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Ausbau der Ostsee-Pipeline: Zwei gegen Brüssel

Wirtschaftsminister Gabriel macht sich an der Seite von Russlands Präsident Putin für den Ausbau der Ostseepipeline stark – zum Ärger der EU-Kommission.

Wenn Politiker als Handlungsreisende unterwegs sind, bevorzugen sie häufig das verschwiegene Gespräch unter vier Augen. Umso bemerkenswerter ist die Mitschrift, die der Kreml vor knapp drei Wochen nach einer Begegnung zwischen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin veröffentlichte. Es ging um die geplante Erweiterung der Ostseepipeline „Nord Stream“. Gabriel erklärte dem Protokoll zufolge, er wolle sicherstellen, dass der geplante Pipeline-Bau rechtlich möglichst in der Obhut der deutschen Behörden bleibe. Was der Gast aus Berlin damit meinte: Brüssel soll sich aus der weiteren Ausgestaltung des Projekts heraushalten.

Im vergangenen September unterzeichneten der russische Energiekonzern Gazprom und europäische Unternehmen wie Eon, BASF und Shell einen Gesellschaftervertrag zum Bau der „Nord Stream 2“- Pipeline. Zwei weitere Stränge dieser Pipeline sollen bis 2019 fertig werden. Sie würden die seinerzeit vom damaligen Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und Putin eingefädelte Gasversorgung über die Ostsee-Pipeline erheblich erhöhen: Die neue Pipeline, die pro Jahr 55 Milliarden Kubikmeter Gas aus Russland nach Deutschland leiten könnte, würde die Kapazität von Nord Stream verdoppeln.

Am Mittwoch legt die Kommission einen Bericht zur EU-Energieunion vor

Doch in Brüssel ist man von dem Projekt nicht begeistert. An diesem Mittwoch will der für Energie zuständige Vizepräsident der EU-Kommission, der Slowake Maros Sefcovic, einen Bericht über den Fortschritt seines wichtigsten Projektes vorlegen – die Energieunion, die die 28 EU-Staaten in der Klima- und Versorgungspolitik enger zusammenschweißen soll. Im Entwurf von Sefcovics Bericht heißt es, dass die Kommission „genau überprüfen“ wolle, ob die Pläne für „Nord Stream 2“ mit dem EU-Regelwerk übereinstimmen.

Trotz der Einwände von Sefcovic dürfte es für die EU-Kommission schwierig werden, das Projekt zu kippen. Sie müsste einen juristischen Ansatz finden, der es ihr erlaubt, aus dem nationalen Genehmigungsverfahren eine EU-Prüfung zu machen. Danach sieht es nach Ansicht von Beobachtern nicht aus.

Die in Brüssel herrschende Skepsis gegenüber dem Ausbau der Ostseepipeline hat geopolitische Gründe. In der EU-Hauptstadt befürchtet man, dass die Abhängigkeit von russischen Gasimporten durch die Pipeline-Erweiterung zunehmen würde. Bereits im vergangenen Frühjahr hatte Kommissions-Vizechef Sefcovic ein Strategiepapier vorgelegt, in dem er die Europäer aufforderte, nach Alternativen zu Energieimporten aus Russland Ausschau zu halten.

Selbst Gabriels Parteifreunde in Brüssel kritisieren Einfluss von Gazprom

Zudem sieht man in Brüssel angesichts der Erweiterung der Pipeline das Risiko, dass die Ukraine als wichtiges Gas-Transitland ab 2020 bedeutungslos würde. Um diese Gefahr weiß auch Gabriel. Bei seiner jüngsten Visite in Moskau sagte er laut den Kreml-Aufzeichnungen, dass „die Rolle der Ukraine als Transitland nach 2019“ erhalten bleiben müsse.

Während sich der Wirtschaftsminister für „Nord Stream 2“ starkmacht, sehen in Brüssel selbst Parteifreunde Gabriels das Ausbau-Projekt wegen der mächtigen Stellung des Energieriesen Gazprom durchaus kritisch. „Wir stehen in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis mit Russland“, stellt Martina Werner fest. Die energiepolitische Sprecherin der SPD-Abgeordneten im EU-Parlament findet es nicht einleuchtend, dass „nur Gazprom Vorteile aus dieser Situation“ ziehe. Noch deutlicher wird die Kritik an der Pipeline bei den Konservativen im Europaparlament formuliert. So begrüßt der Chef der CDU/CSU-Gruppe, Herbert Reul, die Ankündigung der Kommission, den Ausbau von „Nord Stream“ eingehend zu prüfen. Es bestehe „die Gefahr, dass die Abhängigkeit von russischem Gas erhöht wird“, sagt der CDU-Parlamentarier mit Blick auf die Ausbau-Pläne.

Wenn man sich in Brüssel umhört, dann fällt auf, dass die Bedenkenträger, die gegen den Bau der beiden zusätzlichen Versorgungsstränge mobil machen, vor allem aus Osteuropa kommen. Zu ihnen gehört Jerzy Buzek, der früher Ministerpräsident in Polen war und heute Vorsitzender des Industrieausschusses im EU-Parlament ist. In der vergangenen Woche listete Buzek in einem Brief an Sefcovic die Bedenken des Industrieausschusses gegen die enge Zusammenarbeit mit Gazprom auf. Das „Nord Stream“-Projekt, schrieb Buzek, sei unvereinbar mit dem „Kernanliegen“ der EU-Energiepolitik, nämlich der Erschließung vieler unterschiedlicher Energiequellen. Sefcovic müsse bei der Vorstellung seines Berichts über die Energieunion an diesem Mittwoch deutlich machen, dass der Pipelinebau nicht mit EU- Geldern gefördert werden könne, verlangte Buzek.

Grünen-Abgeordneter Turmes setzt auf Skepsis von Kanzlerin Merkel

Auch Buzeks Landsmann Donald Tusk hat sich in der Vergangenheit dafür eingesetzt, dass die Europäer die engen Verbindungen zu den russischen Gaslieferanten lockern. Seit einem knappen Jahr ist Tusk nun EU-Ratspräsident und verfügt damit über eine starke Position in Brüssel. Der Pole lädt die Staats- und Regierungschefs zu den regelmäßigen EU-Gipfeln ein und bestimmt die Agenda der Treffen. Tusk solle den geplanten Ausbau der Ostsee- Pipeline auf die Tagesordnung des nächsten regulären Treffens von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit ihren Amtskollegen im kommenden Monat nehmen, fordert der Energieexperte Claude Turmes, der die Grünen im Europaparlament vertritt.

Nach der Einschätzung von Turmes sieht die Kanzlerin das Pipeline-Projekt „viel skeptischer“ als Gabriel. In jedem Fall steht Merkel nicht in dem Verdacht, die Bedeutung des Russland-Geschäfts für die deutsche Wirtschaft überzubewerten. Im März 2014, auf dem Höhepunkt der Krimkrise, äußerte sie sich bei einem Spitzengespräch mit den vier großen Wirtschaftsverbänden in München zur Dimension des jährlichen Handelsvolumens zwischen Deutschland und Russland. Die Dimension sei „auch nicht so, dass sie nun das gesamte deutsche Wirtschaftsengagement ausmacht“, sagte Merkel flapsig. Im Klartext: Es gibt auch noch andere Partner als Putin.

Der Text erschien in der "Agenda" vom 17. November 2015 - einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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