Gedenkstätte Lindenstraße: AfD-Abgeordneter Keuter soll Euthanasie verharmlost haben
Hitler-Bilder per Whatsapp kannte man vom AfD-Bundestagsabgeordneten Stefan Keuter bereits. Nun soll er in Potsdam die NS-Euthanasie gerechtfertigt haben.
Potsdam - Gegen den AfD-Bundestagsabgeordneten Stefan Keuter ist in Potsdam Strafanzeige wegen des Vorwurfs der Volksverhetzung erstattet worden. Keuter soll am 1. Oktober bei einem Besuch der Gedenkstätte Lindenstraße in der brandenburgischen Landeshauptstadt NS-Verbrechen verharmlost haben. Die Gedenkstätten-Leiterin Uta Gerlant bestätigte am Freitag auf Anfrage entsprechende PNN-Informationen.
Nach Gerlants Darstellung soll Keuter in der Gedenkstätte zu Beginn einer Führung gesagt haben, man müsse die Euthanasie im Dritten Reich aus der Zeit heraus als gerechtfertigt verstehen. Ein weiterer Teilnehmer der Besuchergruppe aus Keuters Essener Wahlkreis, die über das Bundespresseamt in Berlin und Potsdam zu Gast war, soll die Zwangssterilisation im Dritten Reich verharmlost und auf derlei Praxis in anderen Staaten verwiesen haben.
Nachdem in der Stiftung Gedenkstätte Lindenstraße das weitere Vorgehen mit anderen Gedenkstätten, in den Gremien und mit Beratungsinstituten besprochen wurde, habe sie am Donnerstag Strafanzeige erstattet. Die Staatsanwaltschaft Potsdam erklärte auf Anfrage, sie sei über die Strafanzeige informiert.
Keuter war bereits aufgefallen
Keuter selbst bestreitet die Vorwürfe. Er war in der Vergangenheit bereits aufgefallen, weil er über Whatsapp eindeutige Bilder verschickt hatte – etwa von Adolf Hitler mit ausgestrecktem Arm, von einer Duschkabine mit gekacheltem Hakenkreuz und von einem Stahlhelmsoldaten am Maschinengewehr plus Kommentar: „Das schnellste deutsche Asylverfahren.“
Der AfD-Bundestagsabgeordnete: Anzeige politisch motiviert
Er habe in der Gedenkstätte die Euthanasie nicht verharmlost, sagte Keuter den PNN. Vielmehr habe er während der Führung durch Räume erklärt, dass in der Ausstellung ein Schwerpunkt auf der Euthanasie, nicht auf den „Verbrechen in der DDR“ und auf der „letzten Nutzung als Stasi-Gefängnis“ gelegen habe. Diese Geschichte sei nicht ausreichend gewürdigt, die „letzte Verwendung des Gebäudes“ unterrepräsentiert. Der Strafanzeige sehe er gelassen entgegen, er werte sie als politisch motiviert, sagte Keuter.
Im Dritten Reich wurde das Gebäude als NS-Erbgesundheitsgericht und als Gerichtsgefängnis für politisch und „rassisch“ Verfolgte des NS-Regimes genutzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es Zentrales Sowjetisches Geheimdienstgefängnis, auch das Sowjetische Militärtribunal tagte dort. Ab 1952 bis zur Wende betrieb das Ministerium für Staatssicherheit dort ein Untersuchungsgefängnis.
„Unerträgliche Verharmlosung von NS-Verbrechen“
Euthanasie ist ein beschönigender Begriff für die Verbrechen der Nazis. Sie ließen im Dritten Reich und in den besetzten Gebieten mehr als 200000 Menschen mit Behinderungen und Erkrankungen systematisch ermorden.
Gedenkstättenleiterin Gerlant sagte, nach der Äußerung des AfD-Abgeordneten habe die Mitarbeiterin der Einrichtung dem Politiker widersprochen und die Führung der Besuchergruppe dann fortgesetzt.
Zu den von ihr angezeigten Äußerungen sagte sie: „Es ist eine unerträgliche Verharmlosung von NS-Verbrechen. Daran sieht man, dass der Abgeordnete keine Einsicht hat, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht anerkennt und weich waschen will. Hier wird einem völkischen Denken das Wort geredet.“
Auch mit der Strafanzeige können Staatsanwaltschaft und Polizei zunächst keine Ermittlungen aufnehmen, denn Bundestagsabgeordnete genießen Immunität. Das schützt sie zunächst vor Strafverfolgung. Vielmehr müsste die Staatsanwaltschaft bei der Bundestagsverwaltung ein Begehren zur Aufhebung der Immunität einreichen. Der Bundestag genehmigt in der Regel pauschal Ermittlungen gegen Parlamentarier.
Erinnerungen an Fall in Sachsenhausen
Der Fall erinnert an Vorgänge in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen. Gegen einen AfD-Anhänger aus dem Bodensee-Wahlkreis von AfD-Fraktionschefin Alice Weidel erging im Oktober ein Strafbefehl über 4000 Euro für Volksverhetzung und Störung der Totenruhe. Der 69-Jährige hatte im Juli 2018 in der Gedenkstätte die Existenz von Gaskammern im NS-Regime geleugnet. Nachdem diese Zeitung den Fall enthüllt hatte, nahmen Staatsanwaltschaft und Polizei sofort Ermittlungen auf. Der Mann wurde zu einer Geldstrafe verurteilt.