Nach Alice Weidels Attacke im Bundestag: Zwänge und Ängste werden auf Kopftuchträgerinnen übertragen
Die Herabsetzung von Kopftuchträgerinnen durch Alice Weidel im Bundestag hatte ein Gutes: eine Solidarisierung. Jetzt muss sie auch im Alltag ankommen. Ein Kommentar.
Danke, AfD! Mit der Attacke, „Kopftuchmädchen“ im Bundestag als „Taugenichtse“ einzuordnen, wurde unbeabsichtigt Gutes bewirkt. Denn was folgte, war eine mutige Positionierung für alle kopftuchtragenden Frauen. Ausgesprochen vom zweithöchsten Mann im Staat, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, als Reaktion auf die Schimpftirade, der AfD-Fraktionsvorsitzenden. Er rief die Rednerin Alice Weidel zur Ordnung mit der Begründung, sie habe damit alle Frauen, die ein Kopftuch tragen, diskriminiert. Nun stellt sich die Frage, ob der Schutzmantel, den Schäuble mit seiner öffentlichen Rüge gegen Diskriminierung von Kopftuchträgerinnen ausgebreitet hat, eine Umkehr einleiten könnte in der Art und Weise, wie über kopftuchtragende Muslima künftig gesprochen wird und wie sie in der Öffentlichkeit, im Berufsleben und in der Politik behandelt werden? Denn was wir antreffen in Parteien, in der Bevölkerung, die jüngere ausgenommen, ähnelt ja im Ton und im Inhalt den herabsetzenden Angriffen durch Sarrazin und die AfD. Die wollen wir nicht, die passen nicht zu uns. Diskriminierung gehört in Deutschland zur Alltagserfahrung von Kopftuchträgerinnen, welchen Alters auch immer, verbale, aber auch gewalttätige. Wer erinnert sich nicht an Marwa El-Sherbini, die in Dresden auf einem Spielplatz wegen ihres Kopftuches beleidigt worden war, Anzeige erstattete und später im Gerichtsaal vom Angeklagten erstochen wurde (2009).
Warum gelingt es klassischen Einwanderungsländern wie Großbritannien und Kanada, gelassen und entspannt mit religiös begründeten Kopfbedeckungen umzugehen, die sogar im Polizeidienst als selbstverständlich akzeptiert sind? Warum sind dagegen die lautstarken Kopftuchgegner in Deutschland besessen von dem Gedanken, die Errungenschaften der Aufklärung und der Demokratie seien in Gefahr, wenn eine Minderheit muslimischer Frauen und Schülerinnen ein Kopftuch tragen? Die Antwort müssen sie selbst finden. Sicher ist: Wer seine eigenen Zwänge und Ängste auf Kopftuchträgerinnen überträgt, wird an einer offenen Gesellschaft keine Freude haben.