zum Hauptinhalt
Winken für die Fotografen: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Kreise weiterer Sondierer
© dpa/Michael Kappeler

Sondierungen über Jamaika-Koalition: Warum die Balkonposierer raffiniert sein müssen

Aus vier Schwachen soll ein Starkes entstehen: Diese Aufgabe müssen die Jamaika-Koalitionäre in spe lösen. Das Spektakel will sorgsam inszeniert sein. Ein Kommentar.

Geduld ist die Weisheit des Herzens. Das ist einer dieser Kalendersprüche, die zwar platt-pathetisch klingen, aber etwas Wichtiges erhellen. Schließlich ahnt der Geduldige, dass im Kampf gegen die Zeit immer nur einer gewinnt – die Zeit. Ein anderer Kalenderspruch lautet: Gut Ding will Weile haben. Der wiederum hört sich ab wie die Ausrede derer, die nichts rechtzeitig auf die Reihe bekommen.

Die Deutschen wählen Parteien und werden doch stets von einer Koalition regiert, die sie nicht gewählt haben. Jeder weiß also, dass seine Wünsche nie ganz in Erfüllung gehen. Nach dem Ergebnis der letzten Bundestagswahl besteht das einzige realistische Bündnis, das dieses Land regieren kann, aus vier Parteien – CDU, CSU, FDP und Grüne. Es ist ein Novum, mit dem keiner gerechnet hatte. Die Jamaika-Koalitionäre finden sich nicht, sondern finden sich zwangsweise vor, milder formuliert: Sie balkonposieren aus staatspolitischer Verantwortung.

Noch steht diese neue Koalition nicht, es wird noch nicht einmal über sie verhandelt. Die Sondierung der Parteien sei gerade in ihre heiße Phase getreten, heißt es. Trotzdem wird bereits gelästert. Da entstehe nichts Großes, Visionäres, die Triebfeder der vielen Gespräche sei allein das Prinzip des kleinsten gemeinsamen Nenners. Seelen-, glanz- und charakterlos wirke das gegenseitige Heranrobben. Das ist einerseits nicht falsch, liegt aber andererseits in der Natur der Sache. Müssten sich die Bremer Stadtmusikanten auf eine gemeinsame Sportart verständigen, liefe auch das nicht konfliktfrei ab.

Jeder Kompromiss könnte von der Basis als Umfallerei verübelt werden

Wie ist die Lage? Da ist eine CDU, die zwar auf zwölf Jahre Regierungserfahrung verweisen kann, aber angeschlagen ist, ohne offen über die Schwächen der Kanzlerin diskutieren zu dürfen. Da ist eine CSU, die zwischen Angst (vor den bayerischen Wählern) und Wut (auf Angela Merkels CDU) pendelt, mit einem Horst Seehofer an der Spitze, hinter dessen Rücktritt bloß noch kein Datum vermerkt wurde.

Da ist die FDP, die seit ihrer Zustimmung zum größten staatlichen Rettungspaket der deutschen Nachkriegsgeschichte, finanziert mit Steuergeldern, gegen den Vorwurf der Prinzipienschwäche anredet. Und da sind die Grünen, die mit den Themen Klima und Flüchtlinge einen so festen Identitätskern haben, dass ihnen jeder Kompromiss von der Basis als Umfallerei verübelt würde.

In dieser Konstellation ist der Faktor Zeit von elementarer Bedeutung. Einigen sich die Protagonisten zu früh, werden ihnen ihre jeweiligen Anhänger Verrat vorwerfen. Dauern die Verhandlungen zu lange, wird eine nervöse Öffentlichkeit von Politikverdruss und Kompromissunfähigkeit reden. Das Spektakel ähnelt ein wenig den Tarifverhandlungen, die ja auch immer erst in den frühen Morgenstunden nach „harter, kontroverser Debatte“ beendet und deren Resultate dann aus Mündern in faltenzerfurchten Gesichtern verkündet werden. Die Inszenierung ist Teil des Akzeptanzprozesses.

Aus vier Schwachen soll ein Starkes entstehen: Diese Aufgabe muss gelöst werden. Und dann? EU konsolidieren, Flüchtlinge integrieren, Wirtschaft digitalisieren, das Klima schützen. Darum geht es. Wer dieses Projekt, so es denn zustande kommt, als sinndefizitär beklagt, überfrachtet die Politik mit Erwartungen, die sie nicht erfüllen kann. Und wer noch einen dritten Kalenderspruch braucht, hier ist er: Liebe Jamaika-Koalitionäre in spe, reißt euch gefälligst am Riemen!

Zur Startseite