, so Kopke. Die gewachsene Gewaltbereitschaft gegenüber der Polizei zeige, dass „Rechtsextreme es ernst meinen mit ihrer fundamentalen Ablehnung unseres Staates und seiner freiheitlichen Ordnung“, sagte er.
Kopke und Innenminister Dietmar Woidke (SPD) erinnerten daran, dass in Deutschland bislang fünf Polizeibeamte von Rechtsextremisten getötet wurden. Und die Mörder, wie der Berliner Neonazi Kay D., werden in der rechten Szene immer noch als Helden und Kämpfer verherrlicht, wie es in der Studie heißt. D. hatte 1997 erst einen Buchhändler in Marzahn angeschossen und auf der Flucht in Schleswig-Holstein einen Polizisten erschossen. Im Jahr 2000 erschoss ein Rechter in Nordrhein-Westfalen bei einer Fahrzeugkontrolle erst einen Beamten und auf der Flucht zwei weitere Polizisten.
Zudem werden Polizisten laut der Studie immer häufiger im Privatleben von Neonazis bedroht, auch „mit unverholenen Aufrufen zu Gewalt bis hin zum Mord“. Das bestätigt auch das Innenministerium. Bereits mehrfach seien Schutzmaßnahmen für einzelne Beamte ergriffen worden. Auch in Berlin haben die Sicherheitsbehörden damit schon Erfahrung gemacht. Michael Knape, seit 1998 als Polizeidirektor zuständig für die Ostbezirke der Stadt, hat sich wegen seines Einsatzes gegen die rechtsextreme Szene einen Ruf als „Nazi-Jäger“ gemacht. Knape musste vor Jahren um seine Sicherheit fürchten, weil er von Neonazis bedroht worden war – mit Hassliedern, Steckbriefen in seinem Wohngebiet, nächtlichen Anrufen.
Woidke sagte, die organisierte Gewalt habe in der Szene eine Tradition, die weiter zurückreiche als die Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds, die 2000 begann. Sie richte sich gegen Ausländer, Minderheiten und politische Gegner - und eben verstärkt auch gegen Angehörige der Polizei.Alexander Fröhlich
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