So reagiert die Opposition auf den Regierungsstreit: Zwischen Notbremse und Neuwahlen
Der AfD sieht den Regierungsstreit als "Geschenk", die Linkspartei sieht Horst Seehofer als Buhmann, die FDP setzt auf Neuwahlen - und die Grünen auf Humanität.
Angela Merkel als Feindbild – das kommt der AfD ziemlich gelegen. Spätestens seit 2015 hat sich die Partei voll auf die Bundeskanzlerin eingeschossen, ähnlich verhasst sind bei den Rechtspopulisten nur die Grünen. „In der AfD bedauert man schon das Abhandenkommen des Feindbilds Merkel, sollte sie im unionsinternen Kampf Ursula von der Leyen, Jens Spahn oder Annegret Kamp-Karrenbauer Platz machen müssen“, berichtete ein Reporter von „Zeit online“ vergangene Woche. „Leider, da fehlt dann eine gute Zielscheibe“, sagte damals einer aus der Spitze. Doch auch wenn Merkel – mindestens vorerst – im Amt bleibt: Die AfD macht sich Hoffnung, vom Asylstreit zwischen den Unionsparteien zu profitieren. „Entweder Seehofer verliert oder es verliert Merkel“, sagte der stellvertretende Parteichef Georg Pazderski der Nachrichtenagentur dpa. Für die AfD sei der ganze Streit dagegen „ein Geschenk“. Seehofers Idee, Asylbewerber, die bereits in einem anderen EU-Land registriert seien, an den Grenzen abzuweisen, bezeichnete Pazderski als „Schritt in die richtige Richtung“. Der zweite Schritt müsse sein, „alle diejenigen abzuschieben, die hier kein Bleiberecht haben“.
Für die Linkspartei ist im aktuellen Konflikt zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer klar, wer der Böse ist: nämlich der CSU-Vorsitzende. Den kolportierten Satz von Seehofer, „ich kann mit der Frau nicht mehr arbeiten“, kommentierte der Bundestagsabgeordnete Matthias Höhn: „Dann lass es doch!“ Auch Parlamentsgeschäftsführer Jan Korte verlangte, Merkel müsse „die Notbremse ziehen“ und ihren Innenminister in den vorzeitigen Ruhestand versetzen. Und Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau meinte: „Der aktuelle Streit zwischen Seehofer und Merkel, zwischen CSU und CDU ist kreuzgefährlich.“ Es gehe nicht nur um Flüchtlings- und Asyl-Politik. „Die CSU hat einen Wettlauf mit der AfD aufgenommen, wer nationalistischer, wer anti-europäischer ist.“
Deutlich wurde auch Parteichefin Katja Kipping: „Wenn die Union heute die Flüchtlingspolitik von Viktor Orbán und Sebastian Kurz kopieren will, dann ist sie morgen auch bereit, die AfD hier in die Regierung zu holen“, sagt sie. „Die SPD steht dabei schweigend als Zaungast nur am Rande und opfert die Idee von Europa und die Menschenrechte ihrer Angst vor Neuwahlen.“
Die Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Sahra Wagenknecht, hielt sich hingegen auffallend zurück – sie hatte wiederholt Verständnis für Bürger-Sorgen wegen der hohen Zahl der Flüchtlinge geäußert. In ihrem Newsletter vom Sonntagabend an ihre Anhängerinnen und Anhänger kam der Konflikt Merkel-Seehofer nicht vor. Stattdessen wies Wagenknecht darauf hin, dass sie wegen des Linken-Parteitagsbeschlusses mit der Forderung nach „offenen Grenzen“ keine Notwendigkeit sehe, ihre eigene Position zu verändern: „Die Forderung ,Offene Grenzen für alle’ – also jeder, der will, kann nach Deutschland kommen – findet sich im Leitantrag nicht.“
Der Vorsitzende der FDP, Christian Lindner, will die Debatte, die ihn seit dem Scheitern der Jamaika-Gespräche verfolgt, gleich im Keim ersticken: Seine Partei stehe nicht bereit, die Regierung zu retten, sagte der Partei- und Fraktionschef der „Passauer Neuen Presse“. Sollte die große Koalition am unionsinternen Streit auseinanderbrechen, müsse es Neuwahlen geben. „Wir sind kein Notnagel“, betont Lindner. Eine Botschaft, die sich nicht nur an die Kanzlerin und ihre CDU richtAet, sondern auch an die eigenen Parteifreunde. Am Wochenende hatte der stellvertretende Fraktionschef Michael Theurer einen neuen Anlauf für eine Jamaika-Koalition von Union, FDP und Grünen ins Spiel gebracht. „Wie das?“, wies Lindner seinen Kollegen über den Kurznachrichtendienst Twitter zurecht. Im aktuellen Asylstreit sei die FDP näher bei der CSU als bei Frau Merkel und den Grünen, sagte Lindner und forderte, die FDP solle am „Mut zur Klarheit“ festhalten. Schließlich könnte es sein, dass die Partei die Frage nach dem Regierungswillen in zwei Wochen schon wieder gestellt bekommt – dann, wenn Merkel „mit leeren Händen“ vom EU-Gipfel zurückkehren sollte, wie FDP-Generalsekretärin Nicola Beer sagt.
Die Grünen präsentieren sich – anders als die FDP – weiter regierungsbereit. „Dass die Grünen regieren könnten und gestalten wollen – daran gibt es sicherlich keinen Zweifel“, sagte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt der „taz“. Ob das auch ein konkretes Angebot für den Fall sein soll, dass es zum Koalitionsbruch kommen sollte und SPD und CDU auf der Suche nach einem Koalitionspartner wären? „Wir sind nicht der Notnagel“, sagt Göring-Eckardt – da ist die Grünen-Spitzenfrau sich dann doch mit FDP-Chef Lindner einig. Zur SPD und zur CDU gebe es „gravierende Unterschiede“, sagt Göring-Eckardt und nennt als Stichworte: die ökologische Frage und die Humanität.
Im CDU-CSU-Streit wollen die Grünen sich als die Kraft darstellen, die als einzige in der Asylpolitik auf Humanität setzt. Der Grünen-Vorstand legte am Montag einen Masterplan zur Migration vor: Das Recht auf Asyl sei „nicht verhandelbar“, heißt es dort. Zugleich fordern die Grünen eine „funktionierende Kontrolle“ der EU-Außengrenzen. „Natürlich müssen wir wissen, wer zu uns kommt“, schreibt der Parteivorstand. Die Menschen müssten registriert und Daten abgeglichen werden, auch, um zu verhindern, dass mögliche Terroristen untertauchten. Die Grünen fordern zudem ein europäisches Asylsystem mit einer EU-Behörde, die mit den Mitgliedstaaten für eine schnelle und faire Verteilung der Flüchtlinge sorgen soll. Der Plan sieht auch ein europäisch organisiertes Seenotrettungsprogramm vor, damit nicht Schiffe wie die Aquarius in einem Hafen abgewiesen werden können. Außerdem fordert die Partei mehr Investitionen in Integration. Diese sei für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland unabdingbar – und auch ein Beitrag zur Prävention von Straftaten.