Flüchtlinge in Deutschland: Zentralrat der Juden fordert Obergrenzen
Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, fordert Obergrenzen für Flüchtlinge - und erhält Widerspruch. "Die Menschen dem Terror zu überlassen ist keine Lösung", sagt die Linken-Politikerin Petra Pau.
Der Zentralrat der Juden in Deutschland fordert ein Limit für den Zuzug von Flüchtlingen. "Über kurz oder lang werden wir um Obergrenzen nicht herumkommen", sagte Zentralratspräsident Josef Schuster der Zeitung "Die Welt". Er plädierte zugleich für kontrollierte Zugänge in die Bundesrepublik - und löste mit seinen Forderungen unmittelbar eine kontroverse Debatte aus. Auch aus der CSU war die Forderung laut geworden, eine generelle Obergrenze für die Zuwanderung festzusetzen.
Schuster nannte als Begründung vor allem die Herausforderungen bei der Integration. "Viele der Flüchtlinge fliehen vor dem Terror des Islamischen Staates und wollen in Frieden und Freiheit leben, gleichzeitig aber entstammen sie Kulturen, in denen der Hass auf Juden und die Intoleranz ein fester Bestandteil ist", sagte er. "Denken Sie nicht nur an die Juden, denken Sie an die Gleichberechtigung von Frau und Mann oder den Umgang mit Homosexuellen."
Schuster führte die Einstellungen weniger auf den muslimischen Glauben zurück, sondern eher auf die Herkunft zahlreicher Asylsuchender aus arabischen Ländern. "Wenn ich mir die Orte und Länder in Europa anschaue, in denen es die größten Probleme gibt, könnte man zu dem Schluss kommen, hier handele es sich nicht um ein religiöses Problem, sondern um ein ethnisches."
Wenn es so weiter gehe wie bisher, "wird die Vermittlung unserer Werte zunehmend schwieriger", sagte Schuster. Die erfolgreiche Integration sei aber auch für die jüdischen Gemeinden in Deutschland wichtig.
Die stellvertretende Präsidentin des Bundestages, Petra Pau, sieht die Argumentation von Schuster als problematisch an. Die Linken-Politikerin sagte dem Tagesspiegel: "Die Integration von Flüchtlingen ist eine Mammutaufgabe. Aber die Menschen deshalb dem Terror zu überlassen ist keine Lösung, jedenfalls keine humane."
Der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sagte dem Tagesspiegel unter Hinweis auf die Forderungen des Präsidenten des Zentralrats der Juden: "Wir müssen Ängste ernst nehmen, aber Hass und Antisemitismus haben in Deutschland und bei Deutschen auch gerade Konjunktur." In Anspielung auf den thüringischen AfD-Vorsitzenden Björn Höcke erklärte Ramelow: "Herr Höcke ist nicht aus einem dieser Länder und macht mir auch große Sorgen." Ramelow hält nichts von Obergrenzen, sagt aber, den Flüchtlingen müsse gleichzeitig "unsere Sprache und unsere Hausordnung mit Grundgesetz, Rechtsordnung, Gewaltmonopol des Staates, religiöser Toleranz, Akzeptanz und Vielfalt" vermittelt werden. Zudem sei der Zugang zu Bildung, Kultur und Arbeitsmarkt zu organisieren.
Eva Högl, SPD: Unser Grundgesetz gilt für alle
Auch aus der SPD gab es Kritik an den Äußerungen von Schuster. Die stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Eva Högl, sagte dem Tagesspiegel: "Unser Grundgesetz gilt für alle Menschen. Die Forderung nach Obergrenzen, weil Menschen aus dem arabischen Kulturkreis hier Schutz suchen, lehne ich ab. Im übrigen unterscheiden weder Grundgesetz noch Genfer Flüchtlingskonvention danach, aus welchem Kulturkreis jemand kommt, sondern nur, ob er oder sie Schutz braucht."
Ohne Obergrenze geht es nicht. Es fehlt an der Grenze, verpflichtend für alle EU Staaten Flüchtlinge aufnehmen zu müssen: Die Untergrenze. Dann würde es auch für jeden Flüchtling reichen. Deutschland und Schweden sind die einzigen Länder die in ernst zu nehmendem Ausmaß Flüchtlinge aufgenommen haben.
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Högl betonte allerdings auch: "Die hier Schutz suchen und bekommen, müssen sich an unsere Regeln halten: Menschenwürde, Gleichheit, Demokratie, Rechtsstaat. In unserer Gesellschaft haben Hass und Intoleranz keinen Platz. Das gilt für die, die hier Schutz suchen, genauso wie für alle, die hier bereits leben."
