Asylpolitik: Zwischen Ankerzentren und Arbeitsplätzen
Die Kanzlerin und ihr Innenminister streiten über die Reform des Asylsystems. Worum geht es und wie steht es überhaupt um die Flüchtlinge in Deutschland?
Wie heikel das Thema Migration in Deutschland politisch ist, zeigt sich an der überraschenden Absage der für Dienstag geplanten Präsentation eines „Masterplans Migration“ durch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Ursprünglich wollte er ein Paket mit 63 Maßnahmen zur Asylpolitik vorstellen.
Worum sollte es in Seehofers 63-Punkte-Plan gehen?
Seit Mai wird die Debatte um das deutsche Asylsystem von der Affäre um die Bremer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) dominiert. Dort sollen Asylverfahren jahrelang gegen herrschende Regeln gelaufen sein; Bremen gewährte überdurchschnittlich oft Schutz in Deutschland. In den Prüfungen, die Bamf und Innenministerium angeordnet haben, werden jetzt auch die Außenstellen durchleuchtet, deren Anerkennungsquoten stark unter dem Schnitt lagen. Aus beidem lässt sich ablesen, dass es für die Asylverfahren Änderungsbedarf gibt. Die Innenrevision des Bamf hatte kürzlich „fehlerhafte Bearbeitung“ und „unzureichende Sachverhaltsaufklärung“ in etlichen Verfahren entdeckt. Innenminister Seehofer – schon als Bayerns Ministerpräsident ein harter Kritiker der Asylpolitik der Kanzlerin – ist entschlossen, es nicht bei Änderungen im System zu belassen. Am Wochenende kündigte er an, dass sein „Masterplan“ auch vorsehe, Geflüchtete ohne Papiere bereits an der deutschen Grenze abzuweisen. Genau daran hat sich wohl der Streit mit der Kanzlerin entzündet.
Wie viele Flüchtlinge leben in Deutschland, woher kommen sie und wie ist ihr Status?
Ende letzten Jahres lebten rund 900 000 Menschen in Deutschland, die man als Flüchtlinge bezeichnen kann, weil sie aus unterschiedlichen Gründen hier einen Schutzstatus erhielten. Darunter sind viele – etwa ein Fünftel –, die bereits seit sechs Jahren und mehr hier sind. Die mit Abstand größten Gruppen waren zum Stichtag 31. Dezember 2017 Syrer und Iraker, knapp 725 000 Personen, die entweder den vollen Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention bekamen oder aber sogenannten „subsidiären“, was im Wesentlichen bedeutet, dass sie ihre Familien nicht nachholen dürfen. Von den 73 400 Menschen, die nicht abgeschoben werden dürfen, haben die meisten einen afghanischen Pass. Zu diesen 900 000 müssen die hinzugerechnet werden, deren Asylverfahren noch nicht entschieden ist oder die gegen eine Entscheidung klagen. Hinzu kommen rund 40 000 Menschen, die auf eine Entscheidung im Asylverfahren warten oder gegen einen Beschluss des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge geklagt haben. Weitere 89 000 abgelehnte Asylbewerber leben hier mit einer „Duldung“, das heißt, sie können aktuell nicht abgeschoben werden, weil Papiere fehlen oder weil sie krank sind, müssen aber immer damit rechnen, dass dies geschieht. Das gilt mittlerweile nicht mehr, wenn sie nachweisen können, dass sie „nachhaltig integriert“ sind.
Wie viele Flüchtlinge arbeiten?
Eine Arbeitsstelle gilt allgemein als wichtiger Hinweis auf Integration. Gleichzeitig ist die Arbeitslosenquote Geflüchteter hoch – schon mangelnde Sprachkenntnisse verbauen ihnen in den ersten Jahren den Weg in einen Job. Ihre Arbeitslosenquote lag im Mai denn auch bei 41,5 Prozent. Das hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit kürzlich ausgerechnet – wobei es Unsicherheiten gibt, weil die Agentur bis vor zwei Jahren den Aufenthaltsstatus noch nicht erfasste. 223 000 Geflüchtete hatten ebenfalls im März eine sozialversicherungspflichtige Arbeit. Dies ist eine Steigerung von 60 Prozent gegenüber dem ersten Quartal von 2017. In der Vergangenheit gelang es im ersten Jahr immer nur höchstens acht Prozent der Flüchtlinge, Arbeit zu finden. Nach fünf Jahren hatte das die Hälfte geschafft.
Aktuell hilft der Mangel an Auszubildenden und die gute Konjunktur ihnen allerdings, eine Ausbildung zu machen – auch wenn diese Zahl absolut immer noch niedrig liegt: Zwischen 2015 und 2017 vervierfachte sich die Zahl von Azubis, die aus den acht wichtigsten sogenannten Asylherkunftsstaaten kommen, auf knapp 27 800.
Wie ist die Situation der Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde?
Wessen Asylantrag abgelehnt wurde, kann – wie das in Rechtsstaaten gegen jede Behördenentscheidung möglich ist – dagegen vor Gericht gehen. Das führt nicht selten zum Erfolg – im letzten Jahr in 40,8 Prozent der Fälle. Menschen aus Syrien und Afghanistan bekamen sogar zu mehr als 60 Prozent vor Gericht recht. Diese Verfahren dauern allerdings lange, vergangenes Jahr im Schnitt acht Monate. Die Verwaltungsgerichte sind überfordert, weil die Zahl der Verfahren sprunghaft steigt, was nach Meinung von Kritikern daran liegt, dass das Bamf nicht sorgfältig genug entscheidet oder unter Erfolgs- und Zeitdruck nicht entscheiden kann. In dieser Zeit kann sich ein Aufenthalt „verfestigen“, wenn es nicht sowieso Gründe gibt, warum ein abgelehnter Asylbewerber bleiben muss.
Was hat es mit den sogenannten Ankerzentren auf sich?
Gegen die lange Verfahrensdauer will Minister Seehofer mit dem Konzept der Ankerzentren – für „Ankunft, Entscheidung, Rückführung“ – vorgehen. Die Verfahren sollen schneller enden. Weil Asylsuchende bis zur Entscheidung in diesen Zentren bleiben müssen, wäre aber vor allem ihre Abschiebung leichter. Hilfsorganisationen befürchten dauerhafte Isolation auch von Menschen, die bleiben werden, Gewalt und Nachteile vor allem für Kinder, die nicht in reguläre Schulen können. Migrationsexperten verweisen auf die Schweiz und die Niederlande: Dort begleiten Anwälte die Asylsuchenden von Anfang an, was zum Beispiel Bearbeitungsfehler und folglich Klagen verhindert. In der Schweiz konnten zuletzt 60 Prozent der Verfahren in weniger als als vier Monaten abgearbeitet werden.
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