Grüne Aminata Touré über Vielfalt in der Politik: „Wir selbst sind das Problem“
Rassismus gibt es überall, sagt Aminata Touré im Interview. Sie hofft, dass der Grundsatz Vielfalt auf dem Grünen-Parteitag in der Satzung verankert wird.
Die Grünen-Politikerin Aminata Touré ist seit 2017 Abgeordnete im Kieler Landtag. Seit August 2019 ist die Politikwissenschaftlerin Vizepräsidentin des Parlaments. Ihre Themen: Migration, Antirassismus, Frauen und Gleichstellung, Kinder und Jugend und Queerpolitik.
Seit Mai 2019 gibt es bei den Grünen die Arbeitsgemeinschaft Vielfalt. Was hat die Partei dazu bewogen und was konnten Sie bislang erreichen?
Wir haben festgestellt, dass wir bei uns in der Partei Defizite haben in Sachen Diversität, sowohl inhaltlich als auch personell. Das wollen wir ändern. Durch die Arbeitsgemeinschaft hat sich eine Debatte losgetreten, das zeigt sich vor allem in den Landesverbänden: Es werden jetzt Fortbildungen, Veranstaltungen und Diskussionen zu dem Thema organisiert, die Sensibilisierung für das Thema ist ein Erfolg. Den wollen wir auf dem Parteitag an diesem Wochenende verankern, als Statut in unserer Satzung.
Was würde das Statut bedeuten?
Vor allem eine weitere Sprecherin im Bundesvorstand, die explizit für dieses Thema zuständig ist, dazu eine Referentin, die das inhaltlich begleitet. Alle zwei Jahre würden wir uns bei einem Vielfaltskongress treffen, um zu reflektieren, wo wir stehen und wie wir weitermachen. Wir haben bereits eine Erhebung bei allen Mandatsträgerinnen dazu gemacht, welche Diskriminierungserfahrungen sie gemacht haben. Solche Erhebungen möchten wir ausweiten auf die gesamte Partei. Wir wollen erfahren, was die Hürden sind und was die Menschen daran hindert, bei uns mitzumachen oder auch die Partei zu verlassen.
Hätte eine weitere Sprecherin nicht eher Symbolcharakter?
Keinesfalls. Ich habe in einer Runde auch sehr klar und deutlich gesagt, dass ich in unserem derzeitigen Bundesvorstand nicht weiß, wer dafür zuständig ist. Immer wieder äußert sich jemand, aber es gibt keine klare Zuständigkeit. Wir haben auch eine frauenpolitische Sprecherin im Bundesvorstand und das funktioniert sehr gut, von daher bin ich davon überzeugt, dass es wichtig und richtig ist, Ressourcen dafür freizulegen.
Worauf ist die mangelnde Vielfalt in ihrer Partei zurückzuführen?
Wir selbst sind das Problem. Dass wir ein bestimmtes Bild abgeben, zieht nach sich, dass sich andere Menschen nicht angesprochen fühlen. Wir beteuern, dass wir inhaltlich und programmatisch für diverseste Zielgruppen unterwegs sind mit einem klaren linken politischen Profil, aber personell stellt sich das einfach noch nicht dar. Unsere Perspektive zu vielen Themen ist zu sehr von Menschen geprägt, die sie nicht betreffen. Deswegen haben wir in der AG Vielfalt über die Nichtakademikerinnen gesprochen, nichtweiße, nichtbinäre Personen. Menschen, die die grüne Idee unterstützen, aber oft nicht den Weg zu uns finden. Wir haben bei uns in der Partei immer Prozesse angestoßen und uns weiterentwickelt, das sieht man auch am Frauenanteil bei den Grünen.
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Bei den Frauen haben Sie ja eine Parität so gut wie erreicht. Müsste es eine Quote für People of Color geben beziehungsweise Menschen mit Migrationshintergrund?
Von außen ist es immer sehr stark so wahrgenommen worden, als wären People of Color Fokus unserer Arbeit. Das ist nicht der Fall. Es geht auch um Menschen mit Behinderungen, queere Menschen, aber eben auch um People of Color und Menschen, die aus anderen Gründen Diskriminierung erfahren habe.
Ich bin eine absolute Verfechterin von Quoten, aber die Antwort Quote würde da nicht reichen. Ich wünschte, es gebe so eine einfache Antwort. All diese Merkmale in den Vorstand zu kriegen, das wird eine Herausforderung. Aber wir haben das nicht aufgegeben, wir werden in den nächsten Jahren immer weiter diskutieren und hoffentlich eine passende Lösung finden.
