zum Hauptinhalt
Umbau im Bundestag für die konstituierende Sitzung des 20. Deutschen Bundestags.
© Monika Skolimowska/dpa

7 Fragen zur ersten Bundestagssitzung: Wo sitzt jetzt Merkel – und warum tragen plötzlich alle Armbänder?

736 Abgeordnete gehören dem neuen Bundestag an. Dienstag geht es los mit einer außergewöhnlichen Sitzung, mit Abschieden, Wechseln – und Armbändchen.

Es ist der spätestmögliche Termin. Das Grundgesetz schreibt vor, dass der neu gewählte Bundestag spätestens am 30. Tag nach der Wahl erstmals tagen muss. Das ist der 26. Oktober. Ab diesem Dienstag beginnt für alle neu gewählten Abgeordneten ihr Mandat. Selten gab es so viel Abschied und Wechsel, gleich 92 Abgeordnete sind jünger als 35 Jahre.

Für Angela Merkel (CDU) dagegen endet nach 31 Jahren ihre Zeit als gewählte Abgeordnete, Armin Laschet (CDU) ist zurück im Parlament, aber ganz anders als er es sich gedacht hatte. Die Sitzung wird zunächst vom Alterspräsidenten geleitet. Dies ist seit 2017 nicht mehr der älteste Abgeordnete (das wäre sonst AfD-Fraktionschef Alexander Gauland), sondern der Abgeordnete mit der längsten Zugehörigkeit zum Bundestag.

Mit 49 Jahren ununterbrochener Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag gebührt diese Aufgabe Wolfgang Schäuble – aber auch für den CDU-Politiker ist es ein Abschied. Es wird sein letzter Tag als Bundestagspräsident.

Wie geht der Bundestag bei 736 Abgeordneten mit der Corona-Lage um?

Erstmals seit Monaten wird es trotz steigender Corona-Zahlen wieder ein volles Haus geben. „Es wird ein ganz anderes Bild als zuletzt geben“, sagt ein Bundestagssprecher. Das heißt, alle 736 Abgeordneten sollen teilnehmen können, ohne Abstände. Allerdings wird zum Beispiel der Partei- und Fraktionsvorsitzende der AfD, Tino Chrupalla, wegen einer Corona-Infektion nicht anwesend sein. Im Plenarsaal wird die 3G-Regel gelten.

Der Parlamentsärztin und ihrem Team müssen Testnachweise vorgelegt werden, die nicht älter als 24 Stunden sind oder vor Ort Tests gemacht werden. Alternativ müssen Impf- oder Genesenen-Nachweise gezeigt werden. Danach gibt es ein schwarz-rot-goldenes Bändchen für den Zutritt.

Wenn AfD-Abgeordnete den 3G-Nachweis nicht erbringen wollen, müssen sie auf einer oben reservierten Tribüne Platz nehmen. Insgesamt werden für Abgeordnete drei der sechs Tribünen im Bundestag reserviert. Dort werden auch – mit Abstand – Plätze freigehalten für Abgeordnete, die aus Sorge vor einer Infektion nicht im vollbesetzen Plenarsaal sitzen wollen. Es gibt auch einige Politikerinnen, die schwanger sind und besondere Vorsicht walten lassen wollen. Zwei weitere Tribünen sind für Journalisten reserviert und eine für Ehrengäste wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier oder frühere Bundestagspräsidenten.

Wie sieht der Tag für Angela Merkel aus?

Oben auf der Tribüne wird auch Kanzlerin Merkel sitzen, statt unten auf der Regierungsbank, ebenso alle anderen Regierungsmitglieder, die wie sie nicht mehr Mitglied des Deutschen Bundestags sind, etwa Peter Altmaier, Annegret Kramp-Karrenbauer oder Christine Lambrecht. Am Nachmittag wird Steinmeier Merkel und ihrem Kabinett ihre Entlassungsurkunden aushändigen, aber sie bitten im Amt zu bleiben, bis eine neue Regierung gewählt ist.

