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Nach dem Angriff auf einen jüdischen Studenten in Hamburg.
© imago images/Hanno Bode

Entsetzen nach Angriff vor Synagoge in Hamburg: Zentralrat fordert mehr Schutz für jüdische Einrichtungen

Ein Mann in Tarnkleidung attackierte einen jüdischen Studenten - fast genau ein Jahr nach dem Anschlag von Halle. Was ist über die Hintergründe bekannt?

Der Angriff auf einen jüdischen Studenten in Hamburg kurz vor dem ersten Jahrestag des antisemitischen Anschlags von Halle ruft Entsetzen hervor. Der 26-Jährige war am Sonntag vor der Synagoge in Hamburg-Eimsbüttel von einem Mann mit einem Klappspaten am Kopf verletzt worden. Polizei und Generalstaatsanwaltschaft werten die Attacke als versuchten Mord mit antisemitischem Hintergrund. Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) schrieb bei Twitter, die Tat sei „ein feiger und abscheulicher Anschlag, der auch mich bestürzt“. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) bezeichnete den Hass gegen Jüdinnen und Juden als „Schande für unser Land“. Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) versicherte, die Stadt stehe „fest an der Seite unserer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger“.

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, dankte der Polizei für ihr Eingreifen, forderte aber auch eine Prüfung, „wie die Sicherungsmaßnahmen vor Ort verbessert werden können“. Der Täter hatte den Studenten direkt vor der polizeilich geschützten Synagoge Hohe Weide attackieren können. Kurz darauf wurde der Mann festgenommen. In der Synagoge feierte die Gemeinde das Laubhüttenfest. Eine Polizeisprecherin sagte, der Täter habe einen „extrem verwirrten Eindruck“ gemacht.

Täter trug Zettel mit Hakenkreuz bei sich

Die Sicherheitsbehörden prüfen allerdings, ob der Mann bewusst kurz vor dem Jahrestag des Anschlags in Halle zuschlug. Dort hatte am 9. Oktober 2019 der schwer bewaffnete Antisemit Stephan Balliet vergeblich versucht, die Synagoge zu stürmen. Balliet erschoss im Anschluss eine Passantin und einen Gast in einem Döner-Imbiss.

Nach Tagesspiegel-Recherchen ist der aus Kasachstan stammende deutsche Staatsbürger Grigoriy K. bislang nicht durch extremistische Delikte aufgefallen. Der 29-jährige war bis 2019 in Berlin gemeldet und zog dann nach Hamburg. Der Täter habe angegeben, er werde von Juden angegriffen und müsse sich wehren, sagte ein hochrangiger Sicherheitsexperte. Der Angreifer trug Tarnkleidung, darin fand die Polizei einen Zettel mit einem Hakenkreuz. Es werde untersucht, ob der ehemalige Soldat die Tarnkleidung und den Klappspaten in seiner Zeit bei der Bundeswehr mitgenommen habe, sagte der Sicherheitsexperte.

Zahl antisemitischer Delikte stieg deutlich an

Er deutete an, die Tat in Hamburg sei womöglich auch „auf die Stimmung in einem Teil der Gesellschaft zurückzuführen“. In der Coronakrise „werden antisemitische Verschwörungsmythen stärker“. Der Verfassungsschutz hatte jüngst ein Lagebild Antisemitismus in Deutschland veröffentlicht und wachsenden Judenhass beschrieben. Im Report wird auf die Vielzahl der antisemitischen Übergriffe in den vergangenen Jahren verwiesen, von denen aber nur wenige die mediale Aufmerksamkeit erreichten wie der Anschlag von Halle, die Attacke von Neonazis auf ein jüdisches Restaurant in Chemnitz im September 2018 oder die Angriffe auf Rabbiner auf offener Straße in München, Köln und Berlin. Auch Statistiken zur „Politisch motivierten Kriminalität“ zeigen die Zunahme antisemitischer Delikte: Lag die Zahl 2015 noch bei knapp 1400, überstieg sie 2019 die Marke von 2000 Fällen.

Mehr Sicherheit - aber nicht genug

Eine Umfrage des „Mediendienstes Integration“ ergab, dass fast alle Bundesländer nach dem Anschlag von Halle ihre Anstrengungen zum Schutz jüdischer Einrichtungen verstärkt haben und zum Teil deutlich mehr Geld zur Verfügung stellten – Bayern mit acht Millionen Euro am meisten. Dennoch sehen sich viele jüdische Gemeinden und Einrichtungen nicht ausreichend geschützt und in ihren Sorgen nicht ernst genommen.

Der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz forderte, dass sich die Bundesregierung „mit aller Entschlossenheit dieser dramatischen Problematik“ annehmen müsse. Er verwies darauf, dass immer noch nicht alle Forderungen des Anfang 2018 im Bundestag verabschiedeten Antrags „Antisemitismus entschlossen bekämpfen“ umgesetzt worden seien.

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