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Evakuiert. Die Erosion der auftauenden Böden an der Küste Alaskas, hier auf einer Insel nahe der russischen Küste, führt zur Zerstörung des Lebensraums. Die Bevölkerung ist oft gezwungen, umzusiedeln.
© AFP

Permafrost-Konferenz in Potsdam: Alarm in der Arktis

In Potsdam tagen in dieser Woche fast 800 Polarforscher und Arktis-Experten. Sie wollen herausfinden, wie gefährlich das Auftauen der Permafrostböden in der Polarregion ist und was getan werden muss.

Potsdam - Die Lage ist alarmierend. Die arktischen Permafrostgebiete gehören zu jenen Regionen der Welt, in denen die Folgen des Klimawandels am deutlichsten zu spüren sind: Die seit Jahrhunderten dauerhaft gefrorenen Böden beginnen vielerorts aufzutauen. Der Polarforscher Hans-Wolfgang Hubberten vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Potsdam hat Daten von über 600 Bohrungen ausgewertet. Dabei habe sich gezeigt, dass sich die Erwärmung auch in dem dauerhaft gefrorenen Boden der Permafrostregionen auswirkt. Mittlerweile sei klar, dass sich der Permafrost auch in Tiefen bis zu 30 Metern erwärmt. In den vergangenen 30 bis 40 Jahren habe es im Boden eine Erwärmung von rund 1,5 Grad Celsius gegeben. „Die Erwärmung der Luft wirkt sich direkt aus“, erklärt Hubberten. Ursache für das Auftauen der Permafrostböden sei die globale Erwärmung.

770 Polarforscher und Experten

In dieser Woche sind rund 770 Polarforscher und Experten im Potsdamer Kongress-Hotel zusammengekommen, um noch bis 24. Juni auf der 11. Internationalen Permafrost-Konferenz (ICOP 2016) zu diskutieren, wie weit die Veränderungen vorangeschritten sind und mit welchen neuen Methoden die Wissenschaft den Wandel besser dokumentieren und vorhersagen kann. Die Konferenz findet alle vier Jahre statt, gemeinsame Veranstalter sind das Potsdamer Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), die Universität Potsdam, sowie die International Permafrost Association (IPA).

Dass sich in den hohen Breiten große Areale mit gefrorenem Boden erwärmen, wird bereits seit Jahrzehnten beobachtet. Die aktuelle Entwicklung nun ist insofern brisant, weil in Regionen, in denen der Permafrost nicht so kalt ist – beispielsweise am südlichen Rand der Arktis oder in den Bergen –, der bislang dauerhaft gefrorene Boden endgültig auftaut. „Wir kommen in Bereiche, in denen der Permafrost nur minus ein bis zwei Grad Temperatur hat – das wird dann langsam eine kritische Situation“, so Hubberten gegenüber den PNN.

Auswirkungen auf die Landschaft

Das Tauen von Bodeneis in Regionen mit eisreichem Permafrost kann noch weitere drastische Konsequenzen für arktische Landschaften und besiedelte Gebiete haben. Problematisch wird die Lage in den betroffenen Gebieten zum einen durch die Auswirkungen auf die Landschaft und damit auch die Standfestigkeit der Gebäude: Eisenbahnlinien verbiegen sich, Häuser bekommen Risse und stürzen ein. „Das ist eine große Gefahr“, so der Polarforscher. Das Schmelzen des unregelmäßig verteilten Eises kann zum ungleichmäßigen Absinken der Landoberfläche führen, wodurch dann Straßen, Eisenbahnschienen, Landebahnen, Gebäude und Öl- und Gas-Pipelines beschädigt werden können. Auf der Potsdamer Konferenz sind daher auch Permafrost-Ingenieure zugegen, die mit den Forschern zusammen klären wollen, was zu tun ist.

Hinzu kommt, dass sich die Landschaft verändert. Entweder vernässen die Gebiete oder sie werden letztlich durch das Verschwinden des Tauwassers im Grundwasser gänzlich austrocknen. Die Vernässung ist ein Problem in Regionen, in denen der Permafrost in der Tiefe noch fortbesteht. „Hier entstehen riesige Gebiete mit Wasserflächen, die unter anderem für Weidehaltung nicht mehr nutzbar sind“, erklärt Hubberten.

Der Treibhauseffekt wird verstärkt

Durch das Auftauen der Frostböden drohe zudem auch eine Verstärkung des Treibhauseffektes. In den Permafrostböden sind seit Jahrtausenden große Mengen von Kohlenstoff wie in einer Tiefkühltruhe eingefroren. Diese drohen nun freigesetzt zu werden. Der Kohlenstoff, der frei wird, kann wiederum von Mikroorganismen zu Methan umgesetzt werden, das ein starkes Treibhausgas ist. Momentan gelten die Permafrostböden noch als CO2-Senke, weil sie durch die Vegetation Kohlendioxid aufnehmen. In Zukunft entsteht aber mehr Methan. Hinzu kommt viel freies oder als Gashydrat gebundenes Methan, das in den Permafrostböden gespeichert war und nun frei wird. Dieses wird verstärkt in die Atmosphäre freigesetzt und potenziert den Treibhauseffekt.

