Vor dem Grünen-Parteitag: "Wir liegen nicht so tief in den Schützengräben"
Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner über den Generationswechsel in seiner Partei, die Bedeutung der Flügel - und schwierige Satzungsfragen. Ein Interview.
Herr Kellner, Sie gehören bei den Grünen zu der jüngeren Generation, die in der Partei mittlerweile das Ruder übernimmt. Was unterscheidet Sie von der Gründer-Generation?
Die prägende Generation der Grünen hat, mit viel Lust am harten Streit, das Land verändert. Bei meiner Generation steht das noch aus. Und zugleich haben sich im Laufe ihres langen Wirkens unsere Vorgänger politisch stark verändert: Der Weg von Mao und Pol Pot in die höchsten Ämter dieser Republik war sehr, sehr weit. Unsere Generation hat es nicht ganz so weit, und wir liegen auch nicht so tief in den Schützengräben.
Fehlt denn etwas, wenn in der Grünen-Führungsriege die Gesichter rar werden, die noch die Auseinandersetzungen der 68er oder die Kämpfe um Gorleben hautnah miterlebt haben?
Natürlich fehlen diese Köpfe. Aber es ist zugleich eine Stärke, dass es eine neue Generation gibt, die jetzt die Verantwortung übernimmt. Lange hieß es ja, die Grünen seien ein Ein-Generationenprojekt. Davon redet heute niemand mehr. Die Partei wächst: In den letzten Jahren sind tausende Neumitglieder eingetreten. Sie kommen mit großen Erwartungen und ganz viel Elan, sich für eine bessere Welt einzusetzen.
Spüren Sie denn bei den Mitgliedern eine Sehnsucht nach einem Neuanfang?
In der Partei gibt es eine große Sehnsucht nach Umsetzung grüner Politik. Und eine Freude auf einen Aufbruch. Das heißt aber nicht, dass wir auf den Erfahrungsschatz der Älteren verzichten wollen.
Als Bundesgeschäftsführer haben Sie in den letzten Wahlkämpfen die Erfahrung gemacht, dass Personalisierung eine immer größere Rolle spielt. Wäre aus Ihrer Sicht ein Parteichef Robert Habeck so etwas wie ein Sechser im Lotto?
Robert Habeck ist eine starke Persönlichkeit, der Politik auf Augenhöhe macht. Er ist jemand, der Geschichten erzählen kann. Das ist natürlich ein großer Vorteil. Und es stimmt: Im letzten Bundestagswahlkampf haben auch wir mit unseren Spitzenkandidaten so stark personalisiert wie noch nie zuvor. Aber ich glaube, wir Grünen sollten trotzdem nicht nur auf eine Person setzen. Mit Annalena Baerbock und Anja Piel haben wir ja auch zwei sehr starke Frauen, die für den Parteivorsitz kandidieren. Die genauso stark uns Grüne repräsentieren können.
Sie selbst gehören dem linken Flügel an. Würde es Sie ärgern, wenn an der Spitze der Partei mit Annalena Baerbock und Robert Habeck künftig zwei Realos stünden?
Beide sind tolle Politiker. Ich fände es trotzdem gut, wenn die Vielfalt der Partei auch an der Spitze zu sehen ist. Und Anja Piel hat eine richtig starke Bewerbung vorgelegt.
Sollte bei der Postenbesetzung Charisma nicht wichtiger sein als die Flügelfrage?
Natürlich kann Flügelzugehörigkeit nicht der einzige Grund für eine Personalentscheidung sein. Doch Parteien haben die Aufgabe, unterschiedliche Positionen aus der Bevölkerung zu bündeln. Deshalb braucht es auch innerhalb der Parteien Strömungen. Daraus entsteht Kraft und Reibung. Wir brauchen beide Flügel, um fliegen zu können.
Habeck will als Parteichef für einige Monate Minister in Kiel bleiben, um die Nachfolge regeln zu können. Die Grünen-Satzung ermöglicht das bisher nicht. Haben Sie für seine Forderung Verständnis?
Wir hatten noch nie den Fall, dass sich ein Minister für den Parteivorsitz bewirbt. Da haben wir eine Satzungslücke. Ich fände es gut, wenn der Parteitag die Möglichkeit für eine Übergangsfrist eröffnet. Acht Monate halte ich für vertretbar.
Was passiert, wenn der Parteitag die Satzungsänderung blockiert?
Da bin ich genauso gespannt wie Sie. Bei uns entscheiden die Delegierten – das macht unsere Parteitage so spannend. Auch für mich als Geschäftsführer.
Hoffen Sie, dass Robert Habeck auch dann antritt, wenn er nicht die gewünschten acht Monate Übergangszeit erhält?
Ich hoffe auf die richtige Entscheidung für die Partei. Doch entscheiden kann das nur Robert Habeck.
Nach zwölf Oppositionsjahren im Bund wollten die Grünen eigentlich in die Regierung zurück, das ist nicht gelungen. Wie wollen Sie sich in den nächsten Jahren Gehör verschaffen?
Wir werden die große Koalition dort angreifen, wo schon jetzt Leerstellen sichtbar sind, etwa beim Klimaschutz. In den nächsten Monaten stehen außerdem wichtige Entscheidungen an, bei denen wir hörbar für unsere Positionen kämpfen werde - etwa beim Familiennachzug oder beim Thema Glyphosat. Wenn ich mir anschaue, wie lustlos und erschöpft SPD und Union in die große Koalition gehen, sehe ich eine Riesenchance für uns Grüne. Ich glaube, dass wir in den nächsten Jahren an Stärke gewinnen können.
Im nächsten Jahr stehen Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg bevor. Ein schwieriges Wahljahr?
Im Jahr 2019 wird sich der Kurs der Republik entscheiden. In Brandenburg hat jetzt erstmals der CDU-Landesvorsitzende gesagt, er sei bereit für Sondierungsgespräche mit der AfD. Wenn es dazu kommen sollte, wäre das fatal.
Haben Sie schon eine Idee, mit welcher Strategie Ihre Partei in diese Wahlen ziehen sollte?
In Brandenburg hatten wir bei der Bundestagswahl ein starkes Ergebnis. Die CDU rückt dort nach rechts, die SPD ist erschöpft, die Linke hat Angst vor der AfD. Rot-Rot setzt auf Braunkohle statt Klimaschutz. Da können wir zur entscheidenden politischen Kraft werden. In Thüringen werden wir dafür kämpfen, das Mitte-Links-Bündnis fortzusetzen. Die machen einen guten Job, damit können wir mobilisieren. Und in Sachsen ist unser Landesverband die lauteste Stimme für ein Sachsen, das sich nicht Richtung Pegida oder AfD dreht. Wir haben in allen drei Ländern die Chance, gestärkt aus der Wahl hervor zu gehen. Dafür werden wir alles tun.
Michael Kellner (40) ist seit 2013 Bundesgeschäftsführer der Grünen. Das Interview führte Cordula Eubel