Kein gutes Jahr für die Demokratie: Wo sich Regierungschefs mit unlauteren Mitteln an der Macht halten
Im Schatten der Pandemie haben Mächtige in vielen Ländern bei Abstimmungen manipuliert – nicht nur in Diktaturen. Ein Überblick.
Der Vorwurf ist so ungeheuerlich wie unhaltbar. Trotzdem rückt Donald Trump nicht von ihm ab. Er sei um den Wahlsieg betrogen worden, ist der scheidende US-Präsident überzeugt. Die oppositionellen Demokraten hätten die Wahl im November „gestohlen“, glauben auch viele seiner Anhänger. Doch Wahlbetrug wird in der Regel nicht von den Herausforderern begangen, sondern von Machthabern, die sich an ihr Amt klammern. Oft sind ihnen dafür alle Mittel recht, von gefälschten Stimmzetteln bis hin zu roher Gewalt – und das nicht nur in bekannten Diktaturen wie Belarus, Syrien oder Iran. In vielen Ländern haben die Mächtigen im Schatten der Coronakrise in diesem Jahr die Demokratie geschleift. Ein Überblick.
Myanmar: Minderheiten ausgeschlossen
Sie wird von ihren Anhängern liebevoll „Mutter“ genannt: Aung San Suu Kyi, Regierungschefin von Myanmar und klare Siegerin der Parlamentswahl am 8. November. Weit mehr als die Hälfte der Mandate hat ihre Partei gewonnen. Suu Kyi genießt in ihrer Heimat ein hohes Ansehen, besonders für ihren andauernden Kampf gegen den Einfluss des Militärs im Land.
1991 hat sie dafür den Friedensnobelpreis erhalten. Doch inzwischen nimmt es die 75-Jährige mit Demokratie und Menschenrechten nicht mehr so genau. Gut zwei Millionen Bürgerinnen und Bürger durften an der Abstimmung im November nicht teilnehmen, weil sie entweder in Regionen leben, in denen sich Regierung und Abtrünnige einen Bürgerkrieg liefern oder weil sie zu den verfolgten Rohingya gehören, die faktisch rechtlos sind.
„Die Wahlen in Myanmar waren alles andere als frei und fair“, sagt Margarete Bause, menschenrechtspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag. „Wenn Myanmar international als demokratisches Land anerkannt werden will, darf es nicht länger Millionen Menschen von der Wahl auszuschließen.“ Dass der Ruf von Suu Kyi im Ausland schwer beschädigt ist, auch weil sie den Völkermord an den Rohingya bis heute kleinredet, kümmert ihre Anhänger allerdings wenig.
Deutschland hat dem Land bereits im Februar die Entwicklungshilfe gekürzt, weil „die Regierung wenig reformorientiert ist und die Menschenrechte im Umgang mit der religiösen Minderheit der Rohingya weiterhin schwer verletzt“, wie Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) sagte. Am Kurs von Suu Kyi hat das bis heute jedoch nichts geändert.
Guinea: Kampagnen voller Hass
Für seine Gegner müssen die Worte wie der blanke Hohn klingen. „Wir wollen künftig anders regieren“, sagte Alpha Condé bei seiner Vereidigung zum Präsidenten von Guinea am 15. Dezember. „Das heißt, dass wir für die Verletzlichsten arbeiten.“ Hass und Hetze zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen müssten endlich ein Ende haben, forderte der 82-Jährige seine Landsleute auf. Im Wahlkampf klang Condé allerdings noch ganz anders.
Da hatte er selbst von „Krieg“ gesprochen und die Stimmung im Land ordentlich angeheizt. Die Vereinten Nationen riefen damals alle Parteien zur Mäßigung auf, die EU zeigte sich besorgt über die „Umstände" der Wahl.
Die waren in der Tat nicht besonders gut. Monatelang tobten Unruhen auf den Straßen des westafrikanischen Landes – brennende Barrikaden, es gab Schüsse und Tote. Der Grund für die blutigen Ausschreitungen: Condé hatte im März kurzerhand die Verfassung ändern lassen, um sich eine dritte Amtszeit zu ermöglichen. Seit 2010 ist er Präsident, galt früher als Reformer, doch regiert zunehmend autoritär.
