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Die Interimsgeschäftsführer Tim Steckel und Hans-Ulrich Schmidt (v.l.) präsentierten den eigenen Abschlussbericht zum Coronaausbruch im Klinikum.
© Andreas Klaer

Coronakrise im Klinikum: Bergmann hat Ausbruch fünf Tage zu spät gemeldet

Interimschefs stellen Ausbruchsanalyse öffentlich vor und räumen Fehler ein. In der Geriatrie waren 64 von 70 Patienten mit dem Coronavirus infiziert, 24 von ihnen starben - einer noch am heutigen Mittwoch. 

Potsdam - Das Klinikum "Ernst von Bergmann" hat den schweren Coronaausbruch in dem kommunalen Krankenhaus analysiert und dabei Fehler und Versäumnisse festgestellt. So räumt das Klinikum nun selbst ein, den Ausbruch des gefährlichen Sars-Cov-2-Virus fünf Tage zu spät an das Potsdamer Gesundheitsamt gemeldet zu haben. Bereits am 25. März hätte eine entsprechende Meldung erfolgen müssen, heißt es in einer Zusammenfassung des Abschlussberichts, den die neue Interims-Geschäftsführung des Bergmann-Klinikums am Mittwochnachmittag vor der Presse vorstellte. Dass es einen Ausbruch im Krankenhaus gibt, hatten Stadt und Klinikum den PNN erst am Abend des 31. März auf Anfrage bestätigt. 

Der selbst erstellte Abschlussbericht ist nach Angaben des Klinikums am Mittwochvormittag bereits den Chefärzten und leitenden Pflegedienstmitarbeitern präsentiert worden. Jetzt soll er vorfristig dem Gesundheitsamt sowie der Untersuchungskommission des Klinikum-Aufsichtsrats zugestellt werden. Die Interims-Geschäftsführer Tim Steckel und Hans-Ulrich Schmidt betonten, sie wollten zu den Fehlern stehen und daraus lernen.

Dem Abschlussbericht nach hat das Klinikum die Coronainfektionen von Patienten und Mitarbeitern nicht "in ihrem möglichen Zusammenhang" betrachtet. Zudem seien "Dokumentations- und Meldeprozesse offensichtlich weniger zuverlässig" gewesen, als es die hauseigenen Standards vorsehen würden. Schmidt sagte, die Ausbreitung des Virus im Klinikum sei "mit einer hohen Geschwindigkeit" erfolgt und habe das Haus "virulent gepackt". 

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Dramatische Folgen hatte der Coronaausbruch auf der Geriatrie. Dort befinden sich ältere, vorerkrankte Patienten und damit die höchste Risikogruppe für Covid-19-Erkrankungen. Erstmals seit einer PNN-Anfrage vom 14. April 2020 hat das Klinikum nun Zahlen zu den Infizierten und Verstorbenen auf der Station genannt: Demnach seien von den 70 dort am 27. März behandelten Patienten 64 mit dem Coronavirus infiziert worden. 24 dieser Geriatrie-Patienten sind an oder mit einer Sars-CoV-2-Infektion gestorben, 42 sind genesen, einer sei noch auf der Normalstation in Behandlung. Ein Geriatrie-Patient starb noch am heutigen Mittwoch.

Das Klinikum "Ernst von Bergmann" in Potsdam.
Das Klinikum "Ernst von Bergmann" in Potsdam.
© Andreas Klaer

Insgesamt sind im Klinikum seit dem 26. März 45 Menschen an oder mit einer Covid-19-Erkrankung gestorben. Laut Angaben des Klinikums waren die Verstorbenen im Durchschnitt 81 Jahre alt und hätten alle unter Vorerkrankungen gelitten. Dies sei jedoch ausdrücklich "keine Relativierung der Todesfälle".

Den Rückschluss, dass die mit oder an Covid-19 verstorbenen Patienten des Bergmann-Klinikums ohne den Virusausbruch im Krankenhaus noch leben würden, könne man aber nicht ziehen, teilte das Klinikum mit. Bei vielen Patienten der Geriatrie sei die "genaue Todesursache" wegen der "mehrfachen und/oder schweren Vorerkrankungen" nicht eindeutig zu ermitteln. Die "Übersterblichkeit" in der Geriatrie und Infektiologie stehe aber "mit hoher Wahrscheinlichkeit" in Zusammenhang mit den Coronainfektionen.

So hat sich der Anteil der verstorbenen Infektiologie-Patienten in den ersten vier Monaten des Jahres von 6,8 Prozent im Jahr 2019 auf jetzt 11,6 Prozent fast verdoppelt; in der Geriatrie starben laut Klinikum in den ersten vier Monaten 2019 genau sechs Prozent der Patienten, 2020 waren es 7,3 Prozent. 

