Furcht vor Bankrun in Griechenland: Der Euro unterm Kopfkissen
Die Griechen haben Angst um ihr Erspartes und heben es von den Banken ab – damit bringen sie das Finanzsystem in eine noch schlimmere Schieflage. Über die Sorgen einer ganz normalen Familie.
Gestern hat sich Natasha Karyspinou* mit ihrem Mann gestritten. Da war er schon zum zweiten Mal innerhalb einer Woche bei der Bank und hat Geld abgehoben. Wohin er das gemeinsame Ersparte gebracht hat, weiß sie nicht genau. „Wahrscheinlich hat er es irgendwo auf der Arbeit versteckt“, sagt sie. Ihr Mann ist selbstständig, handelt im kleinen Familienbetrieb am Rande von Athen mit Autoteilen. „Er hätte noch viel mehr geholt, wenn ich ihn nicht gestoppt hätte“, sagt sie und klingt dabei sehr traurig.
Die Familie Karyspinou besitzt keine großen Summen. Sie gehört zum Athener Mittelstand, aber in der Krise gehört dem nicht mehr besonders viel. Knapp 10.000 Euro liegen – oder lagen – auf der Bank, ein Puffer, falls es einen gesundheitlichen Notfall gibt, Dinge kaputtgehen oder die Kinder etwas brauchen. Um dieses Geld ist nun ein Familienzwist entstanden. „Wenn nun alle in Griechenland handeln wie wir“, sagt die junge Mutter, „dann befördern wir uns hier doch selbst in den Abgrund.“ Die schmale kleine Frau mit den langen blonden Haaren spricht schnell und wütend. Sie hat das Gefühl, das Konto abzuräumen ist auch ungerecht der eigenen Regierung gegenüber, die in Brüssel noch so tapfer verhandle.
Europäische Zentralbank erhöht Notkredite
Natasha hat wie viele andere in ihrer Familie Syriza gewählt und vertraut der Regierung immer noch. „Die“ wollen uns doch nur verrückt machen, sagt sie, ohne selbst genau sagen zu können, wer „die“ eigentlich sind. Die Medien? Die Banken? Die Politiker? In Griechenland haben sie sich so gut es geht an das Leben mit der Krise gewöhnt, an den Ausnahmezustand, an die verstreichenden Ultimaten – und doch ist in diesen Tagen etwas anders. Die Menschen haben Angst. Und das merken die Banken.
Natashas Mann – der Syriza noch nie besonders mochte und auch nicht für das griechische Linksbündnis gestimmt hat – klickt sich täglich durch die neuesten Horrormeldungen auf den Nachrichtenseiten im Internet. Und was er liest, bestätigt ihn in seiner Angst, es könnte sehr bald zu Kapitalverkehrskontrollen kommen. Dann könnte in Griechenland zumindest vorübergehend niemand mehr größere Summen abheben. Viele versorgen sich deshalb mit Bargeld, das gleich für ein paar Wochen reichen soll. Häufig sind das kleine bis mittlere Summen, zum Beispiel 5000 Euro für ein gebrauchtes Auto.
Insgesamt aber sind allein in den vergangenen Tagen von griechischen Banken nach Schätzungen von Finanzexperten über drei Milliarden Euro abgehoben worden. Das sind nach Angaben von Reuters allein 2,2 Prozent aller Einlagen, die griechische Banken im April von Privatpersonen und Unternehmen hielten. Die Europäische Zentralbank hat am Freitag beschlossen, die Notliquidität für griechische Banken erneut zu erhöhen. Damit können diese zumindest vorübergehend die Abhebungen ausgleichen, auch wenn sie das geliehene Geld irgendwann teuer zurückzahlen müssen. Am Morgen hatte es zunächst geheißen, die griechischen Banken könnten eventuell am Montag gar nicht wieder öffnen, weil sie sonst ins Ungleichgewicht geraten würden.
Wohin mit dem Geld? Die Angst vor Dieben
Für mehr Zutrauen sorgen solche Neuigkeiten nicht. Trotzdem verläuft der Bankrun in Griechenland so langsam und unsichtbar, dass niemand wirklich von einem solchen sprechen will. Die griechische Regierung versichert, das Bankensystem in Griechenland sei "robust". Vor den Banken stehen keine Schlangen. Es ist vielmehr ein langsames Ausbluten. Die großen Vermögen, so sehen das jedenfalls Natasha und viele Finanzexperten, sind sowieso längst weg.
Kapitalverkehrskontrollen, ähnlich wie es sie in Zypern gab, sind unangenehm. Richtige Angst haben Natashas Mann und andere aber davor, dass es in den kommenden Tagen keine Einigung mit den Geldgebern geben und das Land nach dem Bankrott zur Drachme zurückkehren könnte. Dann wären alle Ersparnisse nicht mehr viel wert.
Weil auch die Griechen wissen, dass sie sich und ihr Land mit den Abhebungen selbst immer weiter in Bedrängnis bringen – gleichzeitig aber keiner hinter dem anderen zurückbleiben will –, ist es ein gesellschaftliches Tabu, offen über die Furcht zu reden. Natashas Onkel zum Beispiel hat früher einmal sehr viel Geld verdient. Er hat sein komplettes Konto abgeräumt, glaubt zumindest Natasha. Wissen kann sie es nicht, denn er redet nicht darüber. „Er hat Angst, es könnte geklaut werden“, sagt sie. „Deshalb verrät er nicht mal meinem Vater, wo das Geld ist.“
Sie muss kurz lachen, weil sie die Situation selbst so absurd findet: „Was machen wir, wenn ihm mal was passiert? Dann weiß keiner von seiner Familie, wo das Geld ist.“ Die Behörden in Griechenland warnen inzwischen offen davor, zu viel Geld zu Hause zu bunkern. Zu einfach mache man es Dieben und Einbrechern. Seit Natasha weiß, dass ihr Mann ihr Erspartes in bar hortet, schläft sie schlecht. Hat Albträume, es könnte brennen.
Natasha versucht positiv zu denken. „Ich glaube nicht, dass sie das Geld am Ende bei den Kleinen holen werden“, sagt sie und außerdem: Tun könne man ja ohnehin nicht viel. Mit ihrem Mann hat sie sich darauf geeinigt, dass sie halbe- halbe machen. Die eine Hälfte wird abgehoben und die andere bleibt bei der Bank. Dann muss Natasha weiter. Vergangene Woche haben in Griechenland die Sommerferien begonnen, die Kinder wollen an den Strand. Da sind ihnen die Sorgen der Großen ganz egal.
*Name von der Redaktion geändert