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Süße Verführung. Die Deutschen essen zu viel Zucker..
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Krankenkasse: Zuckersteuer "kein Tabu": Zu viel Zucker macht die Deutschen krank

Nicht nur Alkohol und Nikotin, auch zu viel Süßes ist gefährlich. In anderen europäischen Ländern hat die Politik darauf reagiert, in Deutschland aber wird zu wenig getan, beklagen Krankenkassen. Mit schwerwiegenden Folgen.

Die Allgemeinen Ortskrankenkassen haben die Bundesregierung aufgefordert, endlich etwas gegen den steigenden Zuckerkonsum in Deutschland zu unternehmen. „Zucker macht krank“, sagte der Präventionsexperte des AOK-Bundesverbandes, Kai Kolpatzik, dem Tagesspiegel. Dies sei wissenschaftlich zweifelsfrei belegt. Doch anders als beim Kampf gegen das Rauchen oder gegen übermäßigen Alkoholkonsum nehme die deutsche Politik hier ihre Verantwortung in der Gesundheitsprävention nicht wahr. Nötig sei eine „nationale Strategie zur Senkung des Zuckerkonsums“, dazu gehöre auch die Diskussion über eine Zuckersteuer.

Dreimal so viel wie empfohlen

Dass es beim Zucker Handlungsbedarf gibt, haben vor kurzem neue Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) deutlich gemacht. Ihnen zufolge soll, wer gesund leben möchte, höchstens zehn Prozent seiner täglichen Kalorien als Zucker zu sich nehmen. Noch besser, wenn auch schwieriger zu schaffen, seien fünf Prozent, so die Experten. Die Deutschen konsumieren im Schnitt 15 bis 18 Prozent. Tendenz weiter steigend.

Nähme man die WHO-Empfehlung ernst, müssten sich Erwachsene am Tag mit 25 Gramm Zucker begnügen – das wären sechs Teelöffel. Kindern wären nur drei erlaubt. Laut Ernährungsministerium kommen die Deutschen im Schnitt über alle Altersgruppen auf 90 Gramm. Die Nationale Verzehrstudie von 2008 bescheinigt ihnen sogar noch höheren Konsum. Was kein Wunder ist: Eine Tafel Schokolade enthält 55 Gramm Zucker, ein Glas Limonade fast ebenso viel. Selbst mit einem großen Becher Fruchtyoghurt ist das Limit fast erreicht.

Softdrinks statt Wasser

Am schlimmsten sind die so genannten Softdrinks. 120 Liter trinkt der Durchschnittsdeutsche davon im Jahr. Sein Wasserkonsum ist nicht viel höher, er liegt bei 140 Litern. Und vor allem Kinder und Jugendliche greifen zu Cola, Eistee & Co. Der Basiserhebung zur Kinder und Jugendgesundheitsuntersuchung (KIGGS) zufolge kommen sie im Schnitt auf mehr als zwei Gläser pro Tag. Den höchsten Konsum haben 17-jährige – Mädchen im Schnitt 3,4 und Jungs 4,3 Gläser.

Der hohe Zuckerkonsum hat seinen Preis. Er begünstigt Bluthochdruck und schlechte Cholesterin-Werte, ist mitverantwortlich für Adipositas, Diabetes, Karies. 18,7 Prozent der Kinder und Jugendlichen hierzulande seien übergewichtig, sagt Kolpatzik. 6,3 Prozent litten unter krankhafter Fettsucht. Bei Erwachsenen liegt die Adipositas-Rate bei 23 Prozent, übergewichtig ist mehr als jeder Zweite. Die Kosten ernährungsbedingter Krankheiten werden in Deutschland pro Jahr auf mehr als 70 Milliarden Euro beziffert.

