Rededuell der Spitzenkandidaten in Baden-Württemberg: Winfried Kretschmann poltert gegen die AfD
"Demagogen der übelsten Sorte": Der Grüne Winfried Kretschmann attackiert beim Rededuell mit den anderen Spitzenkandidaten in Baden-Württemberg die AfD. Deren Vertreter bleibt auffallend still.
Nun reden sie also doch miteinander. Alle politischen Schwergewichte in Baden-Württemberg und die, die sich dafür halten. Stuttgart-Mitte, der Mozartsaal mit einigen hundert Sitzplätzen in der denkmalgeschützten Liederhalle ist voll besetzt. Auf dem Podium platzieren sich nacheinander die Spitzenkandidaten der Parteien. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und sein CDU-Herausforderer Guido Wolf. SPD-Wirtschaftsminister Nils Schmid, FDP-Kandidat Hans-Ulrich Rülke und Linkspartei-Chef Bernd Riexinger. Auch der AfD-Kandidat und Bundessprecher Jörg Meuthen ist gekommen. Obwohl er nicht so richtig Lust dazu hat, wie er am Vortag vor Anhängern in einem kleinen Ort bei Schwäbisch Hall noch angemerkt hat.
Die anderen Kandidaten hatten nicht so recht Lust auf ihn. Kretschmann und Schmid haben noch Ende Januar gesagt, den rechtspopulistischen Inhalten der AfD wolle man „keine Bühne geben“. Die große „Elefantenrunde“ am 10. März, übertragen vom SWR, wäre deswegen beinahe geplatzt. Nach langem Hin und Her soll es sie nun doch mit der AfD geben. Und die heutige Diskussion, auf Einladung der „Stuttgarter Nachrichten“, vor Publikum, aber ohne Fernsehkameras, ist gewissermaßen die Generalprobe: Kann man mit der AfD diskutieren? Muss man?
„Die AfD ist keine normale Partei“, sagt Kretschmann, der als erster das Wort erhält. Er ruft fast. Er höre da „Anklänge ans Dritte Reich“ von diesen „Demagogen der übelsten Sorte“, die „nur Unglück über die Völker gebracht haben“. Er holt die Hand aus der linken Tasche seiner Anzugshose, um damit auf den Stehtisch vor sich zu hauen – und setzt damit den Ton für eine Veranstaltung, die fast eine Stunde lang nur ein Thema kennt: die Unmöglichkeit der AfD.
Die Anspannung merkt man besonders CDU-Mann Guido Wolf an
Die Anspannung ist besonders CDU-Mann Guido Wolf anzumerken, der sich soweit wie möglich von Kretschmann entfernt positioniert hat. Dabei wäre sein natürlicher Platz zwischen dem Grünen und dem AfD-Sprecher gewesen. Ihm laufen die Wähler gerade in beide Richtungen davon. Da gibt es jene, die Merkels Credo des „Wir schaffen das“ in der Flüchtlingskrise für Wahnsinn halten und in der AfD entweder eine Möglichkeit zum Protest oder eine echte Alternative sehen. Und jene, die Merkels Kurs unterstützen und ihre Stimme beim Katholiken Kretschmann gut aufgehoben wissen, der sich sogar einmal zu der Bemerkung hinreißen ließ, er bete regelmäßig für die Kanzlerin. Wolfs bisher unauffälliger Wahlkampf und sein halbherziger Versuch, sich zusammen mit der rheinland-pfälzischen CDU-Kandidatin Julia Klöckner von Merkels Kurs zu distanzieren, sprach weder die eine noch die anderen Gruppe an – und droht ihm nun eine historische Niederlage zu bescheren.
Erstmals in der Geschichte des Landes könnte die CDU als stärkste Kraft im Parlament von den Grünen abgelöst werden. Bei einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa gaben jüngst 30,5 Prozent der Befragten an, Grün wählen zu wollen. Ein halber Prozentpunkt mehr als bei der CDU. Und so teilt Guido Wolf nach allen Seiten aus. „Sie haben nur Angstmache auf der Pfanne!“, ruft er Meuthen von der AfD zu, Kretschmann stütze Merkel in Wirklichkeit gar nicht, und die Linke sei kein bisschen besser als die AfD, sagt er zu Bernd Riexinger, der ernsthaft fordert, die Baustelle von „Stuttgart 21“ wieder zuschütten zu lassen.
Die Hysterie auf dem Podium mag Resultat der diffusen politischen Stimmung im Land sein. Die mitregierende SPD liegt aktuell bei 16 Prozent, gerade noch vor der AfD mit 10 Prozent, die FDP könnte es mit 7 Prozent auch in den Landtag schaffen. Von den Linken redet eigentlich niemand.
In der Konsequenz heißt das, momentan reicht es weder für eine Fortsetzung der grün-roten Koalition noch für ein schwarz-gelbes Bündnis. Das Land ist politisch aufgesplittert wie lange nicht mehr. Und der Einzige, dem die Baden-Württemberger zutrauen, den Laden zusammenzuhalten, ist derzeit offenbar Winfried Kretschmann.
Könnte man ihn direkt wählen, 63 Prozent der Bevölkerung würden es tun, hat Infratest Dimap herausgefunden. Selbst im CDU-Lager hätte er 50 Prozent Zustimmung. Kretschmann weiß das und gefällt sich nach seinem kleinen Wutausbruch zu Anfang der Veranstaltung in der Rolle als Landesvater. „In der Krise“, sagt er, „setze ich auf Konsens. Konflikt ist etwas für den politischen Alltag.“ Und solle nur niemand glauben, er unterstütze nicht den Merkel-Kurs: „Wenn Sie sich die EU-Regierungschefs anschauen, ja um Gottes Willen, wer soll die Krise denn lösen, wenn nicht die Kanzlerin?“
Kretschmann wird mehrfach von den Anhängern der AfD ausgebuht
Kretschmann, ein Mann, der sogar dort Konsens sieht, wo die Flüchtlingskrise einen Graben durch alle Bevölkerungsschichten reißt: Wer dieser Tage durch Baden-Württemberg fährt, sieht Kretschmann auf großen Plakaten lächeln, darunter Sprüche wie „Leidenschaft für die Sache“, oder „Verantwortung und Augenmaß“. Die Botschaft: alles im Griff. Dass eben nicht alles im Griff ist, zeigt ihm an diesem Abend das Publikum. Mehrfach wird er von Anhängern der AfD ausgebuht, beschimpft, verlacht – sie sitzen überall auf den Rängen, wie es auch überall in Baden-Württemberg immer mehr von ihnen gibt.
Ihr Kandidat, Jörg Meuthen, sagt auf dem Podium wenig. Ein paar Mal weist er die Anschuldigung zurück, ein Rassist zu sein. Und auf den Vorwurf, seine Partei habe inhaltlich nichts zu bieten, kontert er: „Was ich zu bieten habe, ist die Höflichkeit, andere ausreden zu lassen.“
Einen Tag vor der Veranstaltung hatte Meuthen im vertraulichen Gespräch noch gesagt, er habe großen Respekt vor der Debatte, und dass er es wohl schwer haben werde, gegen die anderen anzukommen – immerhin alles Berufspolitiker im Gegensatz zu ihm.
Seine Sorge ist unbegründet. Niemand hat ihn detailliert entlarvt, niemand hat auf seine Defizite in Bildungs-, Infrastruktur-, und Energiepolitik hingewiesen. Es hat ihn niemand gefragt. Wie gut, dass es nur eine Probe war.
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