Drittstärkste Kraft: Wohin die AfD nach dem Wahlerfolg steuert
Die AfD zieht zweistellig in den Bundestag ein und wird drittstärkste Kraft. Parteichefin Petry holt sogar ein Direktmandat - doch ihre Zukunft in der AfD ist unklar.
Die Dankesrede ist eine Kampfansage. Der Spitzenkandidat Alexander Gauland steht vor seinen Parteifreunden, eben noch haben sie die Nationalhymne gesungen und „AfD, AfD“ skandiert. Jetzt ruft Gauland: „Wir werden Frau Merkel jagen. Und wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen!“ Jubel brandet auf, Pfiffe gellen durch die schummrig beleuchtete Diskothek, die die AfD für ihre Wahlparty ausgesucht hat. Der Gedanke an eine AfD, die die Kanzlerin in die Enge treibt, begeistert die Parteimitglieder.
Zum ersten Mal seit mehr als 50 Jahren werden Rechtspopulisten im deutschen Parlament sitzen. War die AfD 2013 noch knapp an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert, zieht die Partei nun mit 13 Prozent klar zweistellig in den Bundestag ein – und wird drittstärkste Kraft. In Sachsen sahen Hochrechnungen die AfD zwischenzeitlich sogar als stärkste Kraft, knapp vor der CDU. Nach Tagesspiegel-Recherchen vertreten nun mindestens 20 der etwa 100 Abgeordneten im Bundestag radikale Ansichten.
„Ich will, dass Deutschland wieder aufersteht!“
Überraschen kann das niemanden. Die AfD hat in den vergangenen Wochen sehr deutlich gemacht, wo sie steht. Die Kandidaten hielten sich kaum noch zurück. Da war der umstrittene Dresdner Richter Jens Maier, der beim Wahlkampfabschluss in Görlitz forderte, seine Partei müsse mit der vom Verfassungsschutz beobachteten Identitären Bewegung zusammenarbeiten. „Ich will, dass Deutschland wieder aufersteht!“, rief er. Der Thüringer Spitzenkandidat Stephan Brandner beschimpfte beim Wahlkampf in Jena die Gegendemonstranten als Produkt von Inzest und Sodomie. Und Gauland forderte vor Parteifreunden das Recht, stolz zu sein „auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“.
Dass die AfD nun in den Bundestag einzieht, ist eine historische Zäsur, die das deutsche Parlament vor Herausforderungen stellen wird. In den 13 Landesparlamenten, in denen AfD mittlerweile sitzt, ist der Ton rauer geworden. In ihren Reden werden Abgeordnete zuweilen beleidigend, hetzen gegen Minderheiten oder verwenden wie der sachsen-anhaltische Fraktionsvorsitzende André Poggenburg NS-Vokabular. Auch im Bundestag werden nun Sätze zu hören sein, in denen völkisches, nationalistisches oder rassistisches Gedankengut mitschwingt. Ein Teil der Wähler hat das so gewollt.
Die AfD feiert das Wahlergebnis als Beginn einer Zeitenwende. AfD-Vize Beatrix von Storch kündigt in ihrer Rede an, dass es mit der Willkommenskultur jetzt vorbei sei: „Refugees welcome“ – der Spruch solle künftig nur noch von Linksextremisten verwendet werden. Die Spitzenkandidatin Alice Weidel spricht von einem fulminanten Ergebnis. Sie ruft: „Jetzt – werden – wir – liefern!“ Nur Bundesvorstandsmitglied Georg Pazderski klingt hinter den Kulissen etwas nachdenklicher: „Der ein oder andere bürgerliche Wähler hat sich sicherlich durch einzelne Aussagen im Wahlkampf abschrecken lassen“, sagt er.
Die AfD bestimmte den Wahlkampf
Dass die AfD so stark im Parlament vertreten sein wird, liegt auch daran, dass es ihr gelungen ist, in den vergangenen Wochen den Wahlkampf zu bestimmen. Tagelang wurde über den kalkuliert wirkenden Abgang der Spitzenkandidatin Alice Weidel aus einer ZDF-Wahlsendung diskutiert. Als Spitzenkandidat Gauland darüber sprach, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Aydan Özoguz in Anatolien zu „entsorgen“, bescherte ihm das ebenfalls über mehrere Tage hinweg Schlagzeilen. In der Wahlkampf-Schlussrunde von ARD und ZDF erregte sich FDP-Spitzenkandidat Christian Lindner darüber, dass in Talkshows jede AfD-Äußerung diskutiert werde – statt die Partei nach ihren Inhalten zu fragen.
Die AfD hat von den Empörungswellen im Wahlkampf profitiert. Da schien es weder zu schaden, dass AfD-Chefin Frauke Petry eine Anklage wegen Meineids droht, noch dass Spitzenkandidatin Weidel 2013 eine E-Mail mit rassistischem und demokratieverachtendem Inhalt geschrieben haben soll. Es gab für die AfD keine schlechte Publicity.
Nur den innerparteilichen Streit wollte die AfD für die Zeit des Wahlkampfs zurückstellen. Doch der Machtkampf innerhalb der Partei könnte nun umso stärker wieder aufbrechen. Bereits auf der Wahlparty wird deutlich, wie groß das Zerwürfnis mittlerweile ist: Parteichefin Petry ist zwar gegen 20 Uhr auf der Feier. Doch vor den Fernsehkameras macht sie klar, dass sie sich ein noch besseres Wahlergebnis gewünscht hätte. Die Frage, ob Petry auch vor den Parteifreunden reden werde, verneint ihr Sprecher.
Hat sich Petry ins Abseits manövriert?
Die Parteichefin hatte bereits in der vergangenen Woche für großen Unmut in der AfD gesorgt, als sie das Spitzenteam attackierte. Da sagt sie, sie könne verstehen, wenn die Wähler angesichts der aktuellen AfD-Schlagzeilen entsetzt seien. Viele in der Partei sind nun der Meinung, dass sich die ohnehin stark angeschlagene Chefin endgültig ins Abseits manövriert hat. Daran ändert möglicherweise nicht einmal das Direktmandat etwas, das Petry in ihrem Wahlkreis geholt hat.
Es geht schon seit einigen Tagen das Gerücht um, Petry könnte sich mit einigen Verbündeten von der neuen Fraktion absetzen. Auch, wenn das abwegig klingt: Auf der Wahlparty halten das viele für eine reale Gefahr. „Wir dürfen uns auf keinen Fall spalten“, sagt ein AfDler eindringlich zu seinen Parteifreunden. Ein anderer befürchtet, dass Petry schon an diesem Montag im Morgenmagazin für einen Eklat sorgen könnte.
Die Fraktion, so viel ist sicher, werden andere führen. Weidel und Gauland haben dafür die besten Chancen. Am Dienstag und Mittwoch will sich die Fraktion treffen, um die Führungsposten zu vergeben. Für die an der Spitze dürfte es nicht leicht werden, das Sammelsurium an Abgeordneten zusammenzuhalten.
Maria Fiedler