Regierungskritischen Proteste: Worum es bei den Unruhen im Iran geht
Die regierungskritischen Proteste im Iran werden immer heftiger. Geht es um Reformen oder schon gegen das Regime? Eine Analyse.
Die einen appellieren – die anderen drohen. Doch beides scheint die Demonstranten im Iran nicht aufzuhalten. Die zum Teil gewalttätigen Proteste in mehreren Teilen des Landes gehen offenbar unvermindert weiter. Zwölf Menschen sind bereits ums Leben gekommen, Hunderte wurden verhaftet. Dabei hatten die Behörden davor gewarnt, man werde mit aller Härte gegen die „illegalen“ Kundgebungen vorgehen.
Präsident Hassan Ruhani wiederum, der zu den moderaten Kräften gezählt wird, betonte in einer Ansprache zwar das legitime Recht auf freie Meinungsäußerung. Diese Freiheit dürfe jedoch nicht zu Gewalt und Zerstörung öffentlichen Eigentums führen. Die Aufmärsche sollten zuvor beim Innenministerium angemeldet werden. Allerdings gehört es zur gängigen staatlichen Praxis, dass es nur für regimetreue Demonstrationen Genehmigungen gibt. Beobachter schließen daher nicht aus, dass die Lage in den nächsten Tagen eskalieren könnte.
Die Unruhen hatten am Donnerstag in Maschhad begonnen, Irans zweitgrößter Stadt. Zunächst richteten sich die Proteste gegen die hohe Arbeitslosigkeit und deutliche Preiserhöhungen bei Grundnahrungsmitteln. Schnell bekamen die Demonstrationen allerdings auch eine politische Stoßrichtung.
"Nicht Gaza, nicht Libanon"
Immer wieder wurden zum Beispiel die finanziellen Hilfen für die Palästinenser und die Hisbollah-Miliz im Libanon lautstark kritisiert. „Nicht Gaza, nicht Libanon, ich opfere mein Leben nur für den Iran“, war eine der Protestparolen. Das Geld für diese arabischen Länder solle lieber im Iran selbst investiert werden, hieß es.
Es gab sogar Slogans, die sich eindeutig gegen das Establishment richteten wie „Mullahs schämt euch, lasst unser Land in Ruhe“ oder „Wir holen uns unser Land zurück“. Der religiöse und politische Führer Ajatollah Ali Chamenei soll sogar zum Rücktritt aufgefordert, Bilder von ihm öffentlichkeitswirksam zerrissen worden sein.
Die gegenwärtigen Proteste sind die größten seit der gewaltsam unterdrückten „Grünen Bewegung“ gegen die Wiederwahl des damaligen ultrakonservativen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad im Jahr 2009. Damals kamen Dutzende ums Leben, Aberhunderte wurde willkürlich festgenommen. Das Regime erstickte die Unruhen mit großer Härte.
Allerdings sind die Hintergründe der aktuellen Proteste noch weitgehend unklar. Geht es um mehr Reformen und ihre rasche Umsetzung oder doch um einen Regimewechsel? Noch ist das nicht absehbar. Auffallend ist aber schon jetzt, dass es heute keine klaren Anführer aus der Opposition zu geben scheint.
Das war 2009 anders. Die Strategie der Machthaber bestand damals daher auch darin, die Spitzen der Bewegung auszuschalten – sie wurden unter Hausarrest gestellt. Dieses Vorgehen könnte sich dieses Mal als nutzlos herausstellen.
Ruhani ist gefordert
Teherans Hardliner stellen die Proteste ohnehin wie so oft als von außen gesteuert dar. Eine „Verschwörung der Feinde Irans“ sei im Gange. Gemeint sind damit die USA und Israel. Die Gedanken der Jugendlichen würden über die sozialen Medien „vergiftet“. Reformorientierte Kräfte warnen dagegen davor, die Kundgebungen als vom Ausland gesteuert darzustellen. Man müsse auf die Forderungen eingehen.
Da ist in erster Linie Hassan Ruhani angesprochen. Der Präsident hat den Menschen zugesagt, gerade ihre wirtschaftliche Lage werde sich mit Abschluss des Atomabkommens merklich verbessern. Doch geschehen ist wenig. Die vielen Milliarden, die dem Iran nach dem Wegfall eines Großteils der Sanktionen zur Verfügung stehen, sind dem Militär zugutegekommen oder wurden für den kostspieligen Krieg in Syrien genutzt. Bei den einfachen Menschen ist wenig vom Geld angekommen.
Hardliner wollen den Präsidenten schwächen
Der Unmut in der Bevölkerung ist dementsprechend groß. Insbesondere junge Leute haben wenig Aussicht auf einen Job. Sie sind frustriert, flüchten sich in Drogen. Und machen inzwischen den Präsidenten für ihre Situation mitverantwortlich. Ein Präsident, in den sie große Hoffnungen gesetzt hatten.
Aber Ruhani ist selbst ein Getriebener. Den Erzkonservativen gilt der 69-Jährige seit Langem als zu weich und nachgiebig. Sie werfen ihm sogar den Verrat an den Grundlagen der islamischen Revolution von 1979 vor. Der Atomdeal ist ihnen dafür Beweis genug.
Die Hardliner lassen daher keine Gelegenheit aus, Ruhani zu schaden. Womöglich auch mit den jüngsten Unruhen. Hartnäckig halten sich Gerüchte, die Gegner des Präsidenten hätten die Kundgebungen organisiert – die nun außer Kontrolle geraten seien.