Netzpolitik-Expertin über die Digitale Agenda: "Wir sollten Vorreiter beim Datenschutz sein"
Großer Wurf oder schwarz-rotes Kleinklein? Am Mittwoch will die Bundesregierung die Digitale Agenda präsentieren. Wir sprachen darüber mit Jeanette Hofmann, Leiterin der Projektgruppe "Politikfeld Internet" am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.
Frau Hofmann, am Mittwoch wollen die drei beteiligten Bundesminister die Digitale Agenda der Bundesregierung vorstellen. Wird der Entwurf den Anforderungen des digitalen Zeitalters gerecht?
Ich finde es sehr positiv, dass es die Digitale Agenda überhaupt gibt. Die Bundesregierung systematisiert darin die verschiedenen Maßnahmen, die sich direkt oder indirekt auf das Internet beziehen, so dass sie einen stärkeren Bezug zueinander bekommen. Das unterscheidet sich ganz stark von der letzten Legislaturperiode. Im Hinblick auf die Details ist allerdings festzustellen, dass der Einfluss des Wirtschaftsministeriums sehr stark zum Tragen kommt. So haben etwa Verbraucherschutzaspekte eine stärkere Bedeutung als Bürgerrechte wie Datenschutz und Meinungsfreiheit. Angesichts der Überwachungsenthüllungen würde ich mir eine bessere Balance wünschen.
Gibt es noch andere Aspekte, die Sie konkret bei dem Entwurf vermissen?
Das Thema Netzneutralität wird zwar angesprochen, aber die Stellungnahmen dazu bleiben doch relativ vage. Ich hätte mir gewünscht, dass die Bundesregierung genau darlegt, was sie unter Netzneutralität versteht und welche Maßnahmen sie auf nationaler Ebene dazu plant. Ein wichtiger Aspekt ist der Breitbandausbau. Dazu bekennt sich die Digitale Agenda zwar, aber es fehlen konkrete Finanzierungspläne. Allgemein lässt sich für den Entwurf sagen, dass viele verschiedene Themen und Ressortzuständigkeiten gebündelt werden, aber der Finanzminister scheint noch nicht erkannt zu haben, dass Geld investiert werden muss, um die digitale Gesellschaft voranzutreiben.
Beim Breitbandausbau wird als Ziel festgelegt, Deutschland solle „digitales Wachstumsland Nummer 1 in Europa“ werden. Ist dieser Plan realistisch?
Die OECD hat vor zwei Wochen neue Zahlen zum Breitbandausbau und dessen Nutzung in Mitgliedsländern vorgelegt. Dort kann man sehen, dass Deutschland nur solides Mittelfeld ist. Manchmal sind wir sogar unter dem Durchschnitt. Hier werden wir sicherlich keinen Spitzenplatz erringen. Länder wie China oder Südkorea, aber auch die skandinavischen Staaten sind uns weit voraus. Es müssen konkret entsprechende Ressourcen bereitgestellt werden. Die Frage ist: Inwieweit werden privates Investment, beispielsweise der Deutschen Telekom und anderer Telefongesellschaften, und öffentliche Unterstützung gebraucht, um auch die Bevölkerung auf dem Land zu versorgen?
Im Agenda-Entwurf heißt es, Deutschland sei „der sicherste digitale Standort weltweit“. Können Sie das so unterschreiben?
Dafür fehlt mir jede Evidenz. Ich habe keine empirischen Daten, die so etwas belegen würden. Daher kann ich es mir auch nicht vorstellen. Außerdem wird der Bezug dieser allgemein gehaltenen Aussage nicht klar. Wir wissen, dass unsere Daten von ausländischen Geheimdiensten angezapft werden und auch deutsche Nutzer von Hackerangriffen und Passwörterklau betroffen sind. Inwieweit sind wir da sicherer als die Bürger in anderen Ländern?
Das Bundesamt für Verfassungsschutz soll strategisch und organisatorisch gestärkt werden, um Terrorismus und Extremismus besser begegnen zu können. Droht hierzulande eine ähnliche Sammelwut wie bei den amerikanischen Geheimdiensten?
Man liest zurzeit oft, dass wir jetzt anderen Geheimdiensten nacheifern wollen. Es bahnt sich eine Art Wettrüsten an. Ich persönlich finde das unglücklich. Ich sympathisiere eher mit Bestrebungen, die Geheimdienste parlamentarisch und rechtlich zu kontrollieren, um zu verhindern, dass im Namen der Sicherheit unsere demokratischen Grundrechte mehrfach unterlaufen werden. Das betrifft auch den Austausch von Daten zwischen den Geheimdiensten. Sofern man den Enthüllungen von Edward Snowden vertrauen kann, stehen sie nicht nur in Konkurrenz, sondern auch in Kooperation miteinander. Sie informieren sich darüber, was sie tun und welche Techniken sie benutzen.
Ein wichtiges Thema ist auch die digitale Medienkompetenz der Bevölkerung. Sind viele Bürger noch zu naiv, zum Beispiel was die Sicherheit ihrer Daten anbelangt?
Das glaube ich ganz sicher. Doch solange die Folgen dieser Entblößung, die wir begehen, wenn wir beispielsweise Apps auf unseren Smartphones benutzen, nicht erfahrbar sind, kann man gar nicht kritisieren, dass wir dabei naiv sind. Man kann sich tatsächlich nicht vorstellen, welch detaillierten Profile sich aus den Informationen und Datenspuren erstellen lassen, die sich aus der Nutzung von Internetdiensten und dem Herumtragen eines Smartphones ergeben. Da gibt es einen großen Nachholbedarf. Die Medienkompetenz muss also definitiv gestärkt werden. Ich würde mir aber auch wünschen, dass wir mehr Transparenz darüber erhalten, was Dritte über uns wissen und wie sie dieses Wissen weiternutzen.
Was würden Sie sich denn konkret von der Bundesregierung wünschen, die an diesem Mittwoch die Digitale Agenda im Kabinett verabschieden will?
Ich wünsche mir ein starkes Bekenntnis zur Netzneutralität. Das ist sehr wichtig für die Zukunft des Internets und seiner Innovationsdynamik. Wir dürfen da nicht den Forderungen von einzelnen Unternehmen nachgeben. Außerdem hoffe ich, dass sich die Bundesregierung dazu entschließt, in den Breitbandausbau und die IT-Sicherheit zu investieren. Das ist auch für die deutsche Wirtschaft von Vorteil. Und natürlich müssen Bürgerrechte gestärkt werden. Was wir mittelfristig brauchen, ist ein grundsätzliches Nachdenken über die Zukunft des Datenschutzes. Mit seiner Datenschutz-Tradition sollte Deutschland in Europa eine Vorreiterrolle einnehmen. Genug Kompetenz haben wir dafür in diesem Land.
Jeanette Hofmann ist Leiterin der Projektgruppe „Politikfeld Internet“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Sie ist Honorarprofessorin für Internetpolitik am Institut für Weiterbildung der Universität der Künste Berlin und Direktorin des Alexander von Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft (HIIG), das weitgehend von Google finanziert wird.
Friederike Zörner
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