Sanftere Töne bei Sondierungen: Zugeständnisse mit Hintergedanken
Tagelang beherrschte der politische Streit die Sondierungsverhandlungen in Berlin. Nun ertönen Signale der Annäherung.
Anton Hofreiter macht den Anfang. „Alle Parteien müssen Kompromisse eingehen. Auch meine Partei“, sagt der Grünen-Fraktionschef am Montagnachmittag. Der überzeugte Öko hat seine Doktorarbeit über die Artenvielfalt in den Anden geschrieben, in seiner Partei ist der Linksgrüne nicht dem Verdacht ausgesetzt, ein Umfaller zu sein. Doch gegenüber seinen möglichen Koalitionspartnern in spe gibt er sich schon mal versöhnlich. Den Grünen sei bewusst, dass die FDP ein Ergebnis im Bereich der Steuererleichterung brauche und die Union etwas „in Richtung Planbarkeit, Steuerbarkeit und Ordnung der Flüchtlingsfrage“, sagt Hofreiter.
Parteichef Cem Ödzemir legt noch am Abend nach. Ihm sei klar, lässt er seine Verhandlungspartner wissen, dass die Grünen alleine nicht das Enddatum 2030 für die Zulassung von fossilen Verbrennungsmotoren durchsetzen könnten. Im Grünen-Wahlprogramm hatte dieses symbolträchtige Datum noch an prominenter Stelle gestanden, nun ist es abgeräumt. Und Özdemirs Ko-Vorsitzende Simone Peter deutet Verhandlungsspielraum im zähen Ringen um den Kohleausstieg an. Es komme nicht darauf an, ob das letzte Kohle-Kraftwerk 2030 oder 2032 vom Netz gehe: „Da sind wir pragmatisch.“
Für die Grünen ist die "Zeit des Brückenbauens"
Es ist kein Zufall, dass sich zum Beginn der zweiten Verhandlungsphase gleich mehrere Grüne so konziliant gegenüber Union und FDP zeigen. Am Wochenende hatten die Grünen-Sondierer in einer Klausur beraten, mit welchen inhaltlichen Prioritäten und welcher Strategie sie in die anstehenden zwei Wochen gehen wollen. Dabei herausgekommen ist auch eine Art „konzertierte Aktion Kompromissbereitschaft“, wie Teilnehmer berichten. Grünen-Verhandlungsführerin Katrin Göring-Eckardt bringt es am Dienstag auf die Formel: „Jetzt ist die Zeit des Brückenbauens.“
Hinter den Zugeständnissen der Grünen steckt die Aufforderung an CDU, CSU und nicht zuletzt die FDP, sich nun auch zu bewegen. „Wir zeigen uns kompromissbereit, und damit das Ganze funktioniert, muss sich die andere Seite auch kompromissbereit zeigen“, fordert Fraktionschef Hofreiter. Bei den Grünen-Verhandlern hatte sich in den letzten Tagen eine gewisse Genervtheit eingestellt, unter anderem weil die FDP wiederholt das deutsche Klimaziel für 2020 in Frage gestellt hatte. Dass die Grünen sich an einer Regierung beteiligen könnten, die hinter den Zielen zurückbliebe, welche schon die große Koalition für sich formuliert hatte, wäre für die Ökopartei undenkbar.
Mehr als fünf Stunden hatte das Grünen-Spitzenduo Göring-Eckardt und Özdemir am Montagabend mit CDU-Chefin Angela Merkel, dem CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer und FDP-Chef Christian Lindner sowie seinem Vize Wolfgang Kubicki zusammen gesessen. Gut möglich, dass am Ende dieser vertraulichen Runde auch der gemeinsame Vorsatz stand, konstruktiver in die nächsten Verhandlungen zu gehen.