Last fürs Leben. Kinder müssen vor Adipositas geschützt werden.
Last fürs Leben. Kinder müssen vor Adipositas geschützt werden.
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Kein Wunder, dass Deutschlands größte Krankenkassen dem nicht länger zusehen mag. Die Politik, sagt Kolpatzik, hindere die Lebensmittelindustrie nach wie vor in keinster Weise daran, ihren Produkten klammheimlich immer mehr Zucker zuzusetzen. Im Gegenteil. Eine verbindliche Kennzeichnung von Lebensmitteln, etwa in Form von Ampelfarben, ist auf Druck der Lobbyisten wieder vom Tisch. Beim Nationalen Diabetesplan hat der Bundesrat die Regierenden darauf aufmerksam machen müssen, dass es ja vielleicht auch hilfreich wäre, den Zuckerkonsum zu reduzieren. Und im Präventionsgesetz, das am vergangenen Freitag im Bundestag beraten wurde, kommt das Thema Zucker gar nicht vor.

Ministerium: Nährwertkennzeichnung reicht

Sind wenigstens mittelfristig Initiativen geplant? Im Gesundheitsministerium zucken sie mit den Achseln, verweisen auf das Ressort für Ernährung. Und dort halten sie es für ausreichend, dass Ende 2016 für alle EU-Länder eine verpflichtende Nährwertkennzeichnung kommt. Wenn man wisse, was drin ist, könne man sich bewusst für oder gegen bestimmte Produkte entscheiden, sagt Sprecher Christian Fronczak. „Wir wollen niemanden bevormunden, indem wir ihm sagen, was er zu essen hat und was nicht“.

Tatsächlich ist dem Laien beim versteckten Zucker jedoch auch mit der geplanten Kennzeichnungsvorschrift wenig geholfen. Sprachliche Kreativität nämlich soll den Herstellern weiter erlaubt bleiben. Statt von Zucker ist dann eben auf den Packungen auch künftig „nur“ von Maltodextrose, Fruchtextrakt oder Glukosesirup die Rede.

Geschmack passt sich der Dosis an

Dabei wäre es aus AOK-Sicht ein Leichtes, den Zuckerkonsum zu verringern. Es gebe unschädliche Ersatzstoffe, sagt Kolpatzik. Das Bedürfnis nach Zuckerhaltigem lasse sich durch geringere Beimengungen auch unmerklich verringern, die Geschmacksnerven passten sich wie beim Salz der Dosis an. Und Umsatzeinbußen einzelner ließen sich vermeiden, wenn alle Hersteller einer Produktgruppe den Zuckergehalt zeitgleich senkten.

Als erstes müsse die Werbung für zuckerreiche Lebensmittel beschränkt werden, fordert der AOK-Experte. Im TV-Programm für Kinder müsse man, wie schon von Kinderärzten gefordert, komplett darauf verzichten. In Schulen sollten Schokoriegel und Softdrinks gar nicht mehr offeriert werden. Und wenn man mit Selbstverpflichtungen der Industrie nicht weiterkomme, dürfe auch eine Zuckersteuer kein Tabu sein.

Frankreich und England als Vorbild

Frankreich habe das bereits vorgemacht, sagt Kolpatzik. Die dort verhängte Steuer zuckerhaltige Getränke bringe pro Jahr 280 Millionen Euro – mehr, als die Politik deutschen Krankenkassen jetzt per Gesetz für sämtliche Präventionsmaßnahmen abverlangt. Mexiko habe auf die weltweit höchste Adipositas- und Diabetes-Rate ebenfalls mit einer Steuer reagiert – auf Zucker und Fett gleichermaßen. Und in Großbritannien feile ein Bündnis aus Wissenschaft, Industrie und Politik nach einer sehr erfolgreichen Kampagne zur Salzreduktion nun auch an Strategien gegen hohen Zuckerkonsum.

Nur Deutschland sei im Kampf gegen den Zucker bislang ein „weißer Fleck“, klagt die AOK. Und so soll es aus der Sicht des Ernährungsministeriums offenbar auch bleiben. "Wir lehnen eine politische Steuerung des Konsums durch Werbeverbote und Strafsteuern für vermeintlich ungesunde Lebensmittel ab", stellt der Sprecher klar.

Dabei hat sich im Kampf gegen die so genannten Alkopops erwiesen, wie erfolgreich Steuermechanismen auch hierzulande sein können - wenn man denn will. Nachdem die Politik die bei Jugendlichen überaus beliebten Schnapsmischgetränke mit einer Sondersteuer belegt hatte, sank der Absatz binnen eines Jahres um 80 Prozent.

Rainer Woratschka

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