Coronafalle Bus und Bahn?: Wo der Lockdown „nachgeschärft“ werden soll
Busse und Bahnen gelten als Infektionsquellen. Kanzlerin Merkel will die Fahrgastzahl reduzieren. Nicht der einzige Streitpunkt beim nächsten Corona-Gipfel.
Eigentlich ist es ein Blindflug, in dem Kanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten unterwegs sind. Die Auswirkungen der Lockerungen zu Weihnachten, die Silvesterfeiern, all das wird erst so richtig bis Anfang kommender Woche deutlich. Die größte Unbekannte ist zusätzlich die in Großbritannien und Irland aufgetauchte und auch hierzulande festgestellte Virus-Mutante B.1.1.7.
Für Sachsen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) ist aber schon heute so viel klar: „Dieser softe Lockdown mit offenen Schulen, Kindergärten und Einkaufsmöglichkeiten bringt nichts“.
In Sachsen sterben viel mehr Menschen als sonst, teilt das Statistische Bundesamt mit. In der dritten Dezemberwoche hat sich die Zahl - bezogen auf den Durchschnitt der Vorjahre - mehr als verdoppelt. Aus Sachsen kommen auch die traurigsten Bilder dieser zweiten Welle: Sich stapelnde Holzsärge in Krematorien - mit Kreide ist "Corona" oder "Covid-19" draufgeschrieben.
So wiederholt sich nun das sich seit Mitte Oktober anhaltende Ritual: Merkel warnt intern mit drastischen Worten und Verschärfungsideen dringen aus CDU-Kreisen nach draußen, um Druck auf die Ministerpräsidenten aufzubauen.
Merkel betont mit Blick auf den Fall Irland: „Die Situation hat sich verändert“. Deshalb schaltet sie sich schon am Dienstag, nicht erst am 25. Januar wieder mit den Regierungschefs der 16 Länder zusammen. Dann wird es auch um die heikle Frage gehen, ob Schulen und Kitas auch im Februar erstmal weitgehend geschlossen bleiben.
Und es gibt eine Reihe weiterer neuer Ideen, auch wenn der Spielraum sehr eng ist, soll die Wirtschaft nicht zusammenbrechen. Eine davon - eine von Merkel im CDU-Präsidium klar dementierte Meldung der „Bild“ - ließ besonders aufhorchen: Die mögliche Einstellung des Bus- und Bahnverkehrs.
Ein Überblick, was auf Deutschland zukommen könnte:
Busse und Bahnen: Es geht um weniger Kontakte im öffentlichen Nahverkehr, sagt Regierungssprecher Steffen Seibert. „Was es nicht heißt, ist: den Öffentlichen Nahverkehr einzustellen.“ In Länderkreisen wird eine komplette Einstellung als absurd bezeichnet, zumal das gerade sozial Schwächere treffen würde.
Aber alle Bewegungsprofile zeigen: Die Menschen sind mehr unterwegs als beim ersten Lockdown im Frühjahr.
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In Hamburg ist das Fahrgastaufkommen im ÖPNV um rund 50 Prozent zurückgegangen. Im Frühjahr 2020 wurden aber rund 70 Prozent weniger Fahrten als im Vorjahr festgestellt. In Berlin sind die Zahlen ähnlich, es sind laut BVG immer noch halb so viele Leute wie vor der Pandemie unterwegs. „Im Gegensatz zu anderen Bundesländern wurde das Leistungsangebot im HVV während des Lockdowns nahezu vollständig aufrechterhalten und teilweise sogar verstärkt, um mehr Abstand zwischen unseren Fahrgästen gewährleisten zu können“, betont der Hamburger Verkehrsverbund.
Mehr Züge und Busse sind eine Option, um die Kontakte zu reduzieren. Auch im besonders schwer betroffenen Sachsen gibt es noch eine Auslastung von durchschnittlich 40 Prozent. Das von Virologen ausgegebene Ziel ist eine Auslastung von 25 Prozent. Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hatte in einer der letzten Schalten vergeblich mehr Geld vom Bund gefordert, um etwa mit mehr Bussen auch den Schulverkehr zu entzerren. Diskutiert werden auch zusätzliche Personenobergrenzen für Busse und Bahnen.
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Kontakte und Schutz: Es wird erneut über weitere Einschränkungen der Kontakte, gerade auch im privaten Bereich diskutiert. Für Ausgangssperren gibt es aber bisher keine Mehrheit. Doch die Regierenden umtreibt, dass viele Appelle verhallen. Doch eine Verordnung oder ein Gesetz für eine Home-Office-Pflicht, da wo es geht, stößt in Länderkreisen auf Widerstand. Das würde Wochen in der Umsetzung dauern, Zeit, die es in dieser schwierigsten (Mutations)-Phase der Pandemie nicht gibt.
Da der Bäcker, die Pflegerin, der Polizist oder der Rentner, der zum Arzt muss, nicht auf Busse oder Bahnen verzichten können, kommt das bayerische Modell einer FFP2-Maskenpflicht im ÖPNV und Geschäften auf den Verhandlungstisch, um Ansteckungsrisiken zu mindern.
Was sich bereits abzeichnet: Gastronomie, Freizeit- und Kultureinrichtungen, womöglich auch der Handel, bleiben bis Ostern zu.
Schulen und Kitas: Hier deutet wenig auf Öffnungen nach dem 31. Januar hin – in einzelnen Bundesländern wie Mecklenburg-Vorpommern gibt es Unterricht für Abschlussklassen, aber die Regel ist der Distanzunterricht. Im Februar wird es vor allem von regionalen Ausbruchgeschehen abhängen, wo Schulen und Kitas wieder schrittweise geöffnet werden können.
Durch die Virus-Mutation könnte es aber auch hier sogar noch einmal zu Verschärfungen kommen. „Kindergärten komplett runterfahren, Schulen abschließen“, schlug Sachsens Ministerpräsident Kretschmer in der ZDF-Sendung „Maybrit Illner“ vor. Um überhaupt wieder über Öffnungen nachzudenken, fordern Experten flächendeckende Schnelltests.
„Die Theorie, dass Kinder und Schulen keine große Rolle spielen, ist in der Wissenschaft inzwischen weitgehend ad acta gelegt" hat die Virologin Isabella Eckerle zuletzt betont. Hinzu kommt, dass Analysen zeigen, dass sich die um bis zu 40 Prozent ansteckenderen Virus-Mutationen besonders stark unter Kindern verbreiten könnten.
Grenzschließungen und Betriebe: Die Grenzen sollen nach dem bisherigen Stand offen bleiben - es ist der große Unterschied zum Frühjahrs-Lockdown. Dadurch brachen Lieferketten zusammen, Betriebe mussten schließen, die Wirtschaft brach stark ein, die Mobilität ging allein schon deshalb stark zurück.
Die Wissenschaftlerin Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut spricht von einem gefährlichen „Ping-Pong-Effekt“, wenn nicht europaweit die Zahlen sinken, weil Covid-Infektionen eingeschleppt und dann wieder woanders eingeschleppt werden. Durch die Mutationen hat sich die Lage hier verschlimmert. Sie warnt immer wieder: "Stoppt nicht zu früh, sonst verspielt Ihr den Erfolg.“
Da Grenzschließungen vermieden werden sollen, bringt etwa der SPD-Politiker Karl Lauterbach Betriebsschließungen ins Spiel. Der Präsident des SPD-Wirtschaftsforums, Michael Frenzel, warnt eindringlich: „Ein Total-Shutdown der Wirtschaft ist absurd und völlig ausgeschlossen. Das wäre eine katastrophale Panikmaßnahme."
Ein Hoffnungsschimmer neben dem Impfstart: Die Zahl der Covid-19-Fälle auf den Intensivstationen sinkt langsam. aktuell sind rund 5050 Intensivbetten mit Covid-19-Patienten belegt, noch 3488 Betten sind frei. Aber es fehlt bei allem hektischen Krisenmanagement - auch aus Sicht von SPD- und CSU-Politikern - mal eine ehrliche Analyse, welche Maßnahmen was gebracht haben und was nicht. Vor allem die Kultusminister werden mit ihrem Schlingerkurs bei dem Umgang mit dem Schulunterricht bei der Fehleranalyse noch viele Fragen beantworten müssen.
Forschungsministerin Anja Karliczek (CDU) solle endlich Untersuchungen über die Wirkung der Maßnahmen anstoßen, sagt die SPD-Fraktionsvize Bärbel Bas dem "Spiegel". "Wir müssen detaillierter wissen, was die Maßnahmen für das Infektionsgeschehen bedeuten und wie sie wirken." Auch er CSU-Abgeordnete Michael Kuffer sagte, eine Überprüfung sei sinnvoll.