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Dario Schramm, Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz.
© picture alliance/dpa/Dario Schramm

Bundesschülersprecher zur Generation Corona: „Wir mussten im Schnelldurchlauf erwachsen werden“

Die Zahlen sinken, allmählich kehrt Normalität zurück. Aber was bedeutet das für Kinder und Jugendliche und was brauchen sie gerade am nötigsten? Ein Interview.

Dario Schramm (20) ist Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz und macht dieses Jahr sein Abitur an der Integrierten Gesamtschule Paffrath in Bergisch-Gladbach.

Die heutigen Schülerinnen und Schüler werden gerade häufig als „die abgehängte Generation“ bezeichnet. Sehen Sie sich selbst so?
Nein, wir sehen uns absolut nicht als die abhängte Generation. Ich finde es problematisch, dass so negativ über die ‚Generation Corona‘ gesprochen wird. Dabei sehe ich es eher als ein Qualitätsmerkmal, dass wir die letzten eineinhalb Jahre durchgestanden haben. Natürlich war die Pandemiezeit für viele eine schwierige, viele bleiben auf der Strecke und leiden psychisch unter der Isolation, den mangelnden Kontakten…aber wir konnten an vielen Stellen auch wachsen.

Wie äußert sich das?
Wenn alles um einen herum chaotisch ist, es keine festen Strukturen gibt, wir eine Woche in der Schule lernen, in der nächsten Woche zu Hause, dann muss man lernen, sich selbst zu organisieren. Wir sind im Schnelldurchlauf erwachsen geworden.

Sie haben also aus der Not eine Tugend gemacht.
In gewisser Weise, ja. Auch, wenn wir es uns sicherlich anders gewünscht hätten. Eine Notsituation bleibt eine Notsituation. Aber, wenn wir nur das Negative sehen, gehen wir unter.

Aber es gibt auch Kinder und Jugendliche, die sich dabei schwerer tun. Gerade solche aus einkommensschwächeren Haushalten haben schlechtere Startbedingungen.
Absolut. Corona wirkt als Beschleuniger für die Bildungsschere. Ich sehe das ja an meiner Schule – einer Gesamtschule – wenn Mitschüler erzählen, dass sie sich mit ihren jüngeren Geschwistern ein Zimmer teilen. Da ist fünf Stunden am Stück konzentriertes Lernen kaum möglich. Ich gehöre zu denen, die es einfacher hatten, allein, weil ich mein eigenes Zimmer habe.

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Wie kann gerade den Benachteiligten geholfen werden?
Nach eineinhalb Jahren klingt das banal, aber wir brauchen alle digitale Geräte, auf denen wir arbeiten können. Manche versuchen mit einem kleinen Smartphone klarzukommen, während andere an Laptops lernen. Und woran es fehlt, sind Räume zum Lernen -  damit wir die Bildungsungleichheiten, die ich angesprochen habe, etwas ausgleichen können. Zwar scheint die Pandemie gerade ihrem Ende zuzugehen. Aber, was ist, wenn uns in einigen Jahren die nächste Pandemie erwartet? Sind wir dann gut ausgestattet? Ich bezweifle es.

Die Schulen bereiten sich gerade darauf vor, wieder in den Regelbetrieb zurückzukehren. Wie kann das gut gelingen?
Was jetzt auf keinen Fall passieren darf ist, dass wir strikt zum Lehrplan zurückkehren und es nahtlos weitergeht mit Gedichtanalysen und Matheaufgaben. Wir brauchen jetzt erstmal die Möglichkeit, uns zu sammeln. Die Schule sollten den Schülerinnen und Schülern den Raum geben, sich darüber auszutauschen, was im vergangenen Jahr passiert ist. Alle werden jetzt Gesprächsbedarf haben.

Nach einer Woche Unterricht zuhause können viele Kinder und Jugendliche in Nordrhein-Westfalen am Montag wieder in ihre Schulen gehen.
Nach einer Woche Unterricht zuhause können viele Kinder und Jugendliche in Nordrhein-Westfalen am Montag wieder in ihre Schulen gehen.
© Marcel Kusch/dpa

Das heißt dann konkret: Lieber zwei Stunden Mathe in der Woche ausfallen lassen und dafür Sitzkreise abhalten?
Nicht unbedingt in der Form. Sinnvoll wäre es, in der Schule noch mal durchzunehmen, was genau Corona ist, wie ist das Virus aufgebaut? Und gerade ja sehr aktuell: der Impfstoff. Wie funktioniert der? Schule könnte hier ihren Bildungsauftrag wahrnehmen.

Was müssen Schulen noch tun, damit Schülerinnen und Schüler jetzt sicher lernen können?
Wir dürfen uns jetzt nicht so sehr von der Freude über den Impffortschritt treiben lassen und nicht vergessen, dass wir eben noch nicht am Ende der Pandemie sind. Worüber bisher zu wenig gesprochen wurde ist aus meiner Sicht der Schulweg. Viele kommen morgens in überfüllten Bussen und Bahnen zur Schule. Da sollten Politik und Verwaltung dafür sorgen, dass mehr Züge und Busse fahren, um die Schülermassen auf dem Schulweg zu entzerren.

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