Nur Dobrindt ist weiter auf Krawall gebürstet
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) jedenfalls lobt am Dienstag die Signale der Grünen. „Das ist vernünftig und erleichtert Verständigungen“, sagt er. Nur CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt ist nach wie vor auf Krawall gebürstet. Das Abräumen von „Schwachsinnsterminen“ sei noch kein Kompromiss, stänkert der CSU-Mann. Ganz anders reagiert FDP-Chef Lindner, der die Grünen-Äußerungen „aufmerksam“ zur Kenntnis genommen haben will. Zuletzt war Lindner durch harsche Töne aufgefallen, doch nun macht auch er Schritte auf die künftigen Partner zu.
Lindners Kompromiss-Signal ist die Steuerreform. Es sei klar geworden, dass die von der FDP geforderte „große Steuerreform“ mit einem Volumen von 30 bis 40 Milliarden Euro eher nicht realisiert werden könne, weil es andere Prioritäten der Jamaika-Partner gebe, sagt Lindner. Die FDP halte weiter an einer Entlastung fest, sei aber realistisch genug, dass diese in der gewünschten Größenordnung wohl nicht kommen werde. Deshalb konzentriere sich die FDP nun auf die Abschaffung des Solidaritätszuschlags und die gezielte Entlastung von Familien sowie der Bezieher von kleinen und mittleren Einkommen. Dies sei ein erreichbares und realistisches Ziel in den Verhandlungen über die Regierungsbildung.
Gesucht wird ein Fahrplan für den Ausstieg aus der Kohle
Hinter der demonstrativen Gesprächsbereitschaft der Grünen steckt noch eine zweite Botschaft: Sie machen auch deutlich, bei welchen Themen sie – trotz einer ersten Entgegenkommens – etwas erreichen wollen. Beim Kohleausstieg wird Parteichef Özdemir am Dienstag konkret: Für die Grünen gehe es darum, die Menge der Klimagase, also der Tonnen C02, „unverzüglich und entscheidend“ zu reduzieren, sagte er dem Tagesspiegel. „Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass bis 2020 die 20 dreckigsten Kohlekraftwerksblöcke abgeschaltet werden.“ Gleichzeitig brauche man „einen Fahrplan für den vollständigen Ausstieg aus der Kohle“.
Rückenwind erhält der Grünen-Chef dabei aus der Wirtschaft. In einer gemeinsamen Erklärung appellierten am Dienstag rund 50 Konzerne und Wirtschaftsverbände an die künftige Bundesregierung, einen „verlässlichen und sozialverträglichen Ausstiegspfad bei der Kohleverstromung“ festzulegen. Zu den Firmen, die sich in der Stiftung „2 Grad – deutsche Unternehmen für den Klimaschutz“ zusammen getan haben, gehören unter anderem Siemens, SAP, die Telekom, Metro und Aldi Süd.
Strategie der Spitzenleute birgt auch Risiko
Die Klimaschutz-Ziele lassen sich nach Ansicht der Grünen aber nicht nur durch den Kohleausstieg erreichen. Auch die Verkehrspolitik müsse einen „entscheidenden“ Beitrag leisten, fordert Özdemir. Es sei auch im Interesse der Automobilwirtschaft und hunderttausender Arbeitnehmer, den Umstieg auf emissionsfreie Mobilität entschlossen zu beschleunigen – so schnell und so konsequent wie möglich. „Dazu gehören die Blaue Plakette, Nachrüstungen, ambitionierte CO2-Grenzwerte auf europäischer Ebene und eine breit angelegte Strategie zum Umstieg auf emissionsfreie Mobilität“, sagt Özdemir.
Doch es gibt auch Grüne, die in der Strategie ihrer Spitzenleute ein Risiko sehen. „Wir sollten nicht Kernforderungen aufgeben, während Union und FDP auf ganzer Linie blockieren“, sagt die Sprecherin der Grünen Jugend, Ricarda Lang. Die Grünen dürften sich „nicht unter Wert verkaufen“, mahnt sie.