Mietenstopp-Pläne der SPD: Wohnen ohne Angst
Die SPD will Mieterhöhungen gesetzlich begrenzen. Wie realistisch sind ihre Forderungen? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Die Sorge, ihre Mieten nicht mehr bezahlen zu können oder keine bezahlbare Wohnung zu finden, treibt immer mehr Menschen um – nicht nur in Berlin. Die SPD will der Misere jetzt mit weitgehenden Maßnahmen ein Ende bereiten. Parteichefin Andrea Nahles und ihr Vize Thorsten Schäfer-Gümbel fordern einen Mietenstopp für fünf Jahre. Damit geht die SPD-Spitze vor dem Mieten-Gipfel der Bundesregierung über die Vereinbarungen in der großen Koalition mit CDU und CSU hinaus.
Was schlägt die SPD konkret vor?
„Niemand muss mehr als ein Drittel seines Einkommens für die Miete ausgeben“ lautet die zentrale Forderung in dem „12-Punkte-Plan“ der Sozialdemokraten ebenso wie ein „Mietenstopp“ in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt wie Berlin. Dieser soll fünf Jahre gelten. Ein echter Stopp ist das allerdings nicht. Denn eine vollkommene Aussetzung aller Mieterhöhungen ist nicht vorgesehen. Vielmehr sollen diese maximal „in Höhe der Inflationsrate steigen“. Auch Mieterhöhungen nach Modernisierungen sollen weiterhin möglich sein.
Nicht nur im Bestand, auch im Neubau soll das Soziale mehr Bedeutung bekommen. Die Hälfte aller neu gebauten Wohnungen sollen „preisgebunden und preisgedämpft“ sein. Diese sollen dazu „in öffentlicher Hand, in Sozialbindung oder genossenschaftlicher Trägerschaft“ bleiben. Außerdem müsse, „was einmal öffentlich gefördert war, es auch langfristig bleiben“. Bisher fallen Wohnungen nach zehn bis zwanzig Jahren aus den Bindungen wieder heraus.
Auch durch Anreize soll mehr günstiger Wohnraum entstehen: Mit „Steuervorteilen und günstigerem landeseigenen Bauland“ wollen die Genossen Bauherren gewinnen für ihr „Sozialpakt mit Immobilieneigentümern“ Bauherren. Gefördert werden Wohnungsunternehmen, die „ihren Gewinn beschränken und vorrangig und dauerhaft an besondere Bedarfsgruppen“ vermieten.
Bundesweit fehlt es an Bauland, das deshalb teuer und Spekulationsobjekt geworden ist. Dagegen sollen nach dem Willen der SPD die Kommunen einschreiten und „nicht genutzte Baugrundstücke mit höheren Abgaben belegen“. Außerdem sollen sie Bauland in privatem Eigentum mit Baupflichten im Interesse der Mieter belegen: eine Quote von Sozialwohnungen wäre eine Möglichkeit.
Um die Bodenspekulation zu stoppen, soll außerdem ein „Flächen- und Immobilienregister“ die Eigentumsverhältnisse offenlegen und ersichtlich machen, welche Flächen bebaut werden könnten. Eine dritte Maßnahme mit demselben Ziel ist es, schnellstmöglich den „Missbrauch bei der Grunderwerbsteuer“ beim Handel mit großen Wohnungspaketen zu beenden.
„Share Deals“ sind damit gemeint, der Handel von Anteilen an Firmen, die Wohnungen besitzen. Diese Geschäfte sind bisher nahezu befreit von der Grunderwerbsteuer.
Eher im Ungefähren bleibt die Forderung, die „Ausnahmen für Umwandlungsverbote auf ein Minimum zu reduzieren“. Vor allem in City-Lagen wandeln Hausbesitzer Mietwohnungen gerne in Eigentumswohnungen um und verkaufen diese. Dasselbe gilt für die „Ausweitung des sozialen Mietrechts“: Kündigungsschutz und Grenzen für Mieterhöhungen soll es auch für „soziale und kulturelle Projekte“ geben. Bisher sind diese über Gewerbemietverträge wenig gesichert. Wenig konkret sind auch die beiden letzten Punkte: „Stärker in lebendige Ortskerne zu investieren“ sowie einen „Pakt für studentisches Wohnen“ zu schließen, der auch die Auszubildenden einbeziehen soll.
Warum macht die SPD diesen Vorstoß?
Weil sich in der Parteiführung die Überzeugung durchgesetzt hat, dass die SPD zum Scheitern verurteilt ist, wenn sie sich als braver Koalitionspartner der Union mit der Umsetzung des Vereinbarten begnügt. Deshalb rufen Vizekanzler Olaf Scholz und Parteichefin Andrea Nahles lauthals nach einer Rentengarantie bis zum Jahr 2040; deshalb verlangen die Sozialdemokraten jetzt einen fünfjährigen Mietenstopp. Dass bei dieser Methode die Bemühungen von Justizministerin Katarina Barley bei der Mietpreisbremse und von Arbeitsminister Hubertus Heil bei der Rente zwangsläufig als unzureichend erscheinen müssen, nimmt das SPD-Spitzenduo billigend in Kauf.
