Energiewende: Europa macht Ernst mit dem Kohleausstieg
Abgesang aufs fossile Zeitalter: Die Ausstiegsankündigungen der großen EU-Mitgliedsstaaten setzen Deutschland jetzt unter Zugzwang.
Die Grünen fordern in den Sondierungsgesprächen über eine mögliche Jamaika-Koalition derzeit, die 20 schmutzigsten deutschen Kohlekraftwerke sofort abzuschalten und Ausstieg Deutschlands aus der Kohleverstromung danach möglichst rasch anzugehen. Für ihr Ansinnen bekommen sie immer stärkeren Rückenwind aus Europa. Nach Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden hat jüngst Italien seinen Abschied aus dem fossilen Energieträger angekündigt. Diesen Ländern fällt der Abschied im Vergleich zu Deutschland allerdings leichter, denn Kohle macht in ihrem Strommix einen verhältnismäßig kleinen Anteil aus.
Italien will bis 2025 aus der Kohlekraft aussteigen
Der Ausstieg Italiens aus der Kohle bis 2025 ist Teil einer neuen Energiestrategie, die Industrieminister Carlo Calenda Anfang kürzlich vorlegte und die im November von der Regierung beschlossen werden soll. Was sich nach einem großen Wurf anhört, ist bei näherer Betrachtung eher ein kleiner: Lediglich 15 Prozent des Stroms in Italien werden aus der Verbrennung importierter Steinkohle in Kraftwerken des Energieversorgers Enel erzeugt. Insgesamt importiert das Land mehr als 80 Prozent seiner Energie, überwiegend Öl und Flüssiggas.
Das jüngste Kohlekraftwerk Italiens ist acht Jahre alt, der Rest mit zwischen 30 bis knapp über 50 Jahren deutlich älter. „Enel wird wohl versuchen, das Ausstiegsdatum nach hinten zu schieben“, so die Einschätzung von Scott Littlecott von dem Think-Tank E3G. Denn: Ein genau ausformulierter Ausstiegsplan Italiens fehlt noch. Um den Kohleausstieg durch den Markt herbeizuführen, ist denkbar, dass Italien zusätzlich einen CO2-Preis nach dem Vorbild Großbritanniens einführen wird. „In diese Richtung wird schon laut gedacht“, so Littlecott. Italiens fortschrittlicher Weg beim Klimaschutz ist auch vor dem Hintergrund seiner diesjährigen G7-Präsidentschaft zu betrachten. Die Themen Klima und Energie hat das Land dabei ganz nach oben auf die Agenda gesetzt.
Die Niederlande setzen auf Gas
Auch die neue Regierung der Niederlande hat jüngst einen Kohleausstieg bis 2030 angekündigt – obwohl drei milliardenschwere Kohlekraftwerke gerade erst fertig geworden sind. Diese Investitionen werden mit dem vorgezogenen Ausstieg möglicherweise deutlich entwertet. Mit etwa 20 Prozent an der Stromerzeugung spielt Kohle in den Niederlanden eher eine untergeordnete Rolle. Das Land setzt auf Gas. Ein zwei Jahre altes Kohlekraftwerk gehört dem deutschen Versorger RWE. Es zählt zu einem der größten CO2-Emittenten Europas. „Mit ihrer Ankündigung eines Kohleausstiegs will die neue niederländische Regierung ein Zeichen für den Klimaschutz setzen“, sagt Susanne Dröge von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Für einen vollständigen Effekt auf den Klimaschutz müssten die Niederlande dann aber auch von Importen von billigem Kohlestrom aus Deutschland absehen. „Das wäre nur konsequent“, so Dröge. Auch die Niederlande planen die Einführung eines CO2-Preises.
Großbritannien gilt in Europa als einsames Vorbild für eine erfolgreiche Klimapolitik. Schon in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts begann das Land, die Kohle aus der Stromproduktion zurückzudrängen. Die Kohleminen im Norden waren nicht mehr wettbewerbsfähig und Gas war in den noch wenig ausgebeuteten Gasfeldern der Nordsee reichlich vorhanden. Im Land gilt seit 2013 außerdem ein CO2-Mindestpreis, der derzeit bei etwas über 21 Euro pro Tonne liegt. Dadurch wurde die Kohle in den vergangenen Jahren zusätzlich unwirtschaftlich.
Kohle macht nur drei Prozent im französischen Energiemix aus
In diesem September hat die britische Regierung langjährige Pläne verbindlich gemacht, bis 2025 mit der Kohleverstromung aufzuhören. Ein Kraftwerk gehört dem Betreiber RWE und ist ebenfalls in der Liste der großen CO2-Quellen Europas. Bereits im Frühjahr dieses Jahres kam Großbritannien einen ganzen Tag ohne die Einspeisung von Kohlestrom ins Netz aus. Das Land setzt allerdings weiter deutlich auf Atomkraft. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat Klimaschutz zu einer seiner Prioritäten erklärt. Er sagte vor der Wahl, er werde bis 2022 alle Kohlekraftwerke im Land schließen und hatte dies später immer wieder bestätigt. Der Abschied fällt Frankreich leicht: Kohle macht nur drei Prozent im französischen Energiemix aus.
„Die Ausstiegsankündigungen werden sicherlich den Druck auf Deutschland erhöhen, bei der Kohlefrage rasch zu einer Entscheidung zu kommen“, so die Einschätzung von Chris Littlecot, Experte beim Thinktank E3G. Für den vollen Klimaschutz-Effekt müsste das Thema Kohleausstieg aber wohl verbindlich auf europäischer Ebene verhandelt werden. Die verschiedenen Strategien müssten über Grenzen hinweg einheitlich sein. „Diesem Anliegen steht aber der Artikel 194 aus dem Lissabon-Vertrag der EU im Weg“, sagt Kirsten Westphal von SWP. Der Vertrag hält fest, dass die Mitgliedsstaaten über ihre Energiequellen und die Bedingungen ihrer Nutzung selbst entscheiden dürfen.