zum Hauptinhalt
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil (SPD) wirbt für eine neue Ostpolitik. Im Gespräch mit ihm: Franziska Brantner, Stephan-Andreas Casdorff, Wolfgang Kubicki und Ruprecht Polenz.
© Jens Jeske

50 Jahre Bundeskanzler Willy Brandt: „Wir sind ihm alle zu Dank verpflichtet“

Eine Tagesspiegel-Diskussionsrunde sieht vor allem ein Vorbild im Außenpolitiker Brandt - und entdeckt den Aufbruchsgeist seiner Epoche in der Klimapolitik.

Am kommenden Montag vor 50 Jahren ist Willy Brandt zum Bundeskanzler gewählt worden. Grund genug für den Tagesspiegel und die Willy-Brandt-Stiftung, in einer gut besuchten Podiumsdiskussion am Mittwochabend daran zu erinnern und zu fragen, was denn der SPD-Politiker den Parteien heute zu sagen hätte.

„Mehr Demokratie wagen“ – mit diesem Anspruch, formuliert in seiner ersten Regierungserklärung 1969, hat Brandt eine neue innenpolitische Epoche in der Geschichte der Bundesrepublik eröffnet. Ist das verklungen? Ist es eher der Außenpolitiker Brandt, der den heute Verantwortlichen einfällt, wenn sie über ihn sprechen sollen? Ist der sozialliberale Aufbruch gar nicht mehr so bewegend, wie ihn damals viele, gerade junge Bürger, empfanden?
Ruprecht Polenz, der frühere CDU-Außenpolitiker, kam in der von Tagesspiegel-Herausgeber Stephan-Andreas Casdorff munter moderierten Runde jedenfalls zügig auf den Kniefall in Warschau zu sprechen. Es sei ein wichtiges Signal an Polen gewesen. Deshalb, so Polenz, sei er ein großer deutscher Staatsmann gewesen, „dem wir alle zu Dank verpflichtet sind“.

Franziska Brantner, Grünen-Europapolitikerin im Bundestag und jung genug, Brandt nicht mehr erlebt zu haben, sieht im ersten sozialdemokratischen Kanzler der Bundesrepublik ebenfalls die vorbildhafte außenpolitische Figur: „Brandt hat immer gesehen, wie die anderen Deutschland sehen.“ Er habe daher nicht das Nationale in den Vordergrund gestellt – „das fehlt vielen heute“. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil, auch er eher Urenkelgeneration, pflichtete bei: Es drehe sich gerade wieder zu viel um Deutschland, nicht um das Internationale, das Brandt so wichtig gewesen sei.

"Wir brauchen eine neue Ostpolitik"

Selbst Wolfgang Kubicki, der Bundestagsvizepräsident von der FDP, wollte da nicht mit seinem Widerspruchsgeist dazwischengehen. „Wenn Brandt unter uns wäre, würde er sagen, wir müssten die Spannungen mit den osteuropäischen Nachbarn abbauen.“ Deutschland sei vom Weg der Verständigung abgekommen – vor allem im Verhältnis zu Russland. Womit er den Widerspruch von Polenz provozierte, der in der Wende von Präsident Wladimir Putin zur Großmachtpolitik ein Problem erkennt.

So wie Brantner darauf verwies, dass ein besseres Verhältnis zu Polen – ein Kern von Brandts Außenpolitik – wohl kaum gelinge durch eine einseitige Annäherung an Russland. Klingbeil warb ebenfalls für mehr Dialog mit den osteuropäischen Staaten: „Wir brauchen eine neue Ostpolitik.“

Die Kontakte müssten wieder enger werden. Zustimmend zitierte er Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron, dass eine Sicherheitsarchitektur in Europa nicht gegen, sondern nur mit Russland funktioniere. Dass Brandt dabei auch andere Akzente setzen würde als damals, betonte Polenz. „Er würde die Ukraine zweifellos nicht im Stich lassen“, sagte er, "und er hätte auch die Annexion der Krim nicht für akzeptabel gehalten."

Den Aufbruchsgeist der Brandt-Ära entdeckte die Runde am ehesten in der Klimapolitik. „Wenn die Parteien einfach die Themen aufnehmen, für die Menschen auf die Straße gehen, dann haben sie auch wieder mehr Zulauf“, sagte Polenz. Was indirekt die spätere Frage aus dem Publikum beantwortete, warum die Parteien bis heute nicht so richtig analysiert hätten, warum sie weniger Mitglieder haben als zu Brandts Zeiten – jedenfalls Union, SPD und FDP. Brandt wollte auch gezielt Politik für die junge Generation machen, das Signal dafür war die Senkung des Wahlalters von 21 auf 18 Jahre durch die sozialliberale Koalition. Jetzt also 16 Jahre, fragte Casdorff.

„Das ist eine richtige Antwort“, reagierte Klingbeil, „aber es kann nicht die einzige Antwort sein.“ Brandts Politik des Aufstiegs durch Bildung sei eine andere – nur eben heute stärker für diejenigen mit Migrationshintergrund.

Zur Startseite