Olaf Scholz, ihr Vizekanzler und neuer Bundestagsabgeordneter, will sich Anfang Dezember zum Kanzler wählen lassen. Damit würde Merkel um wenige Tage den Amtszeit-Rekord von Helmut Kohl verpassen. Kohl regierte vom 1. Oktober 1982 bis zum 27. Oktober 1998, 5871 Tage. Das würde Merkel am 18. Dezember erreichen, am 19. Dezember würde sie Kohl überholen.

Vorgänger und Nachfolgerin in Aktion: Wolfgang Schäuble hört als Sitzungsleiter im Plenum des Bundestages zu, während die SPD-Abgeordnete Bärbel Bas ihre Rede hält.
Vorgänger und Nachfolgerin in Aktion: Wolfgang Schäuble hört als Sitzungsleiter im Plenum des Bundestages zu, während die SPD-Abgeordnete Bärbel Bas ihre Rede hält.
© imago images/Christian Spicker

Wer folgt Wolfgang Schäuble nach?

Schäuble als Alterspräsident ernennt zunächst einige Abgeordnete zu vorläufigen Schriftführern, danach werden alle Mitglieder des Bundestages namentlich aufgerufen. Nach Feststellung der Beschlussfähigkeit werden der Parlamentspräsident sowie die Stellvertreter und Schriftführer gewählt. Als Nachfolgerin Schäubles soll die SPD-Abgeordnete Bärbel Bas zur Bundestagspräsidentin gewählt werden. Sie wird nach Annemarie Renger (SPD, 1972 bis 1976) und Rita Süssmuth (CDU, 1988 bis 1998) als dritte Frau das protokollarisch zweithöchste Staatsamt in Deutschland innehaben. In der SPD-Fraktion hatte sie als Parlamentarische Geschäftsführerin (2013 bis 2019) und zuletzt als Fraktionsvize mit Zuständigkeit für die Themen Gesundheit, Petitionen, Bildung und Forschung wichtige Funktionen ausgeübt.

Bärbel Bas fotografiert die stark gewachsene SPD-Bundestagsfraktion.
Bärbel Bas fotografiert die stark gewachsene SPD-Bundestagsfraktion.
© imago images/Future Image

Während viele andere Abgeordnete nach Studium und Erfahrungen als Mitarbeiter von Abgeordneten ins Parlament einziehen, schaut die 53-jährige auf eine klassische Aufsteigergeschichte zurück. Nach dem Hauptschulabschluss machte sie eine Lehre als Bürogehilfin, absolvierte dann eine Ausbildung zur Sozialversicherungsfachangestellten. Später folgte noch ein Fachstudium mit der Weiterbildung zur Krankenkassenbetriebswirtin - ein Aufstieg auf dem zweiten Bildungsweg. Bas ist verwitwet und hat keine Kinder. In ihrer Fraktion gilt die Frau aus dem Ruhrgebiet als geerdet, selbstbewusst und nervenstark – Eigenschaften, die ihr im neuen Amt zugute kommen könnten, auch im Umgang mit der AfD. Die Wählerinnen und Wähler in ihrem Wahlkreis Duisburg schätzen die Politikerin: Seit 2009 gewann sie ihn stets direkt. In ihrem neuen Amt könnte sie vor allem auf einen besonders bürgernahen Parlamentarismus setzen; in Zeiten, wo es viele Zweifel an der Politik gibt.

Was sind die wichtigsten Aufgaben der Präsidentin?