Scholz und Nahles stehen unter erheblichem Druck. Bislang hat sich der Gang in die große Koalition für die Partei nicht ausgezahlt, im Gegenteil. Bei Umfragewerten knapp über der 15-Prozent-Marke sehen sich die zahlreichen GroKo-Kritiker in der SPD in ihrer grundsätzlichen Ablehnung bestätigt. Insofern ist der „sozialpolitische Aufbruch“, den Nahles nun verspricht, auch ein Versuch, den Fliehkräften in ihrer Partei Herr zu werden. Ob dieses Kalkül aufgeht, wird sich schon bald zeigen: Am 14.Oktober wird in Bayern, am 28. in Hessen gewählt. Im Freistaat gilt eine krachende Niederlage von Spitzenkandidatin Natascha Kohnen selbst unter sozialdemokratischen Berufsoptimisten als ausgemacht. Anders verhält es sich in Hessen, wo SPD-Bundesvize Thorsten Schäfer-Gümbel sich noch berechtigte Hoffnungen machen kann, die Grünen als Regierungspartner der CDU zu verdrängen und als stellvertretender Ministerpräsident in eine schwarz-rote Koalition einzutreten. Es ist deshalb kein Zufall, dass Schäfer-Gümbel als Co-Autor des Mietenpapiers von Parteichefin Nahles in Erscheinung tritt, Kohnen aber nicht.
Wie reagieren die Mieterverbände?
„Vieles im SPD-Plan deckt sich mit dem, was wir auch wollen“, sagt Reiner Wild, Chef des Berliner Mietervereins. Vor allem die Begrenzung der Mieterhöhung auf zwei Prozent jährlich sei richtig. „Wir würden uns freuen, wenn die SPD die CDU an ihre Seite ziehen würde“. Der Mietervertreter sagte aber auch, dass die SPD etwa beim Mieterschutz gegen die Kündigung wegen Eigenbedarfs nicht konkret genug werde. So sei auch das Herauskaufen von Mietern aus Wohnungen eine oft genutzte Ausnahme zur Umgehung des Verbots der Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumsobjekte in Milieuschutzgebieten. Keine Vorschläge enthalte der Plan auch zur Umlage von Modernisierungskosten auf die Miete. Zuletzt war diese in der Mietrechtsreform von Justizministerin Barley von elf auf acht Prozent gesenkt worden. Mieterschützer fordern eine weitaus stärkere Kappung auf sechs Prozent oder weniger. Mieterhöhungen nach Modernisierungen bringen viele Mieter in finanzielle Nöte oder zwingen sie zum Auszug.
Könnte die Union den Ideen zustimmen?
Die zentrale Forderung der Genossen, Mieterhöhungen an die Vormiete zuzüglich des Inflationsausgleichs zu koppeln, lehnt die Union ab. Kai Wegner, baupolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion, wies die SPD-Pläne als „planwirtschaftliche und eigentumsfeindliche Irrungen“ zurück. Nur durch Wohnungsneubau sei das Problem nachhaltig zu reduzieren, sagte er. Mit Preisregulierungen am Wohnungsmarkt würden private Investoren verschreckt und kommunale Wohnungsunternehmen belastet. Notwendig sei stattdessen eine Investitionsoffensive für Hunderttausende neue Wohnungen pro Jahr. Zudem äußert die Union juristische Bedenken. „An der Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen“ nennt der stellvertretende rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion Jan-Marco Luczak die Vorschläge der SPD. Er sieht einen „massiven Eingriff in das Eigentumsrecht“. An welchen Punkten das Eigentumsrecht tangiert ist, erklärte er nicht.
Was ist Länder- und was Bundessache?
Ohne den Bund können die Vorschläge der SPD nicht umgesetzt werden. Ähnlich wie bei der Mietpreisbremse müsste der „Mietenstopp“ in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt für fünf Jahre vom Bund gesetzlich festgelegt werden. Länder (wie Berlin) oder Kommunen dürften das Bundesrecht dann anwenden, wenn sie die „Anspannung“ des Wohnungsmarktes belegen können. Verfassungsrechtlich dürften nach Einschätzung von Rechtsexperten ähnliche Bedenken gelten wie bei der Mietpreisbremse oder wie beim Mietspiegel: Die bisher erfolgten rechtlichen Angriffe scheiterten vor Gericht. Grob gesagt, wiegt der öffentliche Auftrag breite Schichten der Bevölkerung mit Wohnraum zu versorgen, schwerer als das Recht Einzelner, frei über ihr Eigentum zu verfügen. Nur durch die Änderung von Bundesgesetzen ist auch die Steuerbefreiung beim Verkauf großer Wohnungspakete („Share deals“) zu beenden. Dasselbe gilt für eine neue Bodensteuer zur Bestrafung des spekulativen Handels ohne Bauabsicht.
Wie geht es jetzt politisch weiter?
Die SPD will ihren Forderungskatalog auf dem Wohnungsgipfel der Bundesregierung am 21. September zum Thema machen. Auf diesem sollte es ursprünglich vor allem um die im Koalitionsvertrag vereinbarten Maßnahmen gehen: Baukindergeld, Sonderabschreibungen, Förderung sozialer Wohnungsbau und anderes. Dass sich die SPD-Seite bei dem Spitzentreffen mit ihren weitergehenden Forderungen durchsetzen wird, ist angesichts des Widerstands aus der Union eher unwahrscheinlich. Das dürfte den Sozialdemokraten am Ende aber gar nicht unrecht sein. Denn dann können sie der Union vor den Wahlen in Bayern und Hessen vorwerfen, sie tue nichts für das Heer der geschröpften Mieter. Wie sagte Andrea Nahles am Sonntag im Tagesspiegel-Interview? „Politik kann bezahlbare Mieten sichern. Die SPD hat den Willen dazu, jetzt kommt es auf CDU und CSU an. Auf dem Wohngipfel hat sie die Chance dazu, die Lage der Mieter deutlich zu verbessern.“
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