Grünen-Politiker Beck: Flüchtlingsschutz kennt keine numerische Obergrenze
Der Grünen-Innenpolitiker Volker Beck hält ebenfalls nichts von Obergrenzen für den Zuzug von Flüchtlingen. Er sagte dem Tagesspiegel: "Der menschenrechtliche Flüchtlingsschutz kennt keine numerische Obergrenze." Beclk fügte hinzu, deshalb müsse aber bei der Integration entschlossen und wertegeleitet gehandelt werden: "Wer hier dazu gehören will, der muss Nein sagen zu Antisemitismus, Rassismus und Homophobie – egal ob er aus Dresden oder Damaskus kommt." Beck hatte kürzlich in seiner Dankesrede für die Verleihung des des Leo-Baeck-Preises an die jüdischen Gemeinden appelliert, Befürchtungen in konkrete Integrationsaufgaben zu übersetzen. Er sagte: "Ich kann in der heutigen Flüchtlingsdiskussion die Befürchtungen in den jüdischen Gemeinden nachvollziehen, dass syrische Flüchtlinge ein anerzogenes Feindbild von Israel und den Juden mitbringen könnten und dass dies in Bedrohung und Gewalt umschlagen könnte. Aber ich warne auch vor einer self-fulfilling prophecy." Die syrischen Flüchtlinge seien selbst Opfer eines Systems geworden, das den Hass auf Juden und Israel geschürt habe. "Deshalb liegt in der aktuellen Situation auch eine Chance auf Infragestellung, Neuanfang und Perspektivwechsel, der wir mit Mut und Klarheit begegnen sollten."
Stephan Kramer: Chance auf Neustart für Flüchtlinge
Auch der frühere Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan Kramer, wollte die Forderungen von Schuster nicht teilen. "Ich kann die Besorgnis des Zentralratspräsidenten verstehen. Obergrenzen widersprechen aber dem Schutzzweck des Asylrechts und ich sehe auch nicht, wie damit die vorhandenen praktischen Probleme mit der anhaltend großen Zahl an Flüchtlingen an unseren Grenzen gelöst würden." Kramer sagte: "Dass viele Flüchtlinge aus Ländern kommen, in denen Antisemitismus zum staatlichen Bildungsauftrag gehört wissen wir, macht aber nicht alle oder die Mehrheit der Flüchtlinge automatisch zu Antisemiten, von denen wir selbst reichlich im Land haben. Sie flüchten ja gerade aus diesen Ländern wegen Krieg und Verfolgung, das bietet auch die Chance für einen Neustart hier mit anderen Werten und geänderten Einstellungen." Dies hänge dann "natürlich nicht nur von den Flüchtlingen selbst, sondern auch der Willkommenskultur und Integration in die Mehrheitsgesellschaft ab, ob das eine Erfolgsgeschichte wird oder wir scheitern". Kramer soll demnächst Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz in Thüringen werden.
Pro Asyl: Menschenrechte nicht außer Kraft setzen
Pro Asyl warnte vor einer sich verselbständigen Debatte über Obergrenzen. Die "diffuse Forderung" danach verschleiert aus Sicht der Organisation die Tatsache, dass dafür Grenzen geschlossen und Schutzsuchende abgewiesen werden müssten. "Diese Debatte spielt Rechtspopulisten und Rechtsextremen in die Hände", erklärte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt.
Pegida postet Schuster-Interview
Die Anti-Islam-Bewegung Pegida versuchte, das Interview mit Schuster für sich auszuschlachten. "Oh je, jetzt werden auch noch die jüdischen Funktionäre zu pöhsen, pöhsen Nahsis!". schrieb Pegida-Anführer Lutz Bachmann und verbreitete die Äußerungen des Zentralratspräsidenten auf seiner Facebook-Seite. Unter Hinweis auf Judenhass und Intoleranz in arabischen Staaten, fügte Bachmann hinzu: "Wenn ich den Satz so gesagt hätte, den Schuster da sagte, wäre ich wegen Volksverhetzung dran."
Zentralrat der Muslime lädt Schuster zum Dialog ein
Der Zentralrat der Muslime lud Schuster zu einem Dialog ein. "In Teilen gebe ich Herrn Schuster Recht - insbesondere, dass nicht der Glaube Vorurteile produziere, sondern das politische Umfeld, in dem man lebt", sagte der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Er fügte hinzu: "Judentum und Islam sind strikt antirassistisch, und das sollten wir Muslime und Juden hier praktisch vorleben."
Zentralratspräsident: Wir werden Flüchtlinge aufnehmen müssen
Schuster selbst reagierte am Mittag auf die Diskussion um seine Forderungen. Der Zentralrat verbreitete eine Erklärung von ihm, in der es heißt: "Der Zentralrat der Juden in Deutschland ist weiterhin der Überzeugung, dass Deutschland Flüchtlinge aufnehmen muss. Wer asylberechtigt ist, muss auch Asyl erhalten." Von seiner Forderung nach Obergrenzen rückte er aber nicht ab, vermied nun aber das Wort. Zum Grundrecht auf Asyl gehörten zwei Aspekte dazu: "Wir müssen die Flüchtlinge auch menschenwürdig versorgen können und müssen in der Lage sein, sie erfolgreich in unsere Gesellschaft zu integrieren. Daher werden wir um eine Begrenzung oder Kontingentierung der Zuwanderung auf die Dauer nicht herumkommen." Eine gerechte Verteilung in der EU sowie eine Bekämpfung der Fluchtursachen in den Herkunftsländern der Flüchtlinge müssten damit einhergehen. (mit rtr)