AKK und Nahles: Zwei Chefinnen, die nicht weit auseinander sind
Annegret Kramp-Karrenbauer und Andrea Nahles diskutieren über die Zukunft der Volksparteien - und sind sich in Diagnose wie Therapieansatz erstaunlich einig.
Unter den Fragen, die Andrea Nahles nun wirklich leid ist, nimmt die nach dem Ende der großen Koalition noch einmal einen Sonderstatus ein. „Diese apokalyptische Grundmelodie, die uns jetzt ’ne ganze Zeit begleitet, die find’ ich echt doof!“ schimpft die SPD-Chefin. Man könne doch nicht „jeden wichtigen Punkt immer zum Dingsbums machen!“ Annegret Kramp-Karrenbauer deutet ein verständnisvolles Nicken an. Wahrscheinlich hat die CDU-Chefin die Kollegin schon öfter so aufstöhnen hören, wenn sich die zwei vor und nach und in Koalitionsrunden trafen. Aber öffentlich die beiden so nebeneinander zu erleben, wie am Mittwochabend im Humboldt Carré, ist doch selten.
Die Bertelsmann-Stiftung hat zur Diskussion geladen, die Journalisten Andrea Ulrich vom Inforadio und Stefan Braun von der „Süddeutschen Zeitung“ stellen Fragen. Es wird eine nachdenkliche Stunde unter dem Titel: „Retten diese beiden Frauen die Volksparteien?“ Diese beiden Frauen, das gleich vorweg, finden den Titel übertrieben. Sie habe nicht den Eindruck, dass die CDU am Abgrund stehe, sagt Kramp-Karrenbauer, und sie alleine könne eh nicht viel bewirken. Nahles gibt ihr knapp Recht: „Jau!“
Zwei Parteichefinnen, die in der Diagnose nicht weit auseinander sind
Dabei wissen beide, dass natürlich etwas dran ist an der Frage in Zeiten, in denen Populisten Erfolge feiern. Vielleicht gerade deshalb erleben die Zuschauer zwei Parteichefinnen, die in der Diagnose wie in den Therapieansätzen nicht weit auseinander sind. Finanz-, Euro- und zuletzt Flüchtlingskrise seien nicht Ursache, sondern nur „Beschleuniger“ gewesen für ein Unbehagen, das tiefer sitze, sagt etwa Kramp-Karrenbauer.
Nahles steuert dazu die Geschichte vom Mann aus Andernach bei, der in ihr Büro kam und für die Straße vor seiner neuen Wohnung eine Verkehrsberuhigung einforderte. Leider wohnte er an der Hauptverkehrsader. Das mochte er nicht hören und ging zur CDU. Als die ihm auch keine Fußgängerzone vor dem Fenster versprach, zog er weiter zur AfD.
Kompromiss und Interessenausgleich, folgert die SPD-Chefin, hätten es schwer in Zeiten, in denen viele glaubten, Politik sei wie Amazon: Aussuchen, klicken, liefern.
Auch Kramp-Karrenbauer kennt es, dass Kompromisse schlecht geredet werden. Sie hat in ihrer Zuhör-Tour als Generalsekretärin aber noch eine weitere Ursache für Enttäuschungen ausgemacht: das Gefühl vieler normaler Bürger, die arbeiten, Steuern zahlen und „am wenigsten Probleme machen“ - und sich eben deshalb von der Politik nicht mehr beachtet fühlten. „Regelrecht erschrocken“ habe sie dann, dass viele sich für etwas bedankt hätten, was doch eigentlich selbstverständlich sei: die Gelegenheit zur offenen Kritik an der Parteispitze. „Bei der SPD ist das eher verbreitet“, wirft Nahles ein. So viel also zur Diagnose.
Die Therapie? Ballast abwerfen, Stammtruppen stärken
Die Therapie? Erst mal „Ballast abwerfen“, sagt Nahles – erledigt, Hartz-IV liege jetzt hinter der SPD. Erst mal die Stammtruppen stärken, sagt Kramp-Karrenbauer; die Partei sei konzeptionell zu lange vernachlässigt worden. Dann über die Anhängerschaft hinaus Zustimmung in der Breite suchen. Dass das ein Balanceakt ist, räumt sie ein: „Millimeterarbeit“, die einen zu halten und die anderen nicht zu verprellen. Nicht einfach, wie beide wieder ganz ähnlich erfahren mussten. „Wir irritieren ja regelmäßig durch Karneval die Republik“, sagt Nahles.
Und wie war das nun also mit dem Ende der Koalition? Kann die nicht schon an der jüngsten Krise um Waffenexporte nach Saudi-Arabien zerbrechen? Nahles winkt ab: „Es ist halt schlicht ein Kompromiss oder Konsens nötig.“
Bleibt die Frage, die gestellt werden muss: Sind Sie beide am Jahresende noch in gleicher Funktion? Kramp-Karrenbauer versteht natürlich, dass das Kanzleramt gemeint ist, weicht aber listig aus: Beim CDU-Parteitag stehe keine Neuwahl auf der Tagesordnung. „Bei uns schon“, sagt Nahles. Doch bevor jemand nachfragen kann, springt ihr die CDU-Chefin bei. Gleiche Funktion? „Ich würd’ sagen – ja.“