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Es droht noch mehr Geldwäsche. Ermittler befürchten, dass Kriminelle die Not der Wirschaft in der Coronakrise ausnutzen.
© R. Schmiegelt/Imago

Kriminalität in Zeiten der Coronakrise: „Düstere Aussichten für die Ermittler“

Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Sebastian Fiedler, über Probleme der organisierten Kriminalität und deren Chance auf große Gewinne.

Herr Fiedler, wie stark trifft die Coronakrise die Kriminalpolizei in Deutschland?
Wir haben schon vor der Coronakrise darauf aufmerksam gemacht, dass wir insbesondere in den Ländern einen beträchtlichen Personalmangel haben. Wenn wir nun 50 Prozent des Personals ins Home-Office oder größere Gruppen vorsorglich in Quarantäne schicken, trägt das nicht zur Entlastung bei. Auf der anderen Seite schlägt aktuell positiv zu Buche, dass sich die Polizei weniger mit Wohnungseinbrüchen, Straßenkriminalität, Fußballeinsätzen, Demonstrationen oder Verkehrsunfällen befassen muss.

Wird der Job für Ihre Kolleginnen und Kollegen jetzt noch gefährlicher, schon weil Kriminelle mit dem Virus infiziert sein könnten?
Wenn wir es mit Kriminellen zu tun haben, können wir uns in der überwiegenden Anzahl der Fälle hierauf einigermaßen gut vorbereiten und so gut es geht auf vorhandene Schutzausstattung zurückgreifen. Es ist allerdings  bekannt, dass in vielen Bundesländern genau diese Ausstattung ein großes Problem darstellt. Eine weitgehend unterschätzte Gefahr sehe ich vor allem darin, dass viele deutsche Innenminister das Ansteckungsrisiko innerhalb der Polizei nicht ernst genug nehmen. Denken Sie nur daran, dass jeden Tag zwei oder mehr Kolleginnen und Kollegen gemeinsam in einem Fahrzeug sitzen, ohne dass sicher ausgeschlossen werden kann, dass einer im Fahrzeug bereits infiziert ist, womöglich ohne Symptome. Je weiter die Ausbreitung in der Bevölkerung voranschreitet, desto stärker je größer steigt auch dieses Risiko.

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Wie beeinträchtigen Grenzschließungen und Kontaktverbote die Ermittlungen von Kriminalbeamten?
Das macht der Polizei Sorgen. So haben zum Beispiel die abstrusen innerdeutschen Reiseverbote gegen Touristen nach Mecklenburg-Vorpommern bereits konkrete Einsätze im Bereich der Schwerstkriminalität verhindert. Das ist vor allem im Bereich der verdeckten Ermittlungen ein Problem. Solche einschneidenden Maßnahmen wie etwa Grenzkontrollen, Ausgangsbeschränkungen, Kontaktverbote, innerdeutsche Reiseverbote, Betätigungsverbote und Betriebsschließungen haben Auswirkungen auf vielen verschiedenen Ebenen.

Wie weit können Ermittler ihre Tätigkeit ins Homeoffice verlagern?
Das hängt sehr stark vom jeweiligen Tätigkeitsfeld ab. Bund und Länder sind allerdings gerade schwer bemüht, die technischen Voraussetzungen für möglichst viele Mitarbeiterinnen Mitarbeiter zu schaffen, um auf möglichst alle polizeilichen IT-Anwendungen zugreifen zu können. Wir sehen in dieser Zeit, was alles möglich ist, wenn der politische Wille vorhanden ist.