Wie ihre Vorgängerinnen und Vorgänger muss Bas als Sitzungsleiterin gemeinsam mit ihren Stellvertretern auf eine überparteiische Weise für einen reibungslosen Verlauf der Plenarsitzungen sorgen. Sie muss das Haus und den Parlamentarismus nach außen repräsentieren und notfalls auch gegen Übergriffe der Bundesregierung verteidigen, wenn die etwa Rechte des Bundestages missachten oder einschränken will. Als Amtsinhaberin ist Bas Empfängerin der Rechenschaftsberichte der Parteien, überwacht die Einhaltung des Parteispendengesetzes und regelt die Wahlkampfkostenerstattung. Unter ihrer Verantwortung entscheidet die Bundestagsverwaltung auch über mögliche Sanktionen bei Verstößen gegen das Gesetz.

Von Schäuble übernimmt Bas zudem eine Aufgabe, in die dieser viel Energie gesteckt hatte, ohne ein Ergebnis zu erreichen: Es geht um die Reform des Bundestages, damit die Zahl der Abgeordneten begrenzt wird und nicht weiterwächst. Widerstand gegen eine Verkleinerung kommt vor allem aus der CSU, die traditionell in Bayern sehr viele Direktmandate erringt und deshalb um den Verlust von Abgeordneten fürchten muss.

Wer könnte Vizepräsidentin oder Vizepräsident des Bundestags werden?

Der größten Fraktion im Haus steht nicht nur das Amt der Präsidentin oder des Präsidenten zu, sondern auch ein Stellvertreterposten. Die SPD-Fraktion hat dafür bereits die Hamburger Abgeordnete Aydan Özoguz nominiert. Mit der Wahl der früheren Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, die Muslimin und Tochter türkischer Eltern ist, will man ein Zeichen der Weltoffenheit setzen. In der Union gibt es eine Konkurrenz zwischen der bisherigen Kulturstaatsministerin Monika Grütters und der scheidenden Integrationsbeauftragte und Chefin der Frauen-Union, Annette Widmann-Mauz.

Sofern sich die Frauen in der Fraktion nicht einigen, käme auch ein Mann infrage, etwa Hermann Gröhe oder Hans-Peter Friedrich. Letzterer ist als CSU-Abgeordneter im Nachteil, denn die CDU will den Posten für sich beanspruchen. Seinen Hut als Vize in den Ring geworfen hat intern auch Michael Grosse-Brömer, bislang Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Union.

Bei Grünen und FDP wird erwartet, dass Claudia Roth und Wolfgang Kubicki im Vize-Amt bestätigt werden. In der Linksfraktion wird damit gerechnet, dass Petra Pau wieder antritt – es wäre ihre vierte Amtszeit. Die AfD hat zwar Anspruch auf einen Vizeposten, keiner ihrer Bewerber hatte aber in der vergangenen Legislaturperiode eine Mehrheit gefunden. Dieses Mal schickt die AfD den Thüringer Abgeordneten Michael Kaufmann ins Rennen.

Der Sitzverteilung im neuen Bundestag - FDP und Union könnten ihre Sitzreihen noch tauschen.
Der Sitzverteilung im neuen Bundestag - FDP und Union könnten ihre Sitzreihen noch tauschen.
© AFP

Gibt es überhaupt genug Büros für alle Abgeordneten?

Bisher nicht. Vor allem bei der Union (245 Abgeordnete bisher, nun 197), bei der Linken (69/39) und geringfügig bei der AfD (87/82) müssen Büros geräumt werden, während die Ampel-Parteien SPD (152/206), Grüne (67/118) und FDP (80/ 92) deutlich mehr Abgeordnetenbüros bekommen. Bei den Grünen setzt man verstärkt auf „Büro-Sharing“ von alten und neuen Abgeordneten, auch Besprechungsräume werden als provisorische Büros genutzt.

