Parteitag der Brandenburger Grünen in Wildau: Baerbock: "Brandenburg war noch nie so grün"
Beflügelt von den Wahlen in Bayern und Hessen und dem guten Umfragetrend im Bund starten die Brandenburger Grünen in den Landtagswahlkampf 2019. Die Ökopartei setzt dabei vor allem auf eines: Sozialpolitik.
Wildau - Über Zahlen, Prozente, ein Wunschergebnis sprechen sie nicht zehn Monate vor der Landtagswahl. Aber erstmals zweistellig - das wäre schon was für die Grünen in Brandenburg, die zwar 2009 nach 15 Jahren Abstinenz den Wiedereinzug in den Potsdamer Landtag schafften, bislang aber gerade in den ländlichen Regionen weit entfernt waren von Ergebnissen der Landesverbände im Westen. Bei Umfragen liegen die Brandenburger Grünen derzeit bei sieben Prozent. Da geht noch was, meinen die meisten im Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Wildau (Dahme-Spreewald), einem passenden Ort für eine Partei, die bundesweit gerade auf Höhenflug ist.
Im Bund liegen die Grünen bei 23 Prozent
Auf märkischen Sand will man geerdet bleiben. "Umfragen sind das eine, Wahlen das andere", sagt die Landesvorsitzende Petra Budke am Samstag beim zweitägigen Parteitag der Grünen in Wildau vor 110 Delegierten. "Wir bleiben auf dem Boden, auch wenn der Teppich fliegt." Aber ja, die Stimmung sei gut nach den Wahlerfolgen in Bayern und Hessen und dem Rückenwind vom Bund, wo die Grünen derzeit bei 23 Prozent liegen mit ihren Vorsitzenden Robert Habeck und der in Potsdam lebenden Annalena Baerbock.
In Brandenburg haben die Grünen 1300 Mitglieder
Baerbock, das bundesweit derzeit sehr präsente Gesicht der Grünen und selbst von 2009 bis 2013 Landesvorsitzende in der Mark war, betont als Gastrednerin in Wildau: "Brandenburg war noch nie so grün wie heute." 1300 Mitglieder haben die Grünen mittlerweile in Brandenburg, 2009 waren es nur 700. Die Grünen müssten vor Ort, in der Fläche weiter wachsen. Wie? In dem die Partei auf diejenigen schaue, die hadern. "Dieses Land ist nicht komplett gespalten, weder in Deutschland, noch in Brandenburg", meint die gebürtige Hannoveranerin. Aber viele Leute gerade in den ländlichen Regionen fühlten sich nicht nur abgehängt, sie seien es auch. Und da gebe es immer noch Unterschiede zwischen Ost und West. Im Osten würden Bahnstrecken zum teil aktiv stillgelegt, Bahnhöfe geschlossen. Das sei ein verheerendes Signal: "Leute, wir machen bei euch zu."
Im Funkloch zwischen Berlin und Potsdam
Auch bei der Digitalisierung und der Daseinsvorsorge gebe es speziell in Brandenburg Defizite - nicht nur auf dem Land. "Wer von Berlin nach Potsdam mit der Bahn fährt, kommt in zwei Funklöcher, mitten im Speckgürtel", beschreibt die 37 Jahre alte Bundestagsabgeordnete ihre eigene Pendlerstrecke. Ein anderes Problem, das sie als zweifache Mutter ebenfalls aus eigener Erfahrung kenne: In Brandenburg eine Hebamme zu finden.
Programm "Brandenburg fairwandeln"
Entsprechend setzen die Grünen in ihrem Landtagswahlprogramm unter dem Motto "Brandenburg fairwandeln" auf einen Dreiklang. "Wir möchten Brandenburg ökologischer, sozialer und weltoffener gestalten", sagt Petra Budke. Wobei die Schwerpunktverschiebung doch deutlich ist in Wildau: Trotz veganer Kost zur Mittagspause weg vom Image der Grünkern-Dinkel-Partei, mit dem es sich im Osten nicht punkten lässt - hin zu einer Sozialpartei. Zwar geht es auch um ökologische Landwirtschaft, um das Ende der Massentierhaltung, den Klimawandel, Ernteausfälle und Waldbrände beim Parteitag, aber im Fokus der Reden stehen andere Fragen: Reicht die Rente? Wer pflegt mich im Alter? Welche Zukunft haben meine Kinder und Enkel? Hebammen, Erzieher in den Kitas, Lehrer, Ärzte auf dem Land, Pflegepersonal - Brandenburg habe in vielen Bereichen mit Fachkräftemangel zu kämpfen, erklärt Budke. Hinzu komme, dass es zwischen Ost und West 28 Jahre nach der Wiedervereinigung noch immer ein Lohngefälle geben. "Da läuft etwas ganz offensichtlich falsch in unserem Land", sagt Budke.
