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Neuer Innenexperte für SPD-Fraktion. Sebastian Fiedler, bislang Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, zieht in den Bundestag ein und wirbt für mehr Kinderschutz.
© imago images/Jürgen Heinrich
Exklusiv

Interview mit SPD-Innenexperte Sebastian Fiedler: „Wir wollen ein echtes europäisches FBI gegen Schwerkriminalität“

Sebastian Fiedler, neuer Innenexperte in der SPD-Fraktion, fordert intensive „Kriminalpolitik“ - und für die SPD den Posten des Bundesinnenministers

Sebastian Fiedler (48) ist seit 2018 Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Am Sonntag hat Fiedler für die SPD im Wahlkreis Mülheim - Essen I das Direktmandat geholt. Im Bundestag wird er sich vor allem mit Themen der Inneren Sicherheit befassen.

Herr Fiedler, Sie wechseln nun vom Vorsitz beim Bund Deutscher Kriminalbeamter zum Bundestag. Welches Thema bei der Inneren Sicherheit hat für Sie als Abgeordneter absoluten Vorrang?
Kinderschutz. Was kann es Wichtigeres geben? Wir brauchen zwingend eine „Enquete-Kommission Kinderschutz“, die sich mit der Dimension von Kindesmissbrauch befasst. Und wir müssen das Amt der oder des Missbrauchsbeauftragten gesetzlich verankern. Die Kommission brauchen wir, weil es noch immer ungelöste Zielkonflikte gibt, zum Beispiel zwischen Daten- und Kinderschutz. Die müssen unideologisch auf den Tisch gebracht und entschieden werden.

Für mich gilt bei solchen Abwägungen die Richtschnur: Im Zweifel für die Opfer. Mit der gesetzlichen Verankerung des Missbrauchsbeauftragten-Amtes müssen die Aufgaben und Befugnisse geregelt werden. Ein jährlicher Bericht zum Kinderschutz erzwingt im Deutschen Bundestag eine kontinuierliche Debatte über das Thema, ohne dass es erst zu dramatischen Fällen wie in Lügde, Münster oder Bergisch Gladbach kommen muss.

Überhaupt ist mein Ansatz: Weg von einer reaktiven und hin zu einer gestalteten, nach vorn gerichteten Kriminalpolitik. Und wenn ich ein zweites Thema nennen darf, das auch mit den nachfolgenden Generationen verbunden ist, so ist es die Umweltkriminalität. Eines der Kriminalitätsphänomene, das seit Jahren stiefmütterlich behandelt wird und eng verwoben mit Klima- und Artenschutzfragen ist.  

Die Gefahr des Terrors von Islamisten, aber auch Rechtsextremisten, Linksextremisten und radikalisierten Querdenkern nimmt zu. Sind Polizei und Nachrichtendienste gut genug aufgestellt?
Ich wehre mich gegen die Bezeichnung „Querdenker“ für eine Szene, die besser mit „Verschwörungsextremisten“ beschrieben ist. Querdenken ist etwas Positives. Hier handelt es sich um einen neuen, zusätzlichen Extremismus mit eigenem Ideologiekern. Es gibt Überschneidungen zum Rechtsextremismus.

"Kripo am Limit"

Zu Ihrer Frage: die Sicherheitsbehörden haben insbesondere auf Bundesebene in den letzten fünf Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Ich sehe die größten Schwächen derzeit bei manchen Ermittlungsbehörden der Länder. Der Personalbestand und die Qualifikationsmöglichkeiten halten dort nicht ansatzweise den Herausforderungen stand. Ich komme aus Nordrhein-Westfalen und weiß, wovon ich rede. Im Landtag NRW gab es vor nicht allzu langer Zeit eine Anhörung zum Thema „Kripo am Limit“. Die Überschrift hätte kaum besser gewählt werden können. 

Das Bundesamt für Verfassungsschutz wirbt schon seit Jahren darum, mit einer Online-Durchsuchung effektiver die Aktivitäten von Extremisten und Terroristen im Internet durchleuchten zu können. Unterstützen Sie die Forderung?
Fachlich muss man die Forderung unterstützen, weil der Verfassungsschutz für seine Arbeit schlicht und ergreifend auf Erkenntnisse angewiesen ist. Dass gerade solche Befugnisse, verfassungsrechtlich äußerst abgewogen und erteilt und kontrolliert werden müssen, steht außer Frage. 