Die Wahl am 18. Oktober gewann er nach offiziellen Angaben mit 60 Prozent der Stimmen. Die Opposition um Condés Langzeit-Rivalen Cellou Diallo spricht von Betrug, Klagen vor dem Verfassungsgericht scheiterten aber. Diallo wird von der Polizei beschattet. Die Afrikanische Union hält die Wahl hingegen für „weitgehend fair“ und „transparent“. Doch Zweifel daran sind berechtigt. Warum sonst sollte Condé bis heute Oppositionelle verhaften lassen? Hat er doch versprochen, „künftig anders regieren“ zu wollen.
Venezuela: Kaum Interesse an der Wahl
Wer in Venezuela einen Laib Brot kaufen will, muss schnell sein. Die Inflation lässt die Preise im Stundentakt steigen – so schwer ist die Wirtschaftskrise im Land, wegen des niedrigen Ölpreises, Missmanagements der Regierung und Sanktionen der USA. Wer glaubte, die Zeit sei deshalb reif für einen Machtwechsel, sah sich bei den Wahlen am 6. Dezember allerdings getäuscht. 91 Prozent der Parlamentssitze erhielt die Partei des sozialistischen Regierungschefs Nicolás Maduro angeblich. Die Wahlbeteiligung lag bei nur 31 Prozent.
Die Opposition um den selbsternannten Interimspräsidenten Juan Guaidó hatte zum Boykott aufgerufen und kurz darauf eine eigene „Volksbefragung“ organisiert. „Wir werden so lange kämpfen bis unser Venezuela frei und demokratisch ist“, sagte Guaidó. Die Durchhalteparolen können jedoch nicht über den Frust der Maduro-Gegner hinwegtäuschen. Vor der Wahl waren Oppositionspolitiker von der Regierung abgesetzt worden, die Wahlregister wurden manipuliert, unabhängige Beobachter waren nicht zugelassen.
„Angesichts der extrem schwierigen humanitären Situation im Lande ist die Enttäuschung der Bevölkerung gegenüber der politischen Elite in Regierung und Opposition massiv“, sagt Günther Maihold von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Not und Hunger nehmen nicht zuletzt wegen Corona zu. Die meisten Venezolaner sind mit dem täglichen Überlebenskampf beschäftigt – und der Frage, wie sie morgen ihr Brot bezahlen sollen. Zeit und Interesse für Parlamentswahlen haben da nur wenige.
Tansania: Gewalt im Paradies
Das Sansibar-Archipel im Indischen Ozean kennen viele Deutsche als Urlaubsparadies: türkisblaues Meer, weiße Sandstrände, haushohe Kokospalmen. Ende Oktober gingen von der Inselgruppe, die zum ostafrikanischen Tansania gehört, jedoch ganz andere Bilder um die Welt: Männer mit blutenden Wunden auf dem Rücken, gebrochenen Armen und geschwollenen Augen. Sie wurden nach der Präsidentschafts- und Parlamentswahl am 28. Oktober von der Polizei verhaftet und misshandelt, weil sie gegen den alten und neuen Präsidenten John Magufuli protestiert hatten. Auch Tote gab es.
Nach offizieller Darstellung hat der 61-Jährige die Wahl mit 84 Prozent der Stimmen gewonnen. „Es handelt sich um Wahlbetrug in einer Größenordnung, wie es sie in der gesamten tansanischen Geschichte noch nicht gegeben hat“, sagte Oppositionsführer Tundu Lissu, der inzwischen aus dem Land geflohen ist. Auch die EU hat Zweifel an dem Ergebnis. Von Magufulis einst gutem Ruf – er galt als Kämpfer gegen die Korruption ist nicht viel übrig. Für die Bundesregierung ist die Sache heikel. Tansania ist ein enger Partner in der Entwicklungszusammenarbeit und nun auf dem Weg zum „autokratischen Regime“, wie der FDP-Politiker Christoph Hoffmann sagt. Die deutsche Regierung sehe dem untätig zu, kritisiert der Bundestagsabgeordnete. Er fordert Konsequenzen: „Wir können in der Entwicklungszusammenarbeit so nicht weitermachen.“ Über die sozialen Medien gehen indes weiter Bilder des Protests aus Sansibar um die Welt.
