zum Hauptinhalt
"Dreams to let - Träume zu vermieten", steht auf einer Wand in Athen. Der Traum, Europa könne alle Krisen durch Verhandeln lösen, ist jedenfalls ausgeträumt, meint unsere Kolumnistin Ursula Weidenfeld.
© Emily Wabitsch/dpa

Griechenland: Zum ersten Mal versagt Europa

Am Montag unternehmen die Staats- und Regierungschefs einen weiteren Versuch, sich mit Griechenland zu einigen. Bereits jetzt ist klar: Europa kann nur verlieren, meint unsere Autorin.

Wie ernst ist ernst? Für die Antwort auf diese Frage hat Europa noch gut einen Tag Zeit. Dann wird Griechenland entweder wissen, dass in Europa nichts ernst ist. Oder es wird nicht mehr Mitglied der Eurozone sein. Beide Wege sind für Griechenland und für Europa eine schwere Niederlage.

Was heißt das in Europa eigentlich noch: "Es ist ernst?"

Einen Mittelweg gibt es nicht mehr – denn der Mittelweg würde zwangsläufig in eine Antwort der Kategorie eins eingeordnet werden. Wenn die Staats- und Regierungschefs am Montagabend eine neue Versicherung der griechischen Regierung akzeptierten, wäre auch ihre Position erschüttert. Den Ankündigungen, man werde in Kürze eine wirklich gute neue Reformliste präsentieren, glaubt kaum noch jemand. Die europäischen Regierungschefs müssten ihren nationalen Parlamenten also sehr schnell und sehr überzeugend erklären, warum die griechische Regierung es jetzt ernst meint. Sie müssten es in Kürze ein zweites Mal tun: wenn sie den Parlamentariern das notwendige dritte Hilfspaket und das fällige Schuldenmoratorium abringen. In Deutschland könnte das noch gerade so gelingen. Hier gibt es eine große Koalition. Und hier tut man am Ende meist doch das, was die Kanzlerin will. Doch der Preis dafür wäre sehr hoch. Er besteht in der Glaubwürdigkeit von Kanzlerin, Vizekanzler und Finanzminister.

Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin. Sie war unter anderem Chefredakteurin von "impulse".
Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin. Sie war unter anderem Chefredakteurin von "impulse".
© Mike Wolff

In Ländern wie Spanien, Estland, Lettland und Litauen, Slowenien oder Portugal würde die Verabschiedung eines solchen Pakets wahrscheinlich nicht mehr funktionieren. Die gewählten Abgeordneten dieser Länder würden fragen – wie übrigens die armen Mitgliedsländer des Internationalen Währungsfonds –, warum Griechenland nach dem ganzen Theater der vergangenen Wochen und Monate weiterhin eine Sonderbehandlung bekommt. Ein drittes Hilfspaket ist unter den derzeitigen Bedingungen mit der derzeitigen griechischen Regierung kaum vorstellbar.

Ein Mittelweg würde Großbritannien aus der EU treiben

Ein Mittelweg würde zudem Großbritannien aus der EU treiben. Zwar wollen die Engländer, dass Griechenland in der Eurozone bleibt. Der britische Finanzmarkt fürchtet die Erschütterung eines Ausscheidens für den Devisen-, Anleihe- und Aktienhandel. Doch noch mehr als das Scheitern Griechenlands fürchtet der britische Premier David Cameron die Kompromisssucht Europas. Ein Austritt Englands wäre für die EU die größere Katastrophe. Kann aber die griechische Regierung einlenken? Wahrscheinlich nicht – es sei denn, sie tritt zurück.

Weil der Mittelweg nicht möglich erscheint, entsteht nun genau das Szenario, das Europa, der IWF und die Europäische Zentralbank unbedingt vermeiden wollten: Es geht um Sieg oder Niederlage, um Erfolg oder Scheitern, um Griechenland gegen den Rest. Das ist die wahre Niederlage Europas. Zum ersten Mal gelingt es nicht, mit einem diplomatischen Kompromiss Frieden zu schließen. Zum ersten Mal versagen die eingeübten Verhandlungs- und Entscheidungsmechanismen dramatisch. Zum ersten Mal rächt sich eine Fehlentscheidung früherer Jahre – Griechenland den Euro zu geben – so hart. Griechenland wird ohne den Euro in eine tiefe Krise stürzen. Behält das Land aber den Euro, wird Europa kurz- oder mittelfristig in eine schwere Legitimationskrise stürzen. Europa hat jetzt keine Wahl mehr. Europas Lehman heißt Athen.

Zur Startseite