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Kirchen in Potsdam ziehen ins Internet um.
© Andreas Klaer

Glaube in der Coronazeit: Aus der Potsdamer Kirche ins Wohnzimmer

Telefonisches Gebet und Gottesdienst im Stream: Wie die Potsdamer Christen trotz Versammlungsverbot in den kommenden Wochen ihren Glauben leben wollen.

Potsdam - Videogottesdienste, gemeinsames Beten am Telefon, Krankenbesuche unter höchsten Hygieneauflagen: Auch die Kirchen und Gemeinden müssen jetzt neue Wege gehen und sich den immer strengeren Auflagen anpassen. „Historisch waren Kirchen immer offen und ein Ort, wo man in den schlimmsten Zeiten hin konnte“, sagt Propst Arnd Franke. „Dass das jetzt nicht mehr möglich ist, ist für uns eine völlig neue Erfahrung.“

Seit einer Woche sind alle Veranstaltungen in Kirchen und Gemeinderäumen verboten. Die Kirchen dürfen zwar noch öffnen, aber das kann sich jederzeit ändern. Sankt Peter und Paul ist Dienstag bis Sonntag von 12 bis 17 Uhr geöffnet, allerdings nur zum persönlichen Gebet und unter Wahrung des gebotenen Abstands. Kirchenwächter desinfizieren regelmäßig Türklinken. Nikolaikirche und Friedenskirche, sonst für Touristen geöffnet, haben geschlossen. Touristen gibt es kaum mehr, und die ehrenamtlichen Kirchenwächter sollen zu Hause und gesund bleiben, sagt Pfarrer Matthias Mieke. Das gesamte Potsdamer Gemeindeleben findet jetzt per Telefon oder digital statt – oder in kleinsten Gruppen, beispielsweise bei Beerdigungen oder Taufen im Familienkreis. Trauungen und Konfirmationen werden aufgeschoben, ebenso die Erstkommunion von 32 Kindern, die im April in Peter und Paul stattfinden sollte, sowie der Einführungsgottesdienst der neuen Pfarrerin Aline Seel für Sankt Nikolai. Sie wird dennoch am 1. April ihre Stelle antreten.

Gottesdienst in leerer Kirche

Propst Franke hielt den Gottesdienst am vergangenen Sonntag in einer leeren Kirche. Statt zu Menschen sprach er zu einer Kamera, außer ihm waren Techniker, eine Lektorin, zwei Ministranten und der Organist dabei. Es gab Musik und es wurde gesungen. Die Gemeindemitglieder saßen zu Hause in ihren Wohnzimmern. Das Feedback dazu sei durchweg positiv, so Franke. Etwa 740 Mal wurde das Video aufgerufen, Zuschauer dürften es noch mehr gewesen sein. Franke ist neuer Technik gegenüber aufgeschlossen, aber ohne Zuhörer zu predigen, das sei auch für ihn befremdlich. Dennoch soll es fortgesetzt werden. Denn es gebe zwar Gottesdienste in Radio und Fernsehen, aber man wolle den Menschen einen Bezug zu ihrer Gemeinde durch ein regionales Angebot erhalten. Nun wird ab sofort gestreamt – von wechselnden Orten. Am morgigen Sonntag kommt der Gottesdienst aus der katholischen Kirche in Michendorf. Vielleicht ein positiver Aspekt dieser Ausnahmesituation: „Unsere Mitglieder können Gemeindeorte kennenlernen, die sie sonst nicht besuchen.“

Die Evangelische Kirche bietet noch keine Potsdamer Videogottesdienste. Aber auf der Internetseite www.evkirchepotsdam.de finden sich Hinweise auf Gottesdienste in Radio und TV. Die Stern-Kirche will morgen einen Telefongottesdienst organisieren, bei dem man also mithören kann, Information dazu soll es umgehend auf www.sternkirche-potsdam.de geben. Außerdem lädt Bischof Christian Stäblein täglich mittags um 12 Uhr per Livestream zum Gebet, der Link findet sich ebenfalls auf evkirchepotsdam.de.

Während sich Gottesdienste per Video in die Wohnzimmer schicken lassen, fallen Senioren- und Familienkreise, Religionsunterricht, Gesprächs- und Bibelkreise ersatzlos aus. Die Gemeinden lassen sich derzeit viel einfallen, um den Kontakt zu den Gemeindemitgliedern zu halten, sich zu helfen und aufzumuntern. Vor allem für die älteren Menschen ist das Telefon dabei das Mittel der Wahl: „Der Gesprächsbedarf ist sehr hoch“, so Mieke. „Die Menschen rufen sich häufiger an und achten aufeinander. Wir entwickeln gerade eine neue Sensibilität.“

Patenschaft am Telefon

Die katholischen Gemeinden wollen Telefonpatenschaften einrichten. Wer sich um Gemeindemitglieder kümmern möchte, bei Bedarf für sie einkaufen, ihnen am Telefon nur zuhören oder mit ihnen beten, wird von der Gemeindeverwaltung mit Hilfesuchenden zusammengebracht, so Verwaltungsleiter André Martin. „Wir wollen niemanden vergessen, vor allem nicht die Alleinwohnenden, ob nun Senioren oder junge Singles.“

Der Zusammenhalt findet nicht zuletzt auch auf einer geistlichen Ebene statt. Mitglieder der Nikolai-Gebetskreise werden weiterhin, wenngleich jeder für sich zu Hause, für persönliche Anliegen, die auf Zetteln in einem Briefkasten gesammelt werden, beten. „Kein Zettel geht verloren“, so Pfarrer Mieke. Täglich um 17 Uhr wird von den Katholiken zum Rosenkranzgebet eingeladen, bei dem man zwar alleine betet, sich aber mit anderen verbunden fühlen darf, sagt Propst Franke. Weitere sicht- und hörbare Zeichen sind geplant: Denkbar sei ein tägliches ökumenisches Abendläuten oder Kerzen in den Fenstern der Häuser, die Mut machen und trösten sollen. „Natürlich gibt es auch Menschen, die jetzt große Sorgen oder Ängste haben“, so Franke. „Aber Gott will nicht strafen, Gott will trösten und aufrichten.“ 

Karwoche und Ostertage ohne Liturgie kann sich derzeit auch Franke nicht vorstellen, man werde an vielen Stellen erfinderisch sein müssen. Die Beichte wird in einem Extraraum der Kirche stattfinden, in den Beichtstühlen wäre der Abstand zueinander zu gering. Das Osterfeuer in der Osternacht, der heiligste Moment im katholischen Kirchenjahr, wird dieses Jahr vielleicht nur in einer kleinen Schale in der Kirche entzündet und per Video übertragen. Und noch etwas sollten die Menschen jetzt wissen: Im größten Notfall, zum Beispiel auf der Isolierstation im Krankenhaus, könne jeder Mensch, auch ein Atheist, einem anderem die Taufe spenden, so der Propst. Bei der sogenannten Nottaufe muss etwas Wasser die Stirn des Täuflings benetzen, der Täufer spricht dabei: „(Vorname), ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“

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