Abhilfe schaffen soll das Projekt Luisenblock West, zwischen dem Marie-Elisabeth-Lüders-Haus an der Spree und der S-Bahn-Trasse. Für 70 Millionen Euro wird hier ein Gebäude in Modulbauweise errichtet. Sieben Stockwerke hoch, sollen 400 neue Büroräume aus zusammengesteckten Holzmodulen bis spätestens Anfang kommenden Jahres bezugsfertig sein. Schon seit Jahren sollte auch der Erweiterungsbau des Marie- Elisabeth-Lüders-Hauses mit hunderten neuen Büros fertig sein, aber wegen Baumängeln und Planungsfehlern verzögert sich das bis weit in das nächste Jahr hinein. Mindestens. Alle neuen Mitglieder des Bundestags (MdB) bekommen aber einen Laptop sowie E-Mail-Adressen zum Start. Aber je nach Funktion und Aufgabe stehen MdB mehrere Büros für sich und ihre Mitarbeiter, weshalb 736 statt bisher 709 Abgeordnete nicht bedeutet, dass einfach 27 zusätzliche Büros reichen. Jedem Mitglied des Bundestages steht eine monatliche Mitarbeiterpauschale in Höhe von derzeit 22795 Euro zur Verfügung. Das reicht meist für 4 bis 5 Vollzeitstellen, aber ohne Büros bleibt für viele zum Start erst einmal etwas, das sich in der Corona-Pandemie ohnehin etabliert hat: das Arbeiten im Homeoffice.

Der neue Bundestag mit 736 Sitzen werde in dieser Wahlperiode bis 2025 für Mehrkosten von mindestens 410 Millionen Euro gegenüber der Normgröße von 598 Abgeordneten sorgen, schätzt der Bund der Steuerzahler und fordert eine umfassende Wahlrechtsreform.

[Behalten Sie den Überblick: Jeden Morgen ab 6 Uhr berichten Chefredakteur Lorenz Maroldt und sein Team im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint über die aktuellsten Entwicklungen rund um das Coronavirus. Jetzt kostenlos anmelden: checkpoint.tagesspiegel.de.]

Die bisherige Staatsspitze - Angela Merkel und Wolfgang Schäuble werden ihr andere als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nicht mehr angehören.
Die bisherige Staatsspitze - Angela Merkel und Wolfgang Schäuble werden ihr andere als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nicht mehr angehören.
© Christof Stache/AFP

Könnte es eine neue Sitzordnung geben?

Die FDP will nicht mehr neben der AfD sitzen, der angestrebte Tausch mit CDU/CSU ist jedoch weit mehr als Symbolik. Die FDP-Bundestagsfraktion will deutlich machen, dass sie sich als Kraft der Mitte und Stabilität sieht – und daher die seit Jahrzehnten etablierte Sitzordnung über eine Entscheidung im Ältestenrat ändern. Dann würde rechts die AfD sitzen, gefolgt von den CDU/CSU-Abgeordneten. In der Mitte würden die FDP-Abgeordneten sitzen, Seit an Seit zu den möglichen Ampel-Partnern der Grünen und der SPD. Ganz links säße wie gehabt die Linke.

Die beiden Ampel-Parteien SPD und Grüne halten sich noch bedeckt, die Linke hingegen unterstützt bereits offen das Ansinnen der FDP. Anders als 2017, als die Fraktion schon einmal den Tausch mit der Union wollte, könnte es eine Mehrheit geben. In der konstituierenden Sitzung bleibt es aber noch einmal bei der bisherigen Sitzordnung. Der Tauschwunsch unterstreicht Lindners Strategie, den traditionellen Platz der Union als Mitte-Partei infrage zu stellen. Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus unterstellte er zuletzt, dass er der Union einen strammen Rechtskurs verordnen wolle, wenn er das Ampel-Sondierungspapier als strammen Linkskurs bezeichne.

Auf den TV-Bildern würden die Bürger dann immer Unions-Abgeordnete direkt neben der AfD sehen, die zudem gerne rüberpöbeln. Daher wehrt man sich dort gegen diese weitere Niederlage mit Macht. „Die Sitzordnung im Deutschen Bundestag ist kein Karussell, das nach Belieben herumgedreht werden sollte“, echauffiert sich der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe, Stefan Müller.

Zur Startseite