Literatur und Realität: Die Renaissance des politischen Mordes
Ob bei Le Carrè, Forsyth oder Fleming: Der politische Mord ist ein wichtiges Motiv in den Agententhrillern - und in der Realität.
Kenner sprechen gerade von einer Renaissance des politischen Mordes. Wobei der Begriff Renaissance seine zweifache Berechtigung hat. Denn die Kunst und das Geschäft der Beseitigung politischer Widersacher wurde gerade von den Medici in Florenz oder den Visconti in Mailand schon vor einem halben Jahrtausend zur Blüte des Bösen gebracht. Statt wie Brutus den Caesar noch im antiken Rom auf offener Bühne zu erdolchen, meuchelten Italiens Renaissance-Fürsten ihre Gegner oft im Verborgenen. Sie hatten Agenten, benutzten neben Dolchen gern seltene Gifte, und die ersten Geheimdienste gab’s auch schon. Die Moderne nahm so ihren Anfang, nicht allein in den Künsten und Wissenschaften.
Der Begriff des klassischen Attentats ist dagegen eher in die Sphäre des Terroristischen verbannt. Und soweit es eine Skala des Schreckens gibt, wirken Terroranschläge mit vielen Toten an öffentlichen Orten erschütternder als mysteriöse Attacken auf Einzelne. Dennoch haben genau sie auch ihre besondere Faszination. Bei ihnen schießen einem sogleich die legendären Agententhriller durch den Kopf. Also Namen, Titel, Figuren wie John le Carrés „Spion, der aus der Kälte kam“ oder John Forsyths „Schakal“.
John le Carré hatte vor seiner Schriftstellerkarriere selbst beim englischen Inlandsgeheimdienst MI5 und danach beim Secret Intelligence Service, dem für die Auslandsspionage zuständigen MI6 gearbeitet. Auch Frederick Forsyth war einst beim nämlichen Dienst, und beide Autoren schöpften ihre Fantasie nicht zuletzt aus erlebter Realität. Gleiches galt für den ehemaligen Geheimdienstoffizier Ian Fleming, der seinen Helden James Bond, den wohl berühmtesten Agenten aller Zeiten, wiederum beim britischen Auslandsgeheimdienst MI6 angedockt hat. Die Zentrale des MI6 übrigens logiert von außen gar nicht geheim, sondern sehr prominent in London in einem trutzigen, postmodernen Stein- und Glaspalast direkt an der Themse. Mit Blick hinüber nach Westminster, zur politischen Mitte des Vereinigten Königreichs.
Flemings großer Durchbruch beim Publikum gelang 1957 mit dem fünften Bond-Roman „From Russia with Love“, den „Liebesgrüßen aus Moskau“ – Grüßen allemal aus dem Kalten Krieg. John F. Kennedy soll den Roman als eines seiner Lieblingsbücher bezeichnet haben. Auch er selbst wenige Jahre später ein politisches Mordopfer.
Die Doppelnull wies James Bond als Einserschüler aus: Im Killerbusiness
Um Kennedys Tod oder die nie recht aufgeklärte Ermordung von Schwedens Premier Olof Palme, auch um das Ende des früheren schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Uwe Barschel in einer Genfer Hotelbadewanne ranken sich noch immer diverse Verschwörungstheorien. In ihnen spielen Geheimdienste oder Mafia-Fantasien mit eine Rolle. Doch sind das aus ganz unterschiedlichen Gründen alles keine Fälle für einschlägige Agententhriller.
Anders als etwa die Morde und Mordversuche zuletzt in England (Litwinenko, Skripal). Oder als jetzt das Verschwinden des Journalisten Jamal Kaschoggi nach seinem Besuch im saudi-arabischen Konsulat von Istanbul. Die Videoaufnahmen, die ein kurzfristig eingeflogenes mögliches Killer- oder Entführungskommando zeigen und einen gruselig verdächtigen schwarzen Van mit verdunkelten Scheiben unmittelbar vor dem saudischen Konsulat – sie gleichen tatsächlich Szenen aus einem Kinothriller.
Im ersten Reflex möchte man James Bond heute am liebsten mal wieder nach Moskau schicken. Oder nach Istanbul und Riad. Aber: einen ganz echten 007?
Die Bond’sche Doppelnull wies Flemings Figur bekanntlich als Einserschüler aus: im Killerbusiness. Nach realen Vorbildern sollte die Nullnull die staatlich verbriefte „Lizenz zum Töten“ bekunden. Für Bond oft eine Aufforderung.
Das Unheimliche bei den jüngsten Fällen ist eben, dass diese Lizenz bei Geheimdiensten nach allen Indizien wohl immer selbstverständlicher wieder zum offiziellen Mordbefehl wird. Die amerikanische CIA kannte von jeher schon das tödliche „targeting“, und aus ähnlich zielgerichteten Aktionen machte auch der israelische Mossad, trotz häufiger konkreter Dementis, nie einen wirklichen Hehl.
Es geht nicht nur um die Nachfolger Stalins, der seinen Rivalen Trotzki von einem Agenten in Mexiko noch mit dem Eispickel erschlagen ließ. Denn immer tückischer erscheinen die eingesetzten Mittel. Doch auch das hat seine Tradition. Vor 40 Jahren ließ Bulgariens kommunistischer Diktator Schiwkow den Dissidenten Georgi Markow auf der Londoner Waterloo Bridge kaum merklich und wie aus Versehen mit einem Regenschirm ins Bein stechen. Die Schirmspitze trug ein tödliches Gift.Peter von Becker
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