Wählerwanderungen: Wo sind sie geblieben?
Nicht einmal 40 Prozent der Berliner Wähler gaben am Sonntag SPD und CDU ihre Stimme. Eine Analyse.
Von Volksparteien kann nach der Wahl in Berlin kaum mehr die Rede sein. Nur noch 39,2 Prozent der Wähler entschieden sich am Sonntag, SPD und CDU ihre Stimme zu geben. Vor fünf Jahren waren es immerhin noch 51,6 Prozent der Wähler, die eine große Koalition möglich machten. Doch dieses Mal sehen sich SPD und CDU konfrontiert mit drei etwa gleich starken Verfolgern: der Linkspartei (15,6 Prozent), den Grünen (15,2 Prozent) und der AfD, die es aus dem Stand auf 14,2 Prozent brachte. Hinzu kommt die FDP, die es mit 6,7 Prozent ebenfalls aus der außerparlamentarischen Opposition ins Abgeordnetenhaus schaffte.
SPD und CDU auf historischem Tiefstand
Die beiden bisherigen Regierungsparteien fielen auf einen historischen Tiefstand. Die seit 1990 ununterbrochen regierende SPD landete auf dem niedrigen Niveau, das sie zuletzt bei den Wahlen 1995 und 1999 erreichte, als der CDU-Politiker Eberhard Diepgen Regierender Bürgermeister war. Aber auch die CDU setzt ihren Abstieg weiter fort, der mit der Abwahl Diepgens im Jahr 2001 seinen Anfang nahm: Erstmals landete die Partei mit 17,6 Prozent der Stimmen unter der 20-Prozent-Marke.
Die SPD verlor Stimmen in alle Richtungen
Ein Blick auf die Wählerwanderungen zeigt, dass die Sozialdemokraten in verschiedene Richtungen Stimmen abgegeben haben. Zum einen verloren sie Wähler ins konservative oder rechte Lager (24 000 Wähler wechselten zur AfD, jeweils 11 000 zur CDU und zur FDP). Zum anderen gingen aber auch Anhänger in nennenswertem Umfang zur Linkspartei (20 000). Die Kampagne der Regierungspartei sei an der Realität einer SPD gescheitert, „von der viele meinen, dass sie seit Jahren als Partei des Regierenden Bürgermeisters erschöpft ist, wenig ambitioniert und zu der es dennoch keine Alternative gibt“, schreibt der Sozialwissenschaftler Benjamin-Immanuel Hoff in seiner Wahlanalyse. Hoff, der Leiter der Staatskanzlei in Thüringen ist, verweist dabei auf die Befragungen von Infratest Dimap: Danach gaben 61 Prozent der befragten Wähler und 33 Prozent der SPD-Wähler an, dass man im Moment nicht wisse, wofür die Sozialdemokraten in der Hauptstadt inhaltlich stehen. Mehr als ein Drittel der SPD-Wähler (37 Prozent) war der Meinung, dass die SPD es in der Regierung nicht geschafft habe, die wirklichen Probleme anzupacken. Immerhin 80 Prozent der SPD-Wähler hoffen auf Besserung und attestieren der Partei, gute Ideen für die Entwicklung Berlins zu haben.
CDU-Wähler wechselten zur AfD und zur FDP
Das schlechte CDU-Ergebnis hat zum einen mit der Schwäche des Spitzenkandidaten Frank Henkel zu tun. So war nur die Hälfte der CDU-Wähler davon überzeugt, dass der Innensenator der richtige Mann sei, um Berlin zu repräsentieren. Die Mobilisierungsschwäche der CDU ist aber wohl auch auf die schwierige Lage der Unions-Parteien im Bund zurückzuführen. So gaben zwei Drittel der CDU-Wähler an, dass die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel der Partei geschadet habe. Einerseits. Andererseits fanden drei Viertel der CDU-Wähler, dass die Regierungschefin ein wichtiger Grund sei, in Berlin die CDU zu wählen. In erster Linie verlor die CDU Wähler an die Konkurrenz im rechten Lager. Nach den Wählerbefragungen von Infratest-Dimap wechselten 39 000 CDU-Anhänger zur rechtspopulistischen AfD. Rund 28 000 ehemalige CDU-Wähler halfen außerdem der FDP, ins Abgeordnetenhaus einzuziehen.
Grüne und Linke profitierten von der Schwäche der Piraten
Den Grünen und der Linkspartei gelang es, in größerem Umfang Wähler von den Piraten zurückzugewinnen, die mit 1,7 Prozent nicht mehr den Sprung ins Parlament schafften (22 000 PiratenWähler wechselten zur Linken, 11 000 zu den Grünen). Während die Grünen vor allem ihre innerstädtischen Hochburgen (zum Beispiel in Kreuzberg, in Mitte oder in Prenzlauer Berg) verteidigen konnten, war die Linke in ihren Hochburgen im Osten (Lichtenberg, MarzahnHellersdorf, Treptow-Köpenick) erfolgreich und errang Direktmandate.
Aber: Auch die Linke musste an die AfD abgeben – mit 12 000 Stimmen waren die Wanderungszahlen jedoch erheblich geringer als bei den bisherigen Regierungsparteien SPD und CDU. Bei den Grünen fiel die Abwanderung zur AfD mit 4000 Stimmen noch einmal deutlich niedriger aus – vermutlich, weil sie sich im Wahlkampf als Gegenpol zu den Rechtspopulisten präsentierten.
Die AfD mobilisierte Nichtwähler
Die meisten Stimmen konnte die AfD ohnehin aus dem Nichtwähler-Lager gewinnen: Fast jede zweite Stimme (69 000) kam von jemandem, der 2011 nicht zur Wahl gegangen war. Auch die FDP konnte am Sonntag Nichtwähler mobilisieren (14 000), ebenso wie die Linke (16 000). Zulauf erhielten die Liberalen auch von SPD und CDU (11 000 beziehungsweise 28 000 Stimmen).
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