Budke: AfD soll vom Verfassungsschutz beobachtet werden
Dadurch sinke das Vertrauen in die Demokratie. Rot-Rot habe es in den vergangenen Jahren nicht geschafft, Zuversicht zu geben. "Es reicht nicht, wenn der Ministerpräsident kurz vor der Wahl Bürgerdialoge führt. Wir müssen ständig in Kontakt mit den Menschen sein". Nur so könne man Populisten etwas entgegensetzen. Teile der AfD sowie der Verein "Zukunft Heimat", der in Cottbus immer wieder zu Anti-Asyl-Demonstrationen aufgerufen hatte, müssen aus Budkes Sicht vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Die Landesregierung sieht dafür aber derzeit keine Veranlassung.
Ein starkes, einiges Europa sei auch wichtig, um gegen eine Spaltung der Gesellschaft anzugehen. "Wir werden um Europa kämpfen",sagt Petra Budke. Mit Ska Keller kommt die Spitzenkandidatin der Grünen für die Europawahl aus Brandenburg.
Bewerber für Spitzenkandidatur stellen sich vor
Wer die Grünen in den Landtagswahlkampf führt, ist noch nicht entschieden. Am Sonntag präsentieren sich die Kandidaten für die Spitzenkandidatur den Delegierten. Sowohl für Platz eins und Platz zwei gibt es inzwischen zwei Bewerber. Die in Falkensee lebende Fraktionsvorsitzende und parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Landtag, Ursula Nonnemacher, 61, konkurriert mit Alexandra Pichl, der 40 Jahre alten, frauenpolitischen Sprecherin der Partei aus Potsdam-Mittelmark.
Auf Platz zwei der Liste wollen der 34 Jahre alte Landesvorsitzende Clemens Rostock sowie der zwei Jahre ältere Landtagsabgeordnete Benjamin Raschke kandidieren. Bis zum Bewerbungsschluss am 17. Dezember könnten noch weitere Anwärter dazu kommen. Das paritätisch besetzte Spitzenduo soll wie berichtet bei einem Urwahlforum der Mitglieder bestimmt werden. Das Ergebnis soll am 15. Februar bekannt gegeben werden. Bei der Landtagswahl 2014 waren die beiden Landtagsfraktionsvorsitzenden Ursula Nonnemacher und Axel Vogel die Spitzenkandidaten ihrer Partei.
CDU und SPD schauen auf die Grünen
Auch die anderen Parteien schielen offenbar interessiert auf die Grünen, die bei der Landtagswahl zu nie gekannter Stärke finden könnten. Denn eines scheint, wenn man sich die Umfragewerte betrachtet, schon jetzt klar: Für ein klassisches Zweierbündnis dürfte es nach der Landtagswahl am 1. September 2019 nicht mehr reichen, neue Farbenspiele werden nötig sein. Teile der CDU wollen sich dabei von den Grünen abgrenzen. Beim Parteitag der Brandenburger CDU am Freitagabend in Klaistow nutzt die Kreisvorsitzende von Potsdam-Mittelmark, Saskia Ludwig, ein Gutteil ihrer Begrüßungsrede, um auf den, wie sie wohl aufzeigen möchte, unwichtigen Parteitag "dieser Sieben-Prozent-Partei" hinzuweisen. Doch im Landtag arbeiten Grüne und CDU bei einigen Themen als Opposition ganz gut zusammen, etwa bei Finanzthemen.
SPD-Generalsekretär Erik Stohn schaut vorbei
Auch zwischen SPD und Grünen gibt es Schnittmengen, vor allem bei sozialen Themen. Was sie nicht zueinander finden lässt, ist die Braunkohlepolitik, der Umgang mit der Lausitz. SPD-Generalsekretär Erik Stohn kommt dennoch persönlich in das Luft- und Raumfahrtzentrum, um eine Woche nach dem Landesparteitag seiner Partei in Potsdam zu erleben, wie Höhenflüge aussehen.
Bei den Grünen an diesem Wochenende verhalten optimistisch, mit Bodenhaftung. Vor 30 Jahren sei das Luftfahrtzentrum, der Parteitagsort, noch ein Metallverarbeitungswerk gewesen, sagt Annalena Baerbock.
Marion Kaufmann