Anita Tack, ehemals Gesundheitsministerin des Landes Brandenburg, leitet jetzt die Untersuchungskommission zum Ernst von Bergmann Klinikum.
Anita Tack, ehemals Gesundheitsministerin des Landes Brandenburg, leitet jetzt die Untersuchungskommission zum Ernst von Bergmann Klinikum.
© dpa (Archiv)

Für die Geriatrie stellte die Interims-Geschäftsführung fest, dass die Verlegungen von Patienten auf die Station früher hätten gestoppt werden müssen. Zwischen dem 23. und dem 28. März seien 23 Patienten auf die Station verlegt worden. Es sei jetzt klar, dass eine solche Station bereits nach dem ersten Verdachtsfall komplett abgeriegelt werden müsse. Auch dürfe das Personal dann nicht mehr wechseln. Die Interims-Geschäftsführer räumten auch ein, dass auf der Geriatrie in den Tagen ab dem 20. März Patienten mit Covid-19-Symptomen wie Husten und Fieber nicht getestet worden sind - weil diese Symptome ihren Vorerkankungen zugeordnet worden seien.

Die PNN-Frage vom 14. April, ob Ärzte des Klinikums gegen die Isolation und das Screening - also Abstrichstests - "potenzieller Kontaktpersonen ersten Grades" entschieden haben, beantwortete das Klinikum jetzt so: "Uns ist kein einziger Fall bekannt, in dem ein Test eines begründeten Verdachtsfalls durch leitendes medizinisches Personal abgelehnt wurde." Nach PNN-Recherchen sollen jedoch auf die Geriatrie verlegte Patienten trotz explizierter Nachfragen zunächst nicht getestet und isoliert worden sein, obwohl es Hinweise gab, dass sie auf anderen Stationen mit Covid-Verdachtsfällen und Covid-Infizierten in Kontakt waren. Bis zum 27. März wurden nach Angaben des Klinikums Patienten auf die Geriatrie verlegt, am 25. März wurden laut Klinikum in der Nephrologie die ersten Covid-Erkrankungen bestätigt, am 26. März in der Urologie. Ebenso am 25. März seien Geriatrie-Patienten positiv getestet worden, die aus der Chirurgie dorthin verlegt wurden. Getestet wurden die ersten zwei infizierten Nephrologie-Patienten bereits am 23. März.

Gleichsam kann das Klinikum nicht nachweisen, dass die Zimmer von Covid-19-Patienten auf der Geriatrie nach deren Verlegung auf die Covid-Station tatsächlich wie angewiesen desinfiziert worden sind. "Uns ist nicht bekannt, dass es nicht gemacht wurde", sagte Interimschef Schmidt. Doch gleichzeitig könne das Klinikum "nicht lückenlos nachweisen, dass es gemacht wurde". 

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Unklar blieb weiterhin, warum das Führungsgremium des Krisenstabs im Klinikum angeblich nicht von den Coronainfektionen bei Mitarbeitern wusste, bevor das Krankenhaus nach dem Coronaausbruch die flächendeckenden Tests startete.

Verantwortlich für den Personalbereich des Hauses sei die Geschäftsführung, bestätigte Interims-Chef Tim Steckel auf PNN-Nachfrage. In der Personalabteilung, so schildert es die Ausbruchsanalyse, gab es sogar  eine "Quarantäne-Liste" mit den Angaben zu den wegen Coronaverdacht oder Coronainfektion ausfallenden Mitarbeitern. Diese Daten sind aber offenkundig nicht an den Krisenstab geflossen - in dem wie berichtet weder die Krankenhaushygiene noch der Betriebsarzt vertreten waren. Dies hatte auch der Bericht des Interventionsteams des Robert Koch-Instituts aufgeführt. 

Wer für die Vorbereitung des Klinikums auf die Coronapandemie und damit auch für die Besetzung des Krisenstabs verantwortlich war, wollten die Interims-Geschäftsführer Steckel und Schmidt nicht konkret benennen. Man sei nicht dafür da, "in der Vergangenheit nach Verantwortlichkeiten zu suchen", sagte Interimschef Schmidt. Klar ist jedoch: Die seit Ende April beurlaubte Geschäftsführung, bestehend aus dem kaufmännischen Geschäftsführer Steffen Grebner und der medizinischen Geschäftsführerin Dorothea Fischer, leitete gemeinsam mit weiteren Verantwortlichen, zu denen auch der Ärztliche Direktor und Infektiologie-Chefarzt Thomas Weinke sowie Infektiologie-Oberarzt Tillmann Schumacher gehörten, den Corona-Krisenstab des Klinikums.

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