Die Grünen haben in ihrem Wahlprogramm vorgeschlagen, das Bundesamt für Verfassungsschutz aufzuspalten in eine unabhängige, wissenschaftlich arbeitende Beobachtungsstelle und einen nur noch kleinen Nachrichtendienst. Würde sich die SPD bei Koalitionsverhandlungen darauf einlassen?
Ich sehe für solche Überlegungen noch nicht einmal theoretisch Raum. Wir müssen unsere Nachrichtendienste besser machen und nicht schwächen. Diejenigen, die unmittelbar nachrichtendienstliche Mittel anwenden, sind zugleich auf öffentliche Informationen angewiesen. Wenn diese in einer neuen Behörde erhoben werden, macht das die Welt nicht besser. Wir haben keinen Bedarf an noch einer zusätzlichen Behörde.  

CDU und CSU haben kurz vor der Bundestagswahl in einer „Agenda für ein sicheres Deutschland“ ein europäisches FBI und einen nationalen Sicherheitsrat gefordert. Was halten Sie davon?
Das sind die üblichen Etiketten und Überschriften, mit denen CDU/CSU gern laut hausieren gehen. Schauen wir uns das genauer an. Die Unionsparteien haben eine „Art europäisches FBI“ in ihr Wahlprogramm geschrieben. Unmittelbar danach erklären sie dort wörtlich: „Die operativen polizeilichen Befugnisse verbleiben bei den Mitgliedsstaaten.“ Dann jedoch ist es gerade eben keine Art FBI, das sich ja gerade durch europaweite Ermittlungsbefugnisse auszeichnen würde.

Es ist ein Etikettenschwindel. Die Union will bei EUROPOL nur das Türschild auswechseln. Da waren Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius, Sprecher der SPD-Landesinnenminister, und ich schon vor fünf Jahren weiter. Wir setzen uns seither für eine echtes europäisches FBI mit Ermittlungsbefugnissen bei schwerwiegender internationaler Kriminalität ein. Das können zum Beispiel Cyberermittlungen sein. Ich würde es übrigens EUBI - European Bureau of Investigations - nennen. Es hätte mit dem US-amerikanischen FBI wenig gemein.

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Der von der Union vorgeschlagene nationale Sicherheitsrat soll ebenfalls suggerieren, wir müssten uns von den Amerikanern etwas abgucken. Dabei ist die dortige Sicherheitsarchitektur, gemessen an unseren Maßstäben, ein wahrer Alptraum. Wussten Sie, dass es in den USA über 18 000 einzelne Polizeibehörden gibt? Selbst die Golden-Gate-Bridge in San Francisco und auch einzelne Universitäten haben eigene Polizeibehörden. Wahnsinn. Auch die Organisation der äußeren Sicherheit der Vereinigten Staaten lässt sich schwerlich mit unserer vergleichen. Ich halte es vielmehr für sinnvoll, die 2015 beim Bundesinnenministerium abgeschaffte Schutzkommission mit unabhängigen Wissenschaftlern wiederzubeleben. Das Gremium hatte sich jahrzehntelang mit größeren Problemlagen und Szenarien befasst, von Terrorismus bis Ebola. 

Aber warum ziehen Sie eine Schutzkommission einem nationalen Sicherheitsrat vor?
Weil wir dringend ein wissenschaftlich interdisziplinär besetztes Gremium benötigen, das die Bundesregierung in Fragen der Nationalen Sicherheit und beim Katastrophen- und Bevölkerungsschutz unabhängig berät. Wir hatten so etwas viele Jahrzehnte lang, bis es ausgerechnet der CDU-Innenminister Thomas de Maizière aufgelöst hat.

Für eine "Schutzkommission 2.0"

Wir haben also die Chance, von den Erfahrungen zu profitieren und eine neue Schutzkommission 2.0 einzurichten. Sie sollte nach vorn schauen und für Pandemien, große Schadensereignisse oder außen- und sicherheitspolitische Fragen wie jüngst in Afghanistan Beratungsleistungen erbringen. Die wissenschaftliche Beratung der künftigen Bundesregierung wäre damit erheblich besser organisiert als derzeit.  

Sollte die SPD das Bundesinnenministerium beanspruchen, wenn Olaf Scholz Kanzler wird?  
Auf jeden Fall! Es wird Zeit für eine gesamtgesellschaftliche und vorausschauende Innenpolitik. Meine Erfahrung mit Unionsinnenministern hat mir gezeigt, dass sie im Wortsinne konservativ handeln. Eine solche Politik wäre in Zeiten des Wandels nicht nur paradox, sondern im Zweifel sogar gefährlich. Weil sich die Bundesrepublik präparieren muss für Gefahren der Zukunft.

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