Neues Grundsatzprogramm der Grünen: „Wir wollen nicht in einer Öko-Ecke verkümmern"
Die Grünen wollen bis 2020 ein neues Grundsatzprogramm erarbeiten. Die Zeit sei reif „für eine neue Entschlusskraft“ und die „vierte Phase“ der Partei.
Es soll eine neue Geschichte werden, die Annalena Baerbock und Robert Habeck erzählen wollen. Knapp 40 Jahre nach Gründung der Grünen starte die Partei gerade „in eine neue Phase“, stellen die beiden Vorsitzenden fest. Zeit für ein neues Grundsatzprogramm, das bis 2020 erarbeitet werden soll. Es gehe nicht um „grüne Selbstvergewisserung“, schreiben die Grünen-Chefs in einem Impulspapier: „Uns geht es um eine Rückbesinnung auf das Politische.“
Das letzte Grundsatzprogramm ist 16 Jahre alt, damals regierten die Grünen im Bund noch mit der SPD. Nach der Protestpartei in den 80er Jahren waren sie zur „rot-grünen Projektpartei“ geworden. Selbstkritisch blicken Baerbock und Habeck auf die vergangenen Jahre zurück, in denen die Partei im Bund in der Opposition war, während sie in den Ländern in ganz unterschiedlichen Bündnissen mitregierte. „Eine Zeit wie ein Spagat“, stellt das Duo fest. Doch nun sei die Zeit reif „für eine neue Entschlusskraft“ und die „vierte Phase“ der Grünen.
Baerbock und Habeck haben eigens Abteilung gegründet
Am Wochenende soll die Debatte über das neue Programm mit einem Konvent beginnen. Am Anfang sollen Fragen stehen, im Frühjahr 2020 dann das fertige Programm. In der Parteizentrale haben die Chefs dafür eine eigene Abteilung „Programm und Analyse“ eingerichtet. „Unser Vorsatz ist, nicht über die Grünen nachzudenken, sondern über die relevanten Probleme“, sagt Habeck.
An den Grundwerten aus dem Programm von 2002 will die Grünen-Spitze festhalten: Ökologie, Selbstbestimmung, Gerechtigkeit und Demokratie, Gewaltfreiheit und Menschenrechte. Ebenso an dem ersten Satz, der damals lautete: „Im Mittelpunkt unserer Politik steht der Mensch mit seiner Würde und seiner Freiheit.“ Doch in einer Zeit der Umbrüche würden die alten Muster oftmals nicht mehr greifen, stellen Baerbock und Habeck fest. Ihrer Partei wollen sie deshalb auch unbequeme Debatten zumuten.
In einem ersten Anlauf haben die Parteichefs sechs Themenbereiche festgelegt, über die sie reden wollen. An erster Stelle steht die ökologische Frage, die sich inzwischen „sehr viel radikaler“ stelle als noch 2002. Nach Ansicht von Habeck wird es nicht mehr funktionieren, die Grünen nur als „Öko-App“ zu begreifen. Das ökologische Denken müsse alle Lebensbereiche erfassen, dadurch werde es zum sozialen Denken: „Wir wollen nicht in einer Öko-Ecke verkümmern, sondern diese größer machen“, sagt er.
In ihrem Papier schlagen Baerbock und Habeck auch systemkritische Töne an. „Die inzwischen vorherrschende Art des Kapitalismus im Zeitalter der Digitalisierung ist in vielen Bereichen wieder eine primitive und ungezügelte, ähnlich der frühen Phase der Industrialisierung“, schreiben sie.
Grünen-Spitze sieht in Digitalisierung auch Chancen
Wenn alte Berufe und Arbeitsbedingungen verschwinden, brauche es „das Versprechen, dass man nicht bodenlos fällt“, etwa in Form von neuen Garantiesystemen. Notwendig seien aber auch verbindliche Regeln für weltweit operierende Unternehmen. Die Macht von Unternehmen wie Facebook wollen sie durch eine gesetzliche Grenze von Datenbesitz und ein Verknüpfungsverbot persönlicher Daten begrenzen. Doch in der Digitalisierung sehen die Grünen auch die Chance, den Energieverbrauch so dramatisch zu senken, dass die Energiewende erfolgreich sein könne.
Über den Umgang mit neuen Technologien wollen Baerbock und Habeck noch einmal grundsätzlich sprechen. So fordern sie ihre Partei unter anderem auf, die bisher ablehnende Position zum Einsatz der Gentechnik in der Landwirtschaft zu überprüfen. Die Grünen sollten hinterfragen, ob neue Technologien nicht auch helfen könnten, die Versorgung mit Nahrungsmitteln auch dort zu garantieren, wo Klimawandel für immer weniger Regen oder für versalzenen Boden sorge. Ethische Fragen seien zwar immer „heikel“, aber genau deswegen müsse man eine offene und faire Debatte führen.
„Wir haben gelernt, dass Freiheit ohne Sicherheit nicht funktioniert“
Im letzten Bereich sprechen die Grünen-Chefs die Gesellschaft an. „Wir haben gelernt, dass Freiheit ohne Sicherheit nicht funktioniert“, postulieren sie. Baerbock und Habeck werfen die Frage auf, wie die Grünen die Zahl derer minimieren könnten, die sich nicht gehört fühlen. Dazu brauche es „ein Halt bietendes neues gemeinsames Wir“.