Die Landeskriminalämter und das Bundeskriminalamt sind mit schweren Verbrechen konfrontiert, von Drogenhandel über Menschenschmuggel bis hin zu mörderischer Gewalt. Was verändert sich da gerade? Brechen der organisierten Kriminalität die Geschäfte weg?
Das ist aktuell eine der wichtigsten Fragen. Wenn wir uns einmal die Vielzahl der verschiedenen illegalen Märkte vor Augen führen, so erkennen wir sehr schnell, dass auch die organisierte Kriminalität derzeit Schwierigkeiten im Bereich ihrer Lieferketten hat. Bei der Herstellung illegaler Güter, wie zum Beispiel Rauschgift oder gefälschter Arzneimittel, sind bestimmte Rohstoffe erforderlich, deren Verfügbarkeit derzeit eingeschränkt ist. Gleiches gilt für die Vertriebswege. Hier kommt es aus Sicht der Täter in demselben Ausmaß zu Schwierigkeiten, wie die Wirtschaft und das soziale Leben unserer Gesellschaften heruntergefahren wurden. Szenetypische Treffpunkte wie Lokale oder Spielhallen sind geschlossen. Da sich die Anzahl der Rauschgiftabhängigen und Spielsüchtigen jedoch durch die Corona – Krise nicht verändert hat, müssen wir uns die Frage stellen, wie diese Abhängigen ihre Sucht befriedigen können beziehungsweise wie die Täter ihre Angebote zum Kunden bringen. Es ist nicht schwer vorauszusehen, dass das Online-Geschäft hier eine bedeutende Rolle einnehmen wird.

Erhebliche wirtschaftliche Einbrüche im Rotlichtmilieu

Wie reagiert das Rotlichtmilieu auf die Krise?
Man versucht wirtschaftlich durchzuhalten oder sich illegale Wege zu erschließen, um Kontaktverbote und Betriebsschließungen zu umgehen. In jedem Fall wird es dort zu erheblichen wirtschaftlichen Einbrüchen kommen, da viele Freier das Risiko einer Ansteckung nicht riskieren werden. Ein Kondom hilft Ihnen nicht weiter.

Sucht sich die organisierte Kriminalität jetzt neue „Geschäftsfelder“?
Selbstverständlich. Das ist auch außerhalb solcher Krisen ein fortlaufender Prozess. Wie in der legalen Wirtschaft auch, wird es während und nach der Krise bei der organisierten Kriminalität Gewinner und Verlierer geben. Auch dort rauchen die Köpfe. Kriminelle versuchen zum Beispiel, in großem Ausmaß nachgemachte Schutzmasken in legale Märkte zu bringen. Das ist typisch für das gesamte Segment der Produkt- und Markenpiraterie. Das Verwenden der Produkte kann lebensgefährlich sein. Die Palette reicht von Arzneimitteln über nachgemachte Bremsbelägen, über Airbags bis hin zu Kettensägen.

Wie stellen sich die italienische Mafia, Rockerbanden und andere international agierende Organisationen auf die neue Lage ein?
Eine Prognose kann als nahezu gesichert gelten: es werden in den nächsten Monaten unfassbar große Geldmengen aus illegalen Quellen ihren Weg in die legale Wirtschaft finden. Je größer die Liquiditätsengpässe in der Wirtschaft sind, desto leichter wird es für die organisierte Kriminalität, ihr Vermögen dort unterzubringen und zu waschen. Für die Ermittler sind das düstere Aussichten, weil wir in diesem Bereich in Deutschland ohnehin schon vor Corona massive Probleme hatten. Wenn man der Politik in Bund und Ländern für die kommenden Monate zu einer neuen kriminalpolitischen Schwerpunktsetzung raten darf, dann ist es ohne Zweifel die Konzentration auf die Vermögenswerte der Kriminellen. Auch das gehört zur Wahrheit: Hier zu müssten wir andere Bereiche bewusst und gewollt vernachlässigen. Ein Beispiel wäre das minderschwere Delikt des „Schwarzfahrens“.

Gefahr von "fake shops" im Internet

Verlagert sich in Zeiten der Krise Kriminalität noch stärker ins Internet?
Diese Annahme halte ich für gesichert. Auch in Gesprächen mit meinen Kollegen aus anderen europäischen Staaten werden mir teilweise signifikante Steigerungen der Cyberkriminalität berichtet. Es liegt nahe, dass beispielsweise das Risiko, Opfer eines Betruges bei Bestellungen im Internet zu werden, derzeit noch zunimmt. Da im Moment alle Bekleidungsgeschäfte geschlossen sind, wächst die Gefahr, dass „fake shops“ im Internet Ware anbieten, die es gar nicht gibt.