Auch die Frauenquote ist ja nicht die Antwort auf eine Geschlechterparität in der Partei. Es geht viel mehr darum, wie man Geschlechtergerechtigkeit diskutiert, ob es Mentoringprogramme und Sensibilisierungsfortbildungen gibt, Leute hat, die tatsächlich dafür eingestellt sind und zu diesem Thema arbeiten. Nur das Instrument reicht nicht, es geht immer auch um Strukturen.
Gibt es Rassismus in ihrer Partei?
Ich werde das immer wieder gefragt, ob es Rassismus in der Polizei gibt, in meiner Partei, sonstwo. Was ich jedes Mal versuche zu sagen, ist: Es ergibt keinen Sinn zu glauben, dass es irgendeinen Ort gibt, an dem es keinen Rassismus gibt. Es gibt auch keinen journalistischen Ort, der frei davon ist. Wenn es unsere Gesellschaft nicht ist, dann kann es auch eine Partei nicht sein.
Was wollen Sie dagegen tun?
Genau dafür sind diese Erhebungen wichtig, wenn wir wissen, welche Erfahrungen Menschen mit Diskriminierung in unserer Partei machen, können wir daran arbeiten. Weitere Maßnahmen erarbeiten wir mit Expertinnen, die sich mit Rassismus, Behindertenfeindlichkeit, Queer-Feindlichkeit usw. auseinandersetzen.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft ihrer Partei ?
Mehr Repräsentation von Minderheiten und dass sich unsere Partei breiter und pointierter mit ihnen auseinandersetzt. Es geht auch um ein anderes Selbstverständnis: Ich als nichtbehinderte Person muss mir die Frage stellen, inwiefern ich Veranstaltungen organisiere, die Menschen ausschließt oder ob ich in meiner politischen Entscheidungsfindung eigentlich nur von gesunden Menschen ausgehe.
Das mag kleinlich klingen, aber dass an sie gedacht wird, sorgt dafür, dass Menschen sich als Teil dieser Gesellschaft verstehen. Und all diese Themenbereiche haben ja auch viel mit den aktuellen Debatten zu tun, die wir gerade führen: Wenn wir über die Frage diskutieren, ob unsere Sicherheitsbehörden ausreichend gut aufgestellt sind in der Frage von Antirassismus beispielsweise, dann müssen wir inhaltlich und personell gut genug aufgestellt sein, um Antworten auf diese Fragen zu geben.
Das ist genau die Verknüpfung, die wir uns wünschen. Es geht da gar nicht darum, sich selbst zu betüdeln und sich den ganzen Tag um sich selbst zu drehen. Aber wir als Parteien entsenden ja Menschen in die Parlamente und wenn wir nicht divers genug aufgestellt sind, werden auch unsere Parlamente es nie sein.
Es muss kein Automatismus sein, dass sich eine Person mit Behinderung für die Belange von Behinderungen einsetzt, aber wir gucken uns die Entscheidungsträger an und haben kein heterogenes Bild, sondern ein sehr akademisches, gesundes, weißes, heterosexuelles. Jemand der schwul oder Schwarz ist, trifft nicht automatisch bessere politische Entscheidungen, aber hat vielleicht einen anderen Blickwinkel. Wenn Parteien sich nicht selbst verpflichten, passiert Jahrzehnte, Jahrhunderte lang, nichts.
Sind Sie erleichtert über den Ausgang der Wahlen in Amerika?
Ich bin sehr erleichtert für die Amerikanerinnen selbst, dass sie erlöst sind von diesem Präsidenten. Die Black Lives Matter-Bewegung hätte sich natürlich viel progressivere Kandidaten gewünscht, als Harris und Biden, trotzdem bin ich sehr froh über den Machtwechsel und die erste Schwarze Vizepräsidentin. Ich hoffe, dass sie ihre Wahlversprechen halten, besonders gegenüber Schwarzen, inidigenen und of color Frauen. Es gilt den strukturellen Rassismus zu bekämpfen und da werden sie in einer Bringschuld sein. Das wird spannend zu beobachten, wie sie das hinbekommen werden, ob es Reformen gibt oder ob es bei Wahlversprechen bleibt.
In Deutschland ist es um die Black Lives Matter-Bewegung ruhiger geworden. Ein Strohfeuer?
Dass Schwarze Leben von wert sind, mag für manche ein Strohfeuer gewesen sein, für mich und andere ist das eine lebenslange Bewegung. Ich kannte immer viele Aktivistinnen, die antischwarzen Rassismus bekämpfen. Der Europarat hat Deutschland nicht umsonst gerügt, dass Deutschland zu wenig tut in der Frage von antischwarzem Rassismus. Manchen Menschen in Deutschland mag erst durch George Floyd klargeworden sein, dass es Schwarze Menschen in Deutschland gibt und dass diese Rechte haben, für mich und andere Menschen ist das ein Teil ihres Lebens.
Lea Schulze