Polarforscher Hubberten möchte den Alarmismus allerdings etwas einschränken: Die Lage sei nicht so dramatisch, wie vor einigen Jahren in den Medien dargestellt. Der Prozess verlaufe relativ langsam, nach einer Hochrechnung dürfte bis 2100 die Freisetzung von Methan aus dem Permafrost zu rund 0,1 bis 0,2 Grad zusätzlicher Erwärmung führen. Bei einer Beschränkung der Erderwärmung auf 1,5 Grad seit der Industrialisierung sei aber auch dies ein erheblicher Faktor.

Expeditionen in die Polarregionen

Durch diese Verstärkung der globalen Erwärmung hat der tauende Dauerfrostboden nicht nur lokale Auswirkungen, sondern betrifft das Klima und so auch Menschen weltweit. Den genauen Prozess zu erfassen, ist aber recht schwierig. Zahlreiche Wechselwirkungen des Permafrostbodens mit der Umgebung erschweren die wissenschaftliche Aufgabe, die Gefahr realistisch einzuschätzen. Darum führen Wissenschaftler des Potsdamer Alfred-Wegener-Instituts jedes Jahr Expeditionen in die Polarregionen durch, um die vielseitigen Prozesse im Permafrost zu verstehen und den zukünftigen Zerfall einschätzen zu können.

Oft gegenläufige Effekte

Die physische und biochemische Entwicklung des Permafrosts zu prognostizieren ist für die Forscher eine äußerst komplexe Aufgabe. Viele Oberflächeneigenschaften ändern sich gleichzeitig, wie zum Beispiel die Schneedecke und die Vegetation. „Dadurch kommt es zu vielfältigen und oft gegenläufigen Effekten“, so die Einschätzung des AWI. Außerdem greife der Mensch zunehmend in die Landschaftsentwicklung ein. „Vorhersagen sind darum immer noch mit großen Unsicherheiten behaftet“, heißt es. Studien zu vergangenen Klimaveränderungen wie zu jener Wärmeperiode, die unmittelbar nach der letzten Eiszeit folgte und in welcher die Arktis sich sehr schnell erwärmte, hätten jedoch gezeigt, dass Permafrost dramatisch von steigenden Temperaturen beeinflusst werde. „Schlussendlich könnte der Dauerfrostboden unter Umständen gar nicht so dauerhaft sein“, lautet ein Fazit der Forscher.

Wie lang der Permafrost noch stabil bleibt, hängt nach Angaben der AWI-Forscher auch von der Bodentemperatur ab. Weitere Einflussfaktoren sind die Energiebilanz an der Oberfläche, die Wärmekapazität und Wärmeleitfähigkeit des Bodens, die Vegetation, die Schneebedeckung und die Anwesenheit von Seen und Flüssen sowie das Grundwasser in der Umgebung.

Neue Bautechniken und Umsiedelung

Was ist nun aber in den betroffenen Regionen zu tun? Die AWI-Wissenschaftler betonen, dass die Technik des Bauens in den Gebieten verändert werden muss. Zum einen brauche man neue Techniken zur Stabilisierung des Untergrundes. Zum anderen müsse die Bautechnik der Häuser selbst angepasst werden, um eine langfristige Standfestigkeit zu sichern. Hinzu kommt, dass in den küstennahen Regionen, deren Küstenlinien nun immer stärker erodieren oder abgetragen werden, Strategien zur Umsiedlung der Ortschaften entwickelt werden müssen.

Meereis und Grönlandeis tauen ab

Aber nicht nur die Entwicklung beim Permafrost ist besorgniserregend. Verbunden mit der Erwärmung in der Arktis, die laut Hubberten in den vergangenen 30 bis 40 Jahren deutlich über einem Grad betragen hat, schmilzt nach Beobachtungen der Forscher immer mehr Eis an der Oberfläche Grönlands. „Es gibt immer mehr Tage, an denen fast die komplette Oberfläche anschmilzt“, so Hubberten. Gleichzeitig geht die Meereisdecke in der Arktis kontinuierlich zurück. „Das heißt zum einen, die vom Meereis bedeckte Fläche schrumpft. Zum anderen verliert das verbleibende Meereis an Volumen oder es bildet sich im Winter nur eine sehr dünne neue Eisdecke“, erklärt der Experte. Insgesamt sei das Meereis der Arktis heute also deutlich dünner als noch vor 20 oder 30 Jahren.

Permafrost-Forscher Hubberten ist sehr alarmiert: Er hat die Befürchtung, dass selbst beim aus seiner Sicht sehr unwahrscheinlichen Erreichen des 1,5-Grad-Ziels irreversible Prozesse angeschoben werden, die zu einer kontinuierlichen Veränderung des Klimasystems führen. „Die Alarmglocken schrillen sehr deutlich“, so der Wissenschaftler. Es handele sich um ein Wechselspiel von verschiedenen Prozessen. So führe beispielsweise der Rückgang des Meereises zu mehr dunkler Meeresoberfläche, die wiederum mehr Sonnenlicht und Wärme speichert. Dadurch würden Meeresströmung und Luftzirkulationen geändert. Irgendwann werde auch ein Punkt erreicht sein, ab dem das Abtauen des Grönlandeises unumkehrbar ist. „Das dürfte aber voraussichtlich noch einige Jahrhunderte dauern“, meint Hubberten.

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