Nimmt die Terrorgefahr ab, wenn sich auch Extremisten weniger in der Öffentlichkeit bewegen können?
Derartige Prognosen halte ich für verfrüht. Extremisten agitieren weiter, vor allem über das Internet. Gerade in Krisensituationen müssen wir extremistische Strömungen besonders im Augen haben, weil sie versuchen werden, zu profitieren. Linksextremisten rufen zum Plündern auf, Rechtsextremisten breiten sich auf den Tag X vor, an dem der Bürgerkrieg ausbrechen soll. Insoweit tun wir gut daran, hier weiterhin genauso intensiv hinzuschauen wie bisher.

Die Bundesregierung will Unternehmen finanziell schnell und unbürokratisch helfen, wenn sie in Not geraten. Werden da auch Türen geöffnet für Betrug?
In Bezug auf den Betrug sehe ich dieses Risiko durchaus. Wenn Milliardensummen an Beihilfen verteilt werden, weckt das Begehrlichkeiten von Kriminellen, durch Vorspiegeln falscher Tatsachen, ein Stück vom Kuchen  abzubekommen. Wie bei der Abwrackprämie, damals wurde das Geld kassiert, das Verschrotten vorgetäuscht und die Fahrzeuge landeten dann in Afrika.  

 "Ich sehe auch große Chancen"

Niemand weiß, wie lange die Krise dauern wird. Welche Gefahren sehen Sie, wenn das Virus das öffentliche Leben in Deutschland und weiteren Staaten über den Sommer hinaus beeinträchtigt?
Die Gefahren liegen inzwischen auf der Hand: Gewaltkriminalität in häuslichen Gemeinschaften, Gewalt gegenüber Kindern oder Gewaltausbrüche aus Frustration. Je länger wir die Gesellschaft "herunterdrosseln", desto größer werden diese Risiken. Ich möchte aber nicht nur über Gefahren sprechen, denn ich sehe auch große Chancen. Wir erleben gerade eine Situation, in der sich viel Solidarität untereinander zeigt. In Parlamenten der Länder und im Bundestag arbeiten Opposition und Regierungsparteien zusammen. Jüngere Menschen helfen den älteren. Kleine Restaurants werden unterstützt, weil sie den Menschen wichtig sind und sie auch nach der Krise wieder dort essen gehen wollen. Die Menschen helfen einander, geben auf sich Acht und senden jeden Tag Tausende von positiven Signalen der Solidarität in die Gesellschaft hinein. Diese Werte müssen wir uns bewahren.

Nötig wäre ein Expertengremium, das Krisensituationen vorausdenkt

Was erhoffen Sie sich?
Worte wie Hasskriminalität müssen wieder aus unserem Wortschatz verschwinden und Angriffe auf Rettungskräfte, Polizisten oder Kommunalpolitiker müssen als eine vorübergehende, kurze Erscheinung in den Geschichtsbüchern auftauchen. Aus der Krisenerfahrung heraus wäre es zudem nötig, auf Bundesebene ein interdisziplinäres Expertengremium zu installieren, das Krisensituationen strategisch vorausdenkt und beispielsweise auf einen möglichen Mangel von Schutzausrüstung hinweist. Und wenn die Krise dann eintrifft, könnte so ein Gremium der Regierung schnell eine substanzielle Beratung anbieten.

Sebastian Fiedler leitet seit 2018 den Bund Deutscher Kriminalbeamter. Der Organisation gehören bundesweit 15.000 Polizistinnen und Polizisten an. Die derzeitige Coronakrise stellt auch die Sicherheitsbehörden in Deutschland vor neue Herausforderungen.

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