Home-Office und ein Holz-Provisorium: 736 Abgeordnete, aber zu wenig Büros – wie der Bundestag mit Platzmangel kämpft
Auf 410 Millionen Euro beziffert der Steuerzahler-Bund die Mehrkosten durch den übergroßen Bundestag. Dort gibt es für neue Abgeordnete vorerst Notlösungen.
Nicht jeder ist so frei wie Fabio de Masi. Wo andere in diesen Tagen viel Wehmut überkommt beim Kistenpacken, Mitarbeiter verabschieden und Büro räumen, hat der Linken-Finanzexperte sich voller Vorfreude aus dem Bundestag verabschiedet: "Diplomatenpass abgegeben, Büroschlüssel hinterlegt. Abgeordnetenausweis kommt mit der Post“, schrieb er auf Twitter zum Abschied. „War mir eine Ehre. Die Bevölkerung war 7 Jahre mein Chef. Melde mich vom Dienst ab!“ Inzwischen tourt er durch Afrika.
So ein Umzugs- und Neueinzugstreiben hat der Bundestag noch nicht erlebt, wie in diesem Tagen. Er ist noch einmal größer geworden, 736 Abgeordnete statt bisher 709, eines der größten Parlamente der Welt. Am Dienstag werden sie zur konstituierenden Sitzung erstmals zusammentreten, die SPD-Politikerin Bärbel Bas soll zur neuen Bundestagspräsidentin gewählt werden. Der Baulärm etwa am Marie-Elisabeth-Lüders-Haus zeugt davon, dass hier etwas aus den Nähten platzt. Dort sollen durch einen Erweiterungsanbau 300 neue Büros für Abgeordnete und deren Mitarbeiter entstehen, doch wann sie zu beziehen sind, ist offen. Das Projekt startete 2010 mit dem Ziel, 2012 für die Abgeordneten bezugsfertig zu sein. Dass sich das Vorhaben so in die Länge gezogen hat, lag zuerst an einer undichten Bodenplatte im Untergeschoss, später an Umweltauflagen, die eine Renovierung des internen Blockheizkraftwerks noch vor der Eröffnung nötig machte. Aus 190 Millionen Euro sind so 332 Millionen Euro Baukosten geworden. Die bauliche Fertigstellung ist nun für 2022 geplant, dann folgt aber noch „die bei diesem Projekt besonders aufwändige Inbetriebnahme von mehreren Hundert technischen Anlagen“, teilt das zuständige des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (BBR) mit.
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Ein Bau mit Holzmodulen soll 400 neue Büros schaffen
Kurzfristig Abhilfe schaffen soll das Projekt Luisenblock West schaffen, zwischen dem Marie-Elisabeth-Lüders-Haus an der Spree und der S-Bahn-Trasse. Für 70 Millionen Euro wird hier unter der Leitung BBR ein Gebäude in Modulbauweise errichtet, in rote, grüne und gelbe Holzpanels verpackt. Sieben Stockwerke hoch, sollen 400 neue Büroräume aus den zusammengesteckten Holzmodulen sowie Besprechungsräume entstehen mit nur kurzem Gehweg zum Reichstagsgebäude. Der Bundestag hofft, dass es bis Ende des Jahres fertig gestellt ist. Doch bis es so weit ist, ist für die "Neuen" viel Kreativität gefragt.
Union und Linke müssen viele Büros räumen
Vor allem bei der Union (245 Abgeordnete bisher, nun 197), bei der Linken (69/39) und geringfügig bei der AfD (87/82) müssen Büros geräumt werden, während die Ampel-Parteien SPD (152/206), Grüne (67/118) und FDP (80/ 92) deutlich mehr Abgeordnetenbüros bekommen. Welche, wird in der Regel innerhalb der Fraktionen geklärt – auch klärt die Union erstmal für sich, welche Büros sie abgibt.
