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Manuela Schwesig ist seit Juli die erste weibliche Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern.
© Mike Wolff

SPD-Vize Manuela Schwesig: "Wir wollen keine Jammer-Ossis sein"

Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig über eine neue Generation in Ostdeutschland, die SPD-Niederlage und Frauen in der Politik. Ein Interview.

Sie war vier Jahren Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und wurde im Juli erste weibliche Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern. Außerdem hat die 43-Jährige seit 2009 das Amt der Vizechefin der Bundes-SPD inne - als einzige Ostdeutsche in dieser Funktion. Manuela Schwesig, geboren in Brandenburg, wird von manchen in ihrer Partei schon als künftige SPD-Chefin gesehen.

Frau Schwesig, ist die SPD noch im Wahlkampf?

Nein. Der ist vorbei. Die SPD stellt sich neu auf. Wir müssen jetzt eine schwere Wahlniederlage aufarbeiten. Nach der verlorenen Bundestagswahl 2013 haben wir uns leider nicht die Zeit genommen, das Ergebnis gründlich zu analysieren. Erst gab es die schwierigen Verhandlungen mit der Union. Dann kam der Mitgliederentscheid. Und dann waren wir schon mitten drin in der Regierungsarbeit. Dieses Mal müssen wir uns die Zeit dafür nehmen und unsere Niederlage gründlich, schonungslos und selbstkritisch aufarbeiten.

Martin Schulz hat nach der Wahl die Kanzlerin hart attackiert, sie für den Wahlerfolg der AfD verantwortlich gemacht. War der Wahlkampf nicht aggressiv genug?

Meine Analyse ist komplexer: Wir haben zum wiederholten Male einen Kanzlerkandidaten sehr spät nominiert. Das ist offenbar ein Fehler, denn dann hat der Kandidat nicht genug Zeit, mit seinen Ideen durchzudringen. Zudem kamen im Wahlkampf die Alltagsprobleme der Menschen, für die wir als SPD gute Lösungen haben, viel zu kurz.

Andrea Nahles hat gerade in Richtung des politischen Gegners gesagt: „Ab morgen gibt’s auf die Fresse.“ Ist das der neue Stil, um sich Gehör zu verschaffen?

Andrea Nahles hat alles dazu gesagt. Es ist wichtig, sich in der Sache auseinanderzusetzen und klare Alternativen aufzuzeigen. Das werden wir als kraftvolle Opposition tun.

Ist so eine drastische Wortwahl nötig, um gegen AfD-Funktionäre wie Gauland oder Höcke bestehen zu können?

Die Auseinandersetzung mit der AfD ist nicht leicht. Diese Partei ist in Teilen rechtsextrem. Das muss man aufdecken und klare Kante zeigen, aber gleichzeitig die Wähler der AfD und ihre Sorgen ernst nehmen.

Was werden Sie als Ministerpräsidentin konkret tun?

Den Leuten zuhören. Gerade in Gegenden, wo die Menschen das Gefühl haben, sie seien abgehängt, wie in Vorpommern. Wichtig ist, dass wir den Leuten nicht immer gleich mit Statistiken kommen, in denen alles besser ist, sondern ihre Gefühle verstehen. Gerade in Ostdeutschland spielt das Thema Anerkennung der Lebensleistung eine sehr große Rolle. Wir brauchen deshalb mehr Frauen und Männer in den Führungsetagen von Politik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft, die den Osten verstehen. In den ostdeutschen Ländern übernimmt jetzt eine neue Generation Verantwortung. Wir wollen keine Jammer-Ossis sein, sondern mit einem selbstbewussten, optimistischen Blick auf die Zukunft schauen. Das ist ein guter Mix, den meine Generation mitbringt.

Wir feiern nächste Woche den Tag der Einheit. Gibt es mittlerweile zu viele Menschen, die sagen: Das ist nicht mehr mein Land?

Die gibt es in Ost und West. Einige haben den Eindruck: Ich komme mit meiner Meinung doch da gar nicht vor. Die Demokratie ist die beste Staatsform, um die Menschen zu beteiligen. Aber …

Sie wollen die Demokratie ändern?