Tadschikistan: Wahlen ohne Opposition
In ihm hat Donald Trump offenbar einen ebenbürtigen Gegner gefunden: Emomali Rachmon, seit fast 30 Jahren Präsident von Tadschikistan und kürzlich zum fünften Mal wiedergewählt. Als die beiden Politiker sich im Mai bei einem Gipfel in Saudi-Arabien begegneten, versuchte es der US-Präsident mit seinem berüchtigten Händedruck. Er presste Rachmons Hand fest zusammen, zerrte und rüttelte an dessen Arm. Doch der gab nicht nach, verzog keine Miene. Trumps Dominanzgebaren lief ins Leere. Die beiden Staatschefs – das zeigt nicht nur das kurze Video des Treffens, das im Internet viral ging – haben einiges gemeinsam.
Wie Trump liebt Rachmon die Übertreibung. „Gründer von Frieden und Einigkeit und Anführer der Nation“, lautet sein offizieller Titel. Staatsmedien vergleichen seine Strahlkraft mit der Sonne, Gedichte und Bücher über den 68-Jährigen runden den Personenkult ab.
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So war es auch keine Überraschung, dass Rachmon die Wahl am 11. Oktober mit 91 Prozent der Stimmen gewann. Eine echte Opposition gibt es nicht im Land, unabhängige Zeitungen schon gar nicht. Kritiker des Diktators landen schnell im Gefängnis. „Die Wahlen in Tadschikistan dieses Jahr haben ein Minimum an demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen vermissen lassen“, sagt Bärbel Kofler (SPD), Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung. „Die freie Meinungsäußerung im Land ist so stark eingeschränkt, dass es keinen nennenswerten politischen Diskurs gibt.“ Daran dürfte sich so schnell auch nichts ändern. 2016 ließ Rachmon die Verfassung umschreiben, um sich das Präsidentenamt auf Lebenszeit zu sichern – so wie es manche Trump-Fans für ihr Idol auch gerne hätten.
Belarus: In den Armen Moskaus
21 Wochen sind seit den Präsidentenwahlen in Belarus vergangen. Seither gehen die Menschen in der Hauptstadt Minsk jeden Sonntag auf die Straße, um den vor einem Vierteljahrhundert in halbwegs freien Wahlen an die Macht gekommenen Alexander Lukaschenko zum Rücktritt zu zwingen. So auch am letzten Sonntag des Jahres. Dass die Abstimmung am 9. August weder frei noch fair sein würde, war lange vorher klar.
Aussichtsreiche Gegenkandidaten landeten im Gefängnis oder wurden ins Exil gezwungen. Insgesamt kamen vor der Wahl mehr als 1000 Menschen in Haft. Als alle Voraussetzungen für eine ungestörte Wahlfälschung erfüllt schienen, traten drei mutige Frauen auf den Plan. Voran die Ehefrau eines der Inhaftierten: Swetlana Tichanowskaja. Die Initiative „Golos“ bat die Menschen, ihre Stimmzettel zu fotografieren, um Betrug nachweisen zu können. Lukaschenko bestand dennoch dreist darauf, er habe 80 Prozent der Stimmen erhalten.
Die EU hat Sanktionen gegen Getreue des Diktators verhängt. Doch selbst der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell verspricht sich davon wenig. „Wenn man keine engen wirtschaftlichen Beziehung zu einem Land hat, gibt es wenig Optionen“, sagte Borrell der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Man dürfe nicht überziehen, sonst werde Belarus in die Arme Russlands getrieben, fügte er hinzu. Dort aber ist das Land aber bereits, vertraglich gebunden in einer Union. Der russische Präsident Wladimir Putin hat einen Machtwechsel in Minsk – bislang – nicht zugelassen.