Zum Beispiel in der Liegenschaft in der Wilhelmstraße 65, schräg gegenüber von der ARD, sitzen nun nur noch ganz wenige CDU/CSU-Abgeordnete, so dass sie zum Unions-Rest in das Jakob-Kaiser-Haus umziehen könnten, dafür könnten hier dann einige SPD-Abgeordnete einziehen. Der Platzbedarf ist nun noch einmal deutlich gestiegen, in Reichstagsnähe haben zum Beispiel auch frühere Bundestagspräsidenten und Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder noch großräumige Büros und weitere für Mitarbeiter. Bald braucht auch Angela Merkel ein repräsentatives Altkanzlerinnenbüro.
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"Büro-Sharing im Bundestag"
Erstmals seit fast 70 Jahren ist auch der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) wegen einer Sonderregelung mit Stefan Seidler als fraktionslosem Abgeordneten wieder im Bundestag. Auch er hat Anspruch auf ein Büro. Während wiedergewählte Mandatsträger meist ihr Büro behalten, werden die Neulinge oft erstmal nur mit einem Laptop sowie E-Mail-Adressen ausgerüstet und müssen auf ihren Arbeitsplatz warten. Viele der 104 neuen Bundestagsmitglieder der SPD-Fraktion, aber auch der 66 der Grünen und der 29 der FDP müssen bis zur konstituierenden Sitzung des Bundestags und danach noch mit Provisorien leben - hier hilft die Corona-Zeit, wo viele das Arbeiten im Home-Office gelernt haben. Bei den Grünen gibt es Patenschaftsmodelle, wo Abgeordnete neuen Mitgliedern der Fraktion ein Teil der oft mehreren, nebeneinander liegenden Büros zur Verfügung stellen, es kommt zu einem "Bürosharing" wie eine Sprecherin erläutert, auch Besprechungsräume werden Neuankömmlingen zur Verfügung gestellt.
Jeder MdB bekommt 22.795 Euro Mitarbeiterpauschale im Monat
Auch werden Büros wie „Coworking-Spaces“ gemeinsam genutzt. Das ist natürlich nicht ideal für den Aufbau der eigenen Arbeit und das Einstellen von Mitarbeitern. Jedem Mitglied des Bundestages stehen monatlich als Mitarbeiterpauschale derzeit 22.795 Euro zur Verfügung, das reicht meist für 4 bis 5 Vollzeitstellen, die Gehaltsspanne für Mitarbeiter reicht je nach Qualifikation laut Bundestag von knapp 1952 Euro bis zu 8733 Euro. Bisher gibt es im gesamten Parlamentsviertel, das immer weiter „ausfranst“, 3520 Raumeinheiten mit im Schnitt 18 Quadratmetern, durch den Modulbau kommen noch einmal 400 Raumeinheiten hinzu, es wird aber auch mit Blick auf die Bundestagsangestellten schon überlegt, sich weiter zu „vergrößern“, Richtung Schiffbauerdamm und Bahnhof Friedrichstraße.
Bund der Steuerzahler: 410 Millionen an Mehrkosten
Laut Bundestag ist noch nicht klar, ob als Zwischenlösung weitere Büroräume angemietet werden müssen, für einige bedeutet das, je weiter sie weg sind: Wenn eine namentliche Abstimmung ansteht, müssen sie zügigen Schrittes rüber zum Reichstagsgebäude, auch braucht es mehr Fahrer - einige der jungen neuen SPD-Abgeordneten um Erik von Malottki kämpft nun zusammen mit der Linken dafür, dass die ausgegliederte Fahrbereitschaft einen Tarifvertrag bekommt und bessere Löhne. Dass das bisher nicht so sei, sei für ihn ein "Erstes Schockerlebnis als neuer Abgeordneter" gewesen.
Aus Sicht des Bundes der Steuerzahler zeigt das alles die Notwendigkeit einer Wahlrechtsreform: Neben der Enge im Bundestag steigere das geltende Wahlrecht die Betriebskosten der Demokratie unnötig. Der neue Bundestag mit 736 Sitzen werde in dieser Wahlperiode bis 2025 für Mehrkosten von mindestens 410 Millionen Euro gegenüber der Normgröße von 598 Abgeordneten sorgen.