Nein. Besser umsetzen. Wir haben eine parlamentarische Demokratie, und das ist gut und soll auch so bleiben, aber wir brauchen mehr direkte Beteiligungsmöglichkeiten. Die Bürgerinnen und Bürger sollten häufiger und früher in Entscheidungen einbezogen werden.

Was fordern Sie?

Wir brauchen auch auf Bundesebene die Möglichkeit zu Volksentscheiden. Die Bürgerinnen und Bürger sollten nicht nur zu Wahlen, sondern auch dazwischen befragt werden. In Mecklenburg-Vorpommern wollen wir das künftig machen und stärker auf Bürgerbeteiligung setzen. Zum Beispiel wollen wir in einer Volksbefragung darüber abstimmen lassen, ob wir das Wahlalter auf 16 absenken.

Braucht es eine strategische Allianz mit der Linken vor allem in Ostdeutschland, weil die SPD dort keine Volkspartei mehr ist?

Der Ball liegt jetzt bei der Union, der FDP und den Grünen. Sie stehen jetzt vor der Aufgabe, eine stabile Regierung zu bilden. Und es wird Aufgabe der SPD sein, eine lebendige Opposition zu sein und klare Alternativen aufzuzeigen. Gemeinsam müssen sich alle Parteien Gedanken machen, wie man damit umgeht, dass die AfD in Ostdeutschland, aber auch in Bayern und Baden-Württemberg so starke Ergebnisse erzielt hat.

Manche finden es verantwortungslos, dass die SPD sofort in die Opposition gegangen ist und sich Gesprächen über eine Koalition verweigert hat.

Die SPD hat ihr schlechtestes Wahlergebnis eingefahren. Wir sind 2013 mit 25 Prozent in die große Koalition rein- und mit 20 Prozent wieder rausgegangen. Die große Koalition ist von den Wählerinnen und Wählern abgewählt worden. Das muss man respektieren und mit diesem Schritt zeigen wir, dass wir das Wählervotum ernst nehmen. Und man trägt auch Verantwortung in der Opposition – besonders jetzt, wo der Deutsche Bundestag mit einer starken AfD besetzt ist.

Muss sich die SPD neu definieren?

Nein. Unsere Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität sind nach wie vor aktuell. Wir haben auf viele Probleme gute Antworten. Aber offenbar vertrauen uns die Leute zu wenig.

Warum ist das so?

Uns ist es nicht gelungen, uns von anderen abzuheben. Die SPD ist in vielen Ländern in Regierungsverantwortung. Wir haben jetzt über die Bundesländer die Aufgabe, den Menschen zu zeigen, dass sich etwas bewegt, wo wir regieren. Die SPD-geführten Länder werden eine stärkere Rolle spielen.

Wie erklärt man den Wählern, dass derjenige, der das historisch schlechteste Wahlergebnis für die SPD eingefahren hat, nun weiterhin als Parteichef beklatscht wird?

Martin Schulz hat in einer ganz schwierigen Situation den Parteivorsitz und die Kanzlerkandidatur übernommen. Es stand nicht wirklich jemand anderes Schlange, diese Aufgabe zu übernehmen. Er hat die Partei zusammengeführt. Er hat diesen Wahlkampf gemacht. Er hatte die Last zu tragen von drei verlorenen Landtagswahlen. Und deshalb wäre es auch für die SPD zu einfach zu sagen: Er trägt Schuld und jetzt ist alles wieder gut.

Einige sagen das ja. Ist SPD-Urgestein Klaus von Dohnanyi nur ein alter weißer Mann oder spricht er mit seiner Rücktrittsforderung das aus, was viele denken?

Er spricht nicht für die Parteibasis. Es hilft in einem solchen Moment nichts, wenn Entscheidungen der Partei immer wieder durch Bemerkungen von der Seitenlinie begleitet werden.

Was wäre, wenn die SPD in Niedersachsen wieder eine Niederlage einfahren sollte. Kann Schulz sich dann als Parteichef noch halten?

Ich bin zuversichtlich, dass wir bei der Wahl erfolgreich sein werden. Stephan Weil ist ein anerkannter Ministerpräsident. Und die Umfragewerte steigen.

Manche in der SPD sehen Sie als künftige Parteichefin.

Ich bin als Ministerpräsidentin seit einigen Wochen frisch im Amt und stellvertretende Parteivorsitzende. In dieser Kombination kann ich starken Einfluss auf die weitere Entwicklung der Partei nehmen und bin sehr gut ausgelastet.

Das schönste Amt nach Papst, wie Franz Müntefering sagte, interessiert Sie nicht?

Der Parteivorsitzende ist Martin Schulz, und das soll auch so bleiben.

Trauen Sie sich nicht zu, die SPD zu retten?

Darum geht es nicht. Wir haben uns am Wahlabend klar hinter Martin Schulz versammelt, so dass sich diese Frage nicht stellt.

Es ist kein Geheimnis, dass Politik oft noch immer ein Männergeschäft ist – der Frauenanteil im Bundestag ist mit der Wahl auf 30 Prozent gesunken. In welchen Situationen finden Sie es schwierig, sich als Frau durchzusetzen?

Ich finde es enttäuschend, dass der neue Bundestag weniger Frauen hat als vorher. Frauen müssen sich in der Politik immer besonders beweisen. Sie stehen stärker unter Beobachtung: Wie sehen sie aus, was haben sie an, was sagen sie? Das findet bei Männern nicht statt. Ein Klassiker ist, dass eher die Frauen gefragt werden, wie sie Politik und Familie vereinbaren, aber die vielen Männer, die ebenfalls Kinder haben, nicht. Es gibt immer noch viele Vorbehalte gegen Frauen in Spitzenpositionen, da hat sich auch in der Politik nicht viel geändert. Am Ende muss man sich auch ein dickes Fell zulegen.

In welcher Situation haben Sie konkret gemerkt: Ich wäre anders behandelt worden, wenn ich ein Mann wäre?

Ein Klassiker ist, wenn Politikerinnen sich in der Sache streiten. Dann heißt es gleich: Zickenkrieg. Das würde bei Männern niemand sagen.

Verletzt es Sie, dass Sie „Küstenbarbie“ genannt werden?

Nein, das ist vorbei. Ich sage mir: Man sieht sich immer zweimal im Leben. Diejenigen, die in der Vergangenheit solche Sprüche gemacht haben, haben gesehen, dass sie falsch lagen.

Sie wurden hart kritisiert, weil Sie Ihren Sohn auf eine Privatschule schicken. Wäre das bei einem Mann Thema gewesen?

Eher nicht.

Würden Sie die Entscheidung wieder so treffen?

Ja. Die Entscheidung ist missverständlich dargestellt worden. Es handelt sich hier nicht um irgendein Elitegymnasium, sondern um eine Schule, die in freier Trägerschaft ist, die öffentlich finanziert wird und die zur Schulnetzplanung der Stadt Schwerin und auch zum Bildungssystem von Mecklenburg-Vorpommern gehört.

Sie haben schon nach der Wahl 2013 gefordert, die SPD müsse weiblicher und jünger werden. Warum eigentlich?
Die SPD steht sehr stark für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern,und muss das auch selbst widerspiegeln. Deshalb ist es wichtig, dass Frauen in Schlüsselpositionen kommen wie jetzt Andrea Nahles als Fraktionsvorsitzende.

Ist Ihre Forderung damit erfüllt?

Es gibt keine Zielzahl, die wir uns in dieser Frage gesetzt haben. Es ist aber ein starkes Zeichen, dass so eine wichtige Schlüsselposition von einer Frau bekleidet wird. Damit hat die SPD den Generationswechsel eingeleitet.

Ist es also egal, ob der Generalsekretär männlich oder weiblich ist?

Ich finde nicht, dass sich an einer Position allein die Frauenfrage in der SPD entscheidet.

Gibt es denn Frauen in der SPD, die Sie in höheren Positionen sehen würden?

Ich würde mich freuen, wenn Malu Dreyer zukünftig eine noch stärkere Rolle in der Parteiführung spielt. Sie ist eine erfolgreiche Ministerpräsidentin und bei den Bürgerinnen und Bürgern sehr beliebt.

Kann man eigentlich noch etwas von Martin Schulz lernen?

Ich fand sehr beeindruckend, wie er in diesem Wahlkampf trotz der schwierigen Umfragen bis zur letzten Minute gekämpft hat und wie er mit seiner Leidenschaft für Europa viele junge Menschen erreicht hat. Das darf man nicht geringschätzen.

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