zum Hauptinhalt
Vermisst. Der saudische Journalist und Regimekritiker Kaschoggi.
© Jacquelyn Martin, dpa

Fälle Kaschoggi, Kim, Skripal: Wird das Attentat wieder Mittel der politischen Strategie?

Der Regimekritiker Dschemal Kaschoggi ist womöglich vom saudischen Geheimdienst in Istanbul ermordet worden. Ähnliches ist von Russland und Nordkorea bekannt.

Das Verschwinden des Journalisten Dschemal Kaschoggi im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul hat weltweit Entsetzen ausgelöst. Türkische Ermittler gehen offenbar davon aus, dass der regierungskritische Journalist in der diplomatischen Vertretung getötet wurde. Ein Mord an einem Regimegegner im Ausland, begangen im besonders geschützten Bereich – sollte sich diese Theorie bewahrheiten, wäre dies ein besonders drastischer Fall eines politischen Mordes durch Geheimdienste.

Welche ähnlich spektakulären politischen Morde gab es in den vergangenen Jahren?

Im Februar 2017 starb Kim Jong Nam, ein Halbbruder des nordkoreanischen Diktators, in Malaysia nach einer Attacke mit Nervengift. Zuvor hatten die nordkoreanischen Herrscher Widersacher im eigenen Land hinrichten lassen. Doch der Zugriff dieses Opfer war schwieriger: es lebte in China, wo der nordkoreanische Herrscher keinen Anschlag wagte.

Ein Mordversuch hat in den vergangenen Monaten Schlagzeilen gemacht: der Anschlag auf den früheren russischen Spion Sergej Skripal und seine Tochter im britischen Salisbury im März. Zwei Männer, die mittlerweile als hochdekorierte Offiziere des russischen Militärgeheimdienstes GRU identifiziert worden sind, sollen das Nervengift Nowitschok für das Attentat verwendet haben. Der Kampfstoff wurde auf der Türklinke von Skripals Haus nachgewiesen. Die beiden Opfer überlebten.

Allerdings starb später eine völlig unbeteiligte Britin, nachdem sie mit einer Parfumflasche in Kontakt gekommen war, in der das Gift offenbar transportiert worden war. Britische Ermittler veröffentlichten Videoaufnahmen, mit deren Hilfe sich der Weg der beiden Attentäter sehr genau nachzeichnen lässt.

Warum sind Geheimdiensteinsätze heute anscheinend so leicht aufzudecken?

Dem russischen Militärgeheimdienst ging es bei dieser Tat offenbar in erster Linie nicht darum, später nicht als Urheber entdeckt zu werden. Dafür spricht die spektakuläre Wahl der Tatwaffe: Der Einsatz von Nowitschok, einem offenbar in Russlands militärischen Laboren entwickelten chemischen Kampfstoff, sollte eine eindeutige Botschaft senden – an vermeintliche „Verräter“, also mögliche russische Überläufer, und an die Weltöffentlichkeit.

Der Fall Skripal weist dadurch deutliche Parallelen zum Mord an einem weiteren früheren russischen Geheimdienstler auf: Alexander Litwinenko wurde im Jahr 2006 ebenfalls in Großbritannien ermordet. Er hatte bei einem Treffen mit zwei Russen eine Tasse Tee getrunken, dem radioaktives Polonium beigefügt worden war. Auch in diesem Fall gelang es den britischen Ermittlern, die beiden mutmaßlichen Täter zu identifizieren.

Eine offizielle gerichtliche Untersuchung kam fast zehn Jahre später zu dem Ergebnis, dass der russische Präsident Wladimir Putin den Mord wahrscheinlich „gebilligt“ habe. Doch politisch blieb die Erkenntnis folgenlos, die damalige britische Regierung verzichtete auf eine deutliche Reaktion. Das könnte am Ende auch die Entscheidung in Moskau beeinflusst haben, in ähnlich dramatischer Form ein Attentat auf Skripal anzuordnen.

Welche Rolle spielen Plattformen wie die britische Gruppe Bellingcat?

Nicht nur bei der Identifizierung der mutmaßlichen Skripal-Attentäter und nicht nur in Richtung Russland spielte Bellingcat eine Schlüsselrolle. Auf der Website finden sich Untersuchungen zu Syrien, den Vertreibungen von Rohingya in Myanmar, verbrannte Dörfer in Nigeria, Militäranlagen in den Vereinigten Arabischen Emiraten, saudische Kampfeinsätze im Jemen und einiges mehr.

Und dennoch fühlt sich Russland besonders angegriffen. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, ist überzeugt: „Bellingcat und ähnliche Strukturen sind keine Medien, sondern ein Kanal für Geheimdienste, um Informationen aus unklaren Quellen und von zweifelhafter Glaubwürdigkeit zu veröffentlichen.“

Besteht der Verdacht zu Recht?

Der Vorwurf unklarer Quellen geht fehl. Zur Vorgehensweise von Bellingcat und anderen – und im klaren Unterschied zu den Geheimdiensten – gehört es gerade, den Rechercheweg detailliert offenzulegen. Ebenso unüblich für Geheimedienste ist es, eine Art „Gebrauchsanweisung“, ein Toolkit, für die Auswertung von Quellen ins Internet zu stellen und für jedermann zugängliche Seminare anzubieten. Ebenso beruhen die Veröffentlichungen auf ausschließlich offenen Quellen. Diese lassen sich natürlich in Zweifel ziehen, aber sie sind benannt. Tatsächlich sind, Quellen, Indizien und Schlussfolgerungen von Bellingcat in manchen Fällen womöglich nicht das, was man „gerichtsfest“ nennt. Aber das ist nicht erwiesen, denn vor Gericht wurden sie noch nicht verhandelt.

Beispielsweise im Falle des Abschusses der malaysischen Passagiermaschine MH17 über der Ostukraine kommen jedoch Bellingcat und das von niederländischen Ermittlern geführte offizielle Gemeinsame Internationale Untersuchungsteam JIT zu den gleichen Ergebnissen. Beide halten es für erwiesen, dass die Spur nach Moskau führt – was dort bestritten wird. Fest steht: Die Dossiers der investigativen Gruppen enthalten in den meisten Fällen Material von der Sorte, die Geheimdienste und Regierungen unter einen Rechtfertigungsdruck setzen, den sie voher nicht